Bauwelt

Stadtbibliothek


Seattle


Text: Schürkamp, Bettina, Köln


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    Christian Richters, Münster

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„When buildings attack...“, umschreibt Rem Koolhaas in seinem Buch „Content“ mit humoristischen Cartoons die Reaktion einer aufgebrachten Öffentlichkeit auf die ersten Zeichnungen der „Seattle Central Library“ vor fünf Jahren.
Die anfängliche Befremdung über das jüngste Wahrzeichen der Stadt ist angesichts des fertig gestellten Gebäudes einer allgemeinen Begeisterung gewichen. Kokett behauptet sich der Neubau mit seinen unkonventionellen Vor- und Rücksprüngen inmitten der Straßenschluchten von Downtown. Der in den sechziger Jahren erbaute „International Business District“ bietet mit seinen typisch amerikanischen Hochhäusern der Schule von Mies eine ideale Kulisse für die futuristisch anmutende Raumskulptur, die sich aus der zur Elliott Bay hin abfallenden Topographie mit drei Sichtbetongeschossen und einer gewagten achtstöckigen Stahlkonstruktion spannungsvoll herausfaltet. Drei markant mit gekreuzten Diagonalen ausgesteifte Funktionscontainer umhüllen die kompakt gefüllte Buchspirale, die Hauptverwaltung sowie die Veranstaltungsräume und sind in Bezug auf die Straßenfluchten, Sichtachsen und den Sonneneinfall orthogonal gegeneinander verschoben. Eingefasst durch eine gefaltete Rautengitterfassade, befinden sich in den Zwischenräumen das repräsentative 27 Meter hohe Foyer, die höher liegende, 1750 Quadratmeter große Informationszentrale und der Lesesaal mit einem pittoresken Ausblick auf die Elliott Bay als krönende Skylobby. Seattle, das mit Ablehnung auf Venturi Scott Browns „Seattle Art Museum“ und Frank Gehrys „Experience Music Project“ reagierte, feiert die Eröffnung einer eleganten Raumskulptur. Mit ihrem Wechselspiel von intensiven Farben, kostengünstigen Industriedetails und malerischen Pflanzenteppichen spiegelt sie die widersprüchliche Identität der Heimatstadt von Microsoft und Boeing zwischen Bodenständigkeit und Zukunftsbegeisterung treffend wider. Die Bibliothek als „Herzensangelegenheit“, das hätte man in der „City of Bites“, die jahrelang die Komprimierung von Büchern auf Mikrochips propagierte, am allerwenigsten erwartet. Angefeuert durch die „Library for all“-Kampagne der Bibliotheksleiterin Deborah L. Jacobs, investierte die Stadt 196 Millionen Dollar, davon 78 Millionen private Spenden, in den Neubau von fünf und die Renovierung von zweiundzwanzig ihrer öffentlichen Bibliotheken. Glanzstück dieser ehrgeizigen „Informationsmatrix“ ist die Central Library für 156 Millionen Dollar von OMA in Projektpartnerschaft mit LMN Architects aus Seattle. 1998, wenige Monate vor dem Börsen-Crash, votierten 70 Prozent der Bürger, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, für die Finanzierung dieses zukunftsweisenden Bibliothekskonzeptes. Sechs Jahre später stimmt die realisierte „Hymne des Lesens“ durch die kontrastvolle Gegenüberstellung von hohen und flachen, dunklen und hellen sowie farbigen und neutralen Räumen in einer kontinuierlich aufsteigenden Spiralbewegung die Besucher nahezu euphorisch.
Die Herausforderung, sinnliche Architektur mit der rationalen Weiterentwicklung der Bibliothekstypologie zu verbinden, kennzeichnet das Projekt. Für die Rotterdamer Architekten begann es 1998 nicht mit einem klassischen Architekturwettbewerb, sondern mit der Reaktion auf einen „open call“ durch die „Seattle Public Library Organisation“. Von 45 Architekturbüros forderte sie zehn zu einer konkreten Bewerbung auf. Im Mai 1999 stellten die drei Finalisten ZGT Architects, Seattle, Steven Holl, New York, und OMA vor 1700 Zuschauern die Ergebnisse eines Workshops zur Diskussion. OMA überzeugte das „Library Board“ mit seinen konzeptionellen Ideen für eine neuartige Bibliothekstypologie. Ausgangspunkt des Entwurfskonzepts war der das Werk von Rem Koolhaas prägende, aber nicht gebaute Wett- bliothekstypologie zu verbinden, kennzeichnet das Projekt. Für die Rotterdamer Architekten