Bauwelt

Hochschule für Fernsehen und Film


Der Alten Pinakothek ein Gegenüber


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Foto: Dieter Leistner

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Ein wichtiger Baustein des Münchner Kunstquartiers ist fertig. Für das Doppelprojekt aus Hochschule für Fernsehen und Film und Staatlichem Museum Ägyptischer Kunst konnte Peter Böhm seinen siegreichen Wettbewerbsbeitrag ohne nennens­werte Abstriche umsetzen. Was vor allem städtebaulich gedacht wirkt, hält aber auch im Inneren Räume bereit, die im Gedächtnis bleiben.
„Einfachheit schafft Kraft.“ Mit drei Wörtern fasst Architekt Peter Böhm die Wirkung seines Neubaus für die Hochschule für Fernsehen und Film sowie für das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst zusammen. In der Tat ist es nicht so sehr  die schiere Länge des riegelförmigen Gebäudes als sein Auf­-bau aus nur wenigen Elementen, Materialien und Farben, der diese Kraft erzeugt: Auf einem massiv wirkenden Sockel aus gestocktem Beton lagert ein etwa gleich hoher, filigran und transparent wirkender Glaskörper auf; davor dehnt sich eine Rasenfläche bis zur Gabelsbergerstraße, gekreuzt von einer Rampe, die hinauf zum Foyer der Hochschule führt, und einer Treppenrampe, hinab zur ägyptischen Kunst; markiert eine zurücktretende Glasfront den Eingang in die Hochschule, formuliert eine frei vor dem Riegel stehende Wandscheibe den Zugang in das unterirdisch gelegene Museum.
Die große Geste, an der sich seit dem Wettbewerb für die beiden bis dahin beengt in Giesing und am Hofgarten untergebrachten Institutionen vor sieben Jahren (Bauwelt 47.2004) nichts Wesentliches geändert hat, vermittelt dem Passanten auf den ersten Blick den Anspruch, die Filmhochschule und die Sammlung ägyptischer Kunst inmitten all der öffentlichen Solitäre zwischen Königstor und Türkentor als neue Mitspieler zu etablieren – womit mal wieder Bewegung in deren fragiles Beziehungsgeflecht kommen dürfte. Denn das Kunstquartier, so formulierte es Sophie Wolfrum vom Lehrstuhl Städtebau der TU München einmal, gleiche einem Schachspiel: „Verschiebt man einen Stein, verändert sich auch die Beziehung zwischen den anderen.“ (Bauwelt 7.2009) Damals bot uns die Fertigstellung des Ausstellungsgebäudes für die Sammlung Brandhorst Anlass, die Gesamtentwicklung des Areals zu diskutieren. Gegenüber der seinerzeit von Gunter Henn im Auftrag der Stiftung Pinakothek der Moderne angedachten Schwerpunktbildung auf der Ostseite der Alten Pinakothek, wiesen wir hin auf die bestehende „Vielzahl inhaltlicher Beziehungen, die nichts mit einer Achse zu tun haben, dafür aber viel mit neuen, bisher längst nicht ausgeschöpften räumlichen Querverbindungen spielen“.
Der jetzt fertiggestellte Neubau von Böhm verdeutlicht und stärkt diese Querverbindungen. Mit dem rund 150 Meter langen, von der Arcisstraße im Westen bis zur Barer Straße im Osten reichenden Riegel gelingt es nicht nur, den Raum vor der fast ebenso langen Südseite der Alten Pinakothek nun als einen grünen Platz und nicht mehr als Abstandsfläche wahr­zunehmen. Aufgrund des Zurücktretens des neuen Gegenübers aus der Flucht der Gabelsbergerstraße ergibt sich auch eine bessere Verbindung zwischen Pinakothek der Moderne im Osten und Glyptothek im Westen. Diese Beziehung war vorher verstellt mit der grundstücksfüllenden Universitätsbebauung aus den sechziger Jahren, von der nur ein würfelförmiger Teil an der Barer Straße verblieben ist; ganz zu schweigen von der Wirkung, die die zuvor hier vom Büro Troost und Leonhard Gall geplante, 1938 begonnene NSDAP-Parteikanzlei in die Maxvorstadt gerammt hätte. Deren unterirdische Bunker mussten, wie so viele Spuren jener Zeit in diesem Teil von München, für den Neubau mit zehn Tonnen Dynamit in 200 Sprengungen beseitigt werden.
Gesteinsschichten oder ein Aquarell von Klee?
