Bauwelt

Häuser am Hang


Camouflage und innere Werte


Text: Paul, Jochen, Zürich


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    Foto: Thomas Jantscher

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In der Nähe von Sion im Schweizer Wallis haben François Meyer Architekten und Cheseauxrey Architekten Häuser am Hang gebaut, die sich deutlich von der bestehenden Alpenarchitektur absetzen. Die Entwurfskonzepte beider Bauten orientieren sich am offenen Grundriss und der Rahmung des Ausblicks.
In den vierziger und fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzten die Werbeplakate des Walliser Fremdenverkehrsamts auf den Slogan „Valais – le pays du soleil“. Eine Woche vor Weihnachten ist in Sion von der Sonne nichts zu sehen. Der Himmel ist nebelverhangen, es ist nasskalt und regnet. Trotzdem: Das Wallis boomt, unter dem seit 2007 amtierenden Kantonsarchitekten Olivier Galletti floriert das Wettbewerbswesen, Architekturbüros und Baufirmen haben gut zu tun.
Einzig die Mitte März vom Schweizer Stimmvolk angenommene Initiative „Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen“ wirft einen Schatten auf die wirtschaftliche Entwicklung des Tourismuskantons: Die von der Fondation Franz Weber und Helvetia Nostra auf den Weg gebrachte Gesetzesvorlage begrenzt den Anteil von Zweitwohnungen auf 20 Prozent des Gesamtbestands – ein Wert, der in den zahlreichen alpinen Ferienorten längst überschritten ist. Die beiden Häuser Iseli und Cuccinelli sind jedoch Erstwohnsitze und fallen nicht unter diese Regelung.
Haus Iseli
Fährt man von Sierre nach Venthône, fällt einem am Ortsausgang das Haus Iseli trotz seines zweifarbigen Tarnanstrichs sofort ins Auge: Seitdem sich das am rechten Ufer der Rhone gelegene mittelalterliche Rebbauerndorf mehr und mehr zu ei­ner Wohngemeinde entwickelt, wird auch zwischen den Weinbergen gebaut – meist ohne besonderen architektonischen Anspruch. Das oberhalb des eigenen Weinbergs in Steillage gelegene Einfamilienhaus schottet sich zur Nachbarbebauung maximal ab. Die fensterlose Schmalseite des Hauses gibt sich, abgesehen von der aus der Mitte gerückten verglasten Eingangstür, zur Straße hin abweisend. Der Vorplatz ist beidseitig von einer Mauer gefasst. Der Weinberg, der zusätzlich für Abstand zu den Nachbarn sorgt, wird von einem Pächter bewirtschaftet.
Im Inneren bietet sich ein gänzlich anderer Eindruck: Schließt man die Haustür hinter sich, steht man in einem asymmetrischen, komplett offenen Raum, der zur Terrasse geschosshoch verglast ist – und der bei schönem Wetter einen spektakulären Blick über die Weinberge bis ins Rhonetal und den Forêt du Ban eröffnet. Aus diesem Blick leiten sich die beiden zentralen Entwurfsthemen ab: Die „Rahmung“ der Landschaft über die Fensterteilung und der „Knick“, der sich im Grundriss, in der Neigung des flachen Satteldachs und in der nach innen eingefalteten Südfassade wiederfindet. Die Glasfront zur rautenförmigen Terrasse lässt sich über zwei unterschiedlich große Schiebetüren öffnen.
Materialität und Farbigkeit der Oberflächen verstärken den monolithischen Raumeindruck. Wände, Dachuntersicht und Fußboden sind in unterschiedlich behandeltem Sichtbeton ausgeführt: Über Wand- und Deckenflächen legt sich das Muster der Schaltafeln, die Böden sind geschliffen und versiegelt, die Stufen der Treppe ins Untergeschoss leicht angeraut. Sämtliche Leuchten sind flächenbündig in Wände und Decken integriert. Farbliche und räumliche Akzente setzen der freistehende weiße Küchenblock, das maßgefertigte weiße Sideboard im Wohnbereich und die Treppenbrüstung mit hellgrünen Innenseiten. Dagegen greifen die steingrauen Einbauschränke der offenen Küche – es gibt im rückwärtigen Teil auch noch eine separate Anrichte – die Farbigkeit des Betons auf. Als pensionierter Bauingenieur hatte der Bauherr, anders als viele Einfamilienhausbauer, zwar ein Faible für Beton, Vorgaben machte er den Architekten diesbezüglich aber nicht.