begann es 1998 nicht mit einem klassischen Architekturwettbewerb, sondern mit der Reaktion auf einen „open call“ durch die „Seattle Public Library Organisation“. Von 45 Architekturbüros forderte sie zehn zu einer konkreten Bewerbung auf. Im Mai 1999 stellten die drei Finalisten ZGT Architects, Seattle, Steven Holl, New York, und OMA vor 1700 Zuschauern die Ergebnisse eines Workshops zur Diskussion. OMA überzeugte das „Library Board“ mit seinen konzeptionellen Ideen für eine neuartige Bibliothekstypologie. Ausgangspunkt des Entwurfskonzepts war der das Werk von Rem Koolhaas prägende, aber nicht gebaute Wett-  bliothekstypologie zu verbinden, kennzeichnet das Projekt. Für die Rotterdamer Architekten begann es 1998 nicht mit einem klassischen Architekturwettbewerb, sondern mit der Reaktion auf einen „open call“ durch die „Seattle Public Library Organisation“. Von 45 Architekturbüros forderte sie zehn zu einer konkreten Bewerbung auf. Im Mai 1999 stellten die drei Finalisten ZGT Architects, Seattle, Steven Holl, New York, und OMA vor 1700 Zuschauern die Ergebnisse eines Workshops zur Diskussion. OMA überzeugte das „Library Board“ mit seinen konzeptionellen Ideen für eine neuartige Bibliothekstypologie. Ausgangspunkt des Entwurfskonzepts war der das Werk von Rem Koolhaas prägende, aber nicht gebaute Wettbewerbsentwurf für die Universitätsbibliothek von Jussieu in Paris von 1993. In der Bibliothek von Seattle erinnert vor allem der aufsteigende „urban walk“ an das damalige Konzept. Dieser verbindet mit gelb leuchtenden Rolltreppen gefaltete Ebenen und verschobene Plattformen und transformiert so die sonst monotonen Geschosse und Erschließungskerne der Hochhaustypologie in ein vertikales Raumkontinuum mit vielfältigen Blickbeziehungen. In einer dreimonatigen Researchphase wurde das Konzept 1999 zusammen mit der Seattle Public Library weiterentwickelt. Mit so prominenten Partnern wie der Microsoft Development Unit, dem Gates Center for Technology Access und dem Konzern Boeing entstand ein 500-seitiges Kompendium zum neuesten Stand der Bibliothekstechnik. Diese Studie machte deutlich, dass Bibliotheken als Orientierungshilfe und Überwindung der digitalen Kluft in einer komplexen Wissensgesellschaft auch zukünftig eine wichtige gesellschaftliche Funktion zukommen wird.
Neue Bausteine des überarbeiteten Bibliotheksmodells sind die automatisierte Buchrückgabe und -sortierung und ein markantes visuelles Orientierungssystem. Das knapp 6000 Quadratmeter große Informationszentrum, das die Architekten „mixing chamber“ nennen, und die übersichtliche Anordnung der bis zu 1,4 Millionen Bände Sachliteratur auf einer vierstöckigen, kontinuierlichen Betonrampe vereinfachen die Suche nach den Medien. Hemmungen der Benutzer gerade auch hinsichtlich der Suchvorgänge in einer Bibliothek werden so weit wie möglich abgebaut. Nur sieben Minuten soll es dauern, bis der Leser, geleitet durch die Beratung in der Buchspirale, punktgenau vor dem angefragten Buch steht. Die amerikanischen Dewey-Signaturen 000–999 sind in schwarze Gummistreifen im Betonboden eingelegt. Ähnlich einer Internetsuchmaschine bedient das „mixing chamber“ alle Sachbereiche an einem zentralen Ort. Egal, ob man sich zu Hause oder in der Arbeit aufhält: per Telefon oder E-Mail beantworten die Bibliothekare von hier aus die Leserwünsche aus der ganzen Stadt. Im Sinne einer heterotopen Verknüpfung koordinieren sie die Zirkulation der Medien in den 26 Zweigstellen und lassen so die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum, zwischen digitaler und realer Begegnung verschwimmen. Die Informationssuche wird zu einem kommunikativen Ereignis, der Besucher ist nicht mehr Bauwelt 23 2004 | 29 angewiesen auf das alleinige Blättern in Katalogbeständen. Diese funktionalen Verbesserungen waren für die Öffentlichkeit bei der Vorstellung des Vorentwurfs im Dezember 1999 nur schwer zu erkennen. „You don’t fit here“ war die spontane Reaktion vieler Zuschauer, als Rem Koolhaas ein Projekt vorstellte, das auf den ersten Blick an ein bei einem Erdbeben zusammengesunkenes Hochhaus erinnert. Unter der deformierten Hülle des amerikanischen Statussymbols kommt eine Bibliothek als überdimensionale Such- und Rotiermaschine zum Vorschein. Auch auf den Fotos einer späteren „Library Board“-Sitzung erkennt man die Fassungslosigkeit auf den Gesichtern der Jury. Dennoch reichte die Vertrauensbasis der einjährigen Zusammenarbeit für ein zaghaftes: „We don’t know what it is, but we can see the design accomplishes what we agreed to.