Es dürfte nicht zuletzt der gelungenen städtebaulichen Veränderung der Situation zu verdanken sein, dass dieses 99,4 Millionen Euro teure Doppelprojekt bislang keine ähnliche Kon­troverse ausgelöst hat wie der poppig-bunte Brandhorst-Bau von Sauerbruch & Hutton, vermutlich ist aber auch seine weniger gewöhnungsbedürftige Optik dafür verantwortlich – da­bei ist vor allem der Sichtbeton hier von ganz anderer Beschaffenheit, als es die Münchner beispielsweise von Braunfels’ Pinakotheksbau schräg gegenüber gewöhnt sind (Bauwelt 22.2002).
Auf den ersten Blick fällt auf, dass keinerlei Fugen dieses zwischen gelb, grau und einem leichten Rosé changierende Massiv gefügig machen; stattdessen geben die weichen Verläufe der sichtbaren Betonierabschnitte der geschlossenen Wand Maßstab und Struktur. Der Architekt spricht von der Absicht, eine „felsige Schichtung“ assoziieren zu lassen, aber auch von den Aquarellen Paul Klees, die diese Optik inspiriert hätten. Dem Beton wurde Porphyr beigemischt, der die Oberfläche farblich changieren und „natürlich“, eben felsartig, wirken lässt; hinzu kommt noch eine gestockte Oberfläche. Die üblichen Dehnungsfugen waren dank ausreichend Bewehrungsstahl vermeidbar. Auch das Foyer wird von dieser Stofflichkeit geprägt – typisch Böhm, denkt der Betrachter, und, darauf angesprochen, bestätigt der Architekt, dass er mit dieser Materialbehandlung an die Betonexperimente seines Vaters bei den Kir­chen in Kassel und Köln anschließen wollte: jedoch, bitteschön, mit einem besserem Resultat.
Dem Qualitätsanspruch der Hochschule ist diese archaische Anmutung entgegengekommen: Der Nutzer habe ausdrücklich ein Auftreten unterstützt, das handwerklich geprägt sei und dauerhaft wirke, erzählt Böhm, und jede vielleicht naheliegende Anspielung an die Institution „Filmhochschule“ mit bewegten Bildern, Pixeln und elektronischen Spielereien gleich welcher Art zurückgewiesen. Aus diesem Grund ist auch die geschwungene Wand entfallen, die noch im Wettbewerbsentwurf die Rampe hinauf zum Eingang begleitet hatte und als Projektionsfläche dienen sollte – Filme, so der Nutzer, möge sich der Interessierte bitte auf einer Leinwand im Kino anschauen, wo sich die nötige Konzentration einstellen kann, nicht aber im städtischen Raum.
So ist denn das Museumsviertel um ein Gebäude reicher, das, bei aller Zeitgenossenschaft, auf jedes modische Accessoire verzichtet. Aber wie fügen sich die beiden Funktionen in diese städtebaulich so gut begründet Architektur?
Oben – die Hochschule für Fernsehen und Film
Die Außenansicht legt es nahe: Die gut 9000 Quadratmeter Hauptnutzfläche bietende Hochschule bildet sich mit ihren unterschiedlichen Bereichen in der Architektur ab; zentraler Verknüpfungspunkt ist das Foyer – auch wenn dieser großzügige Raum nicht in der Mitte des Riegels angeordnet wurde. Unmittelbar angrenzend finden sich die besonders stark frequentierten Bereiche der Institution: die Auditorien („Kinos“ nennt sie der Architekt), die Cafeteria, die sich zur sonnigen Hofseite öffnet, die Bibliothek in den ersten Obergeschossen, die sich ebenfalls nach Süden orientiert, den Blick hinüber zur Alten Pinakothek aber immerhin durch die schmalen Fenster der Einzelarbeitsplätze gewährt. Außer als Verteilungsraum soll das Foyer auch als Platz für die Feste der Hochschule dienen. Die vielen kreuzenden Rampen und der raue Beton sollen die Studenten ihre Bildungsstätte eher als Werkstatt denn als Labor begreifen lassen, als Ort jedenfalls, wo es zuallererst auf Phantasie und Lust am handwerklichen Ausprobieren ankommt. Für den architektonisch interessierten Besucher ge­ben sich die teils roh anmutenden Oberflächen aber auch als Hommage an Döllgasts Wiederaufbau der Alten Pinakothek zu erkennen, mit dem sich dann natürlich auch die einläufige Treppe assoziieren lässt, die im Zentrum des Grundrisses die Lehr-, Arbeits- und Verwaltungsräume in den Obergeschossen des langgestreckten Hochschulriegels mit dem Foyer verbindet und die sich in Zukunft zu einem ähnlich ikonographischen Begegnungsraum der Hochschule entwickeln könnte wie einst die Treppe im Dessauer Bauhaus-Gebäude. Zu wörtlich will Böhm die Verbindungen hinüber zur anderen Straßenseite aber nicht verstanden wissen – große, einläufige Treppen hätten schließlich bereits die Köln-Arena und ihre an­grenzenden Bürogebäude geprägt (Bauwelt 44.1998).
Doch bleiben wir zunächst im Erdgeschoss, wo sich hinter der Bibliothek mit den Studios das eigentliche Herz der Hochschule anschließt: eine aufwendige „Haus-in-Haus“-Kon­struktion, die, auf Neopren gelagert, störende Umwelteinflüsse abschirmt, um optimale Aufnahmebedingungen zu bieten. Apropos aufwendig: Die notwendig stützenfreien Stu­dios, aber auch das Foyer mit seinen kreuzenden Brücken erforderten die Überspannung mit zwei gewaltigen, drei Geschosse hohen Fachwerkträgern, die während der Bauzeit eindrucksvoll in den Luftraum ragten. Auch heute noch treten sie in Erscheinung, und zwar mit ihren diagonalen Verstrebungen, die die Flure in den Obergeschossen begleiten.
Der Sockel öffnet sich gegenüber den Studios mit großen Toren zur Anlieferung. Wer hinaus tritt, wird hier, auf der Block­innenseite, des architektonisch schwächsten Teils des Projekts ansichtig: der zwei auf der Hofseite angeordneten Nebengebäude. Ihr Fassade besteht nicht aus  gestocktem Beton, sondern Wärmedämmverbundsystem. Hier befindet sich die Verwaltung des Museums. Einfachheit, wird hier wieder einmal deutlich, bedarf des raffinierten Details, der Sinnlichkeit des Materials, der räumlichen Dramaturgie in besonderem Maße, will sie den Betrachter gewinnen. Die Mitarbeiter des Museums können von hier aus die unter der Erde angeord­nete Ausstellung auf direktem Weg erreichen – eindrucksvoller aber ist der Weg, den die Besucher nehmen werden, wenn die Einrichtung 2013 öffnet.
Unten: Das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst
Zur Zeit präsentiert sich das Museum mit seiner Hauptnutzfläche von 3750 Quadratmetern als leere Hülle; es fehlt noch die Ausstellungsarchitektur, vor allem aber fehlen, mit einer Ausnahme, die Exponate. Ein Urteil ist also nur bedingt möglich – dafür kommt der pure Raum zur Geltung; der Wechsel von Enge und Weite, Licht und Dunkelheit, mit dem Peter Böhm eine verwandte Wirkung erzeugen wollte, wie er sie bei den antiken ägyptischen Tempelanlagen studiert hat.
Ein unterirdisches Museum ist häufig eine vertane Chance – nicht so hier. Die vor dem Hochschulriegel stehende Wandscheibe verleiht der Institution Präsenz im Stadtraum; der gedrungen wirkende Eingang und die feierlich anmutende Stufenrampe erzeugen eine Monumentalität, die dem Besucher hilft, aus der Großstadt der Gegenwart in die Welt der vergan­ge­nen Hochkultur einzutauchen. Nachdem das Portal passiert ist, folgt ein niedriger Empfangsraum, der nach links blicken lässt: in den dreieinhalb Meter tiefer liegenden Skulpturensaal. Eine flache Treppenanlage führt hinab; durch eine Säulenreihe fällt gleichmäßiges Nordlicht. Die im Querschnitt immerhin 1,60 Meter messenden Säulen wirken dank ihres dreieckigen Grundrisses nur von einer Seite als massive Körper, von der anderen scheinen sie so zart wie Papier. Sie begleiten einen schmalen, langgestreckten Lichthof; gegenüber liegt ein etwa identisch großer zweiter Skulpturensaal, hinter diesem ein weiterer, jedoch fast tageslichtloser Saal; mehrere Ka­binette dienen als Verbindung.
Die Abfolge dieser geometrisch klaren, mit Sichtbeton und Muschelkalk materialisierten Räume dürfte dem Besucher die Orientierung erleichtern und auch mit vielen Exponaten bestückte Bereiche großzügig wirken lassen (sofern sich das Museum beim Trockenbau in Zurückhaltung übt). Dass die Architektur die Kunst nicht bedrängt, ist an der östlichen Stirnseite des Lichthofs bereits zu ahnen: Hier, wo der Obelisk des Titus Sextius Africanus, der aufgrund seiner Höhe von 5,80 Metern während der Bauphase installiert werden musste, schon auf die übrigen Exponate wartet, erklärt sich angesichts dessen reliefüberzogener Oberfläche der Verzicht auf den „felsigen“ Beton des Außenbaus auf Anhieb.



Fakten
Architekten Böhm, Peter, Köln
Adresse Gabelsbergerstraße 80333 München


aus Bauwelt 42.2011
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