“ Die Stadt war dann bis zur Fertigstellung in den Entwicklungsprozess intensiv einbezogen, 480 Mal wurde das Projekt vor Interessensgruppen und Gremien vorgestellt, zehn große öffentliche Entwurfspräsentationen wurden bestritten. Eine Schlüsselrolle in diesem öffentlichen Prozess spielten der in Seattle geborene verantwortliche Partner des OMA-Büros New York, Joshua Ramus, und das ortsansässige Büro LMN Architects, mit dem OMA eine Projektpartnerschaft einging. Noch 1995 beschrieb Rem Koolhaas in seinem Buch „SMLXL“ seine ambivalenten Erfahrungen mit einem globalen Architekturmarkt als chaotisches Abenteuer mit unüberschaubaren Randbedingungen auf unbekanntem Terrain. Fast zehn Jahre später bringt neben der Zentrale in Rotterdam und dem Büro in New York ein internationales Netzwerk mit über 80 Partnern aus allen Berufssparten interdisziplinäre Entwurfskompetenz in die Projekte ein.
Aufbauend auf diesen Erfahrungen überarbeiteten die Architekten gemeinsam mit der Bibliotheksleiterin Deborah L. Jacobs das vielschichtige Raumprogramm, das im Wesentlichen auf die Bibliotheken des Industriellen Andrew Carnegie (1835–1919) zurückgeht. Carnegie, der als Anthroposoph der Überzeugung war, sein immenser, mit der Stahlproduktion verdienter Reichtum verpflichte ihn gegenüber der Gemeinschaft, organisierte u. a. ein Netz von über 2500 Büchereien in der englischsprachigen Welt. In seinen Bibliotheken wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts eine hybride Mischung aus Büchern, Nachbarschaftshilfe, Musik und Boxkampf geboten, die es bis dahin noch nicht gegeben hatte. Auch die „Central Library“ in Seattle bietet als „crossroad“ für Schulen und kulturelle Organisationen auf drei viertel ihrer Fläche Aufenthaltsräume und Veranstaltungsflächen an. Vom Eingang an der 4th Avenue gelangt man direkt in die Kinder- und Fremdsprachenabteilung. Von hier aus führt eine der gelb leuchtenden Rolltreppen parallel zum Auditorium – dieses verfügt über 245 Plätze und ist variabel teilbar – hinauf in das verglaste Foyer. Viele Passanten nutzen diese transparente Innenraumpiazza für eine kurze Kaffeepause, bevor sie den Veranstaltungsbereich im unteren Teil des Gebäudes verlassen und über die nächste Rolltreppe die Informationszentrale „mixing chamber“ mit ihrer schwarz gestrichenen Stahldecke erreichen. Im hinteren Teil führt eine Treppe hinunter in die blutrot gestrichenen Bereiche mit den kompakt angeordneten Besprechungs- und Seminarräumen. Die meisten Besucher können es jedoch kaum erwarten, auf der engen einläufigen Rolltreppe mehr als vier Geschosse hinauf in den lichtdurchströmten Lesesaal getragen zu werden. Für alle, die bei der Fahrt nach oben ihr Buch vergessen haben, führt eine strahlend gelbe Stahltreppe hinab in den von SMLXL-Designer Bruce Mau gestalteten neutralen „Graphic Space“ der Buchspirale. Dem Aufbau eines klassischen Dramas ähnelnd – Exposition, retardierendes Moment, Peripetie und als Höhepunkt das Finale –, führt die spannungsvolle Raumfolge der neuen Bibliothek den Besucher durch alle Höhen und Tiefen des Lesens und endet abrupt am oberen Punkt der abfallenden Bücherspirale, wo man überrascht 15 Meter in die Tiefe blickt.



Fakten
Architekten OMA | LMN Joint Venture, Rotterdam; Koolhaas, Rem, Rotterdam; Ramus, Joshua, Rotterdam; Nesholm, John, Rotterdam; von Hof-Zogrotzki, Mark, Rotterdam; Sandmeier, Natasha, Rotterdam; Corwin, Meghan, Rotterdam; Ingels, Bjarke, Rotterdam; Patterson, Carol, Rotterdam; Balmond, Cecil, Arup, London; Mau, Bruce, Toronto
aus Bauwelt 23.2004
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