Der Raum im Untergeschoss ist um die Fläche der Terrasse größer als der darüber liegende. Er fächert sich  um einen in Weiß gehaltenen Kern auf, der mit Regalen und Einbauschränken versehen ist und ein Duschbad ein Gäste-WC aufnimmt. Mit zwei Schiebetüren lässt sich das fließende Kon­tinuum in bis zu drei separate Räume unterteilen. Die Badewanne steht offen in einer Wandnische des Schlafbereichs und bietet dem Badenden einen spektakulären Blick über die Weinberge. Der Waschtisch ist nahtlos in die lichtgrauen Einbauschränke an der Längswand integriert.
Dahinter liegt ein Raum, den es ursprünglich gar nicht hätte geben sollen. Im jetzigen Gästezimmer war zunächst ein Technikraum mit Heizungskessel und Warmwasserboiler, Wärmetauscher und kontrollierter Lüftung geplant. Wegen des starken Gefälles liegt das Fundament der Südfassade um ein Geschoss tiefer. Der Bauherr entschied sich, das Budget für die Aushubarbeiten aufzustocken und die Haustechnik in diesem Geschoss  in einem eigenen Raum unterzubringen. Dieser ist allerdings nur über einen separaten Eingang zugänglich. Diesen Nachteil wiegt die Tatsache auf, dass im Nebenraum noch ein Weinkeller Platz fand.
Haus in Saviès
Szenenwechsel, zurück in Sion. Hier kann sich der Besucher anschauen, wie eine ähnliche Aufgabenstellung zu einem ganz anderen Ergebnis führen kann. Als mir Sébastien Vitre von Cheseauxrey Architectes auf dem Weg nach Savièse zu ihrer im Juli fertiggestellten Maison Cuccinelli sagt: „Es ist das beige Haus dort oben“, kann ich es auf den ersten Blick nicht ausmachen. Die meisten der oberhalb der Weinberge nördlich von Sion gelegenen Häuser sind ockergelb, beige oder braun. Doch die Zurückhaltung ist Programm: Das Selbstverständnis und die Entwurfshaltung der Architekten basieren auf dem Respekt vor dem Ort und dem behutsamen Umgang mit dem Bestand. Das Haus in Hanglage ist nur über eine schmale, stark ansteigende Stichstraße zu erreichen. Oben angekommen, fallen die klare Gliederung und die unaufgeregten Proportionen des Baukörpers auf.
Das Erdgeschoss ist zur Straßenseite in brettergeschaltem, anthrazitgrau gestrichenem Sichtbeton ausgeführt. Zum Hang hin setzt sich dieser in einer Wand fort, die die um eine Etage höher liegende Wandscheibe abfängt. Die beiden oberen, zur Vorfahrt hin auskragenden Geschosse sind mit ei­nem Wärmedämmverbundsystem und einem beigefarbenen Spritzputz versehen. Die Architekten wollten ein möglichst einfaches Haus entwerfen, das sich sensibel in die Umgebung einfügt und gleichzeitig den Joker der nach drei Seiten unverbaubaren Sicht ausspielt: Nach Westen reicht der Blick über das Rhonetal bis nach Martigny, nach Süden über Sion in das Val d’Hérens und die Walliser Alpen, nach Osten in die Berner Alpen.
Diese Entwurfsidee lässt sich jetzt an der Gliederung der Fassade ablesen: Sowohl die raumhohen Fenster im ersten Obergeschoss als auch die liegenden Formate im zweiten Obergeschoss sind so platziert, dass sie aus jedem Raum den jeweils besten Blick eröffnen. Dabei beschränkten sich die Architekten auf ein Fenster pro Himmelsrichtung und Etage. Lediglich die beiden stehenden Festverglasungen auf der Nordseite, mit Blick auf die Trockenmauer des Nachbargrundstücks, folgen nicht dieser Entwurfsidee.
Das Erdgeschoss nimmt neben einem überdachten Carport die Erschließung und die Stau- und Technikräume auf. Wohnen, Kochen und Essen spielen sich im ersten Obergeschoss ab. Mit dem Erreichen des Treppenabsatzes wechselt der Bodenbelag, auf Sichtbeton folgen Eichendielen. Den Posten hierfür und für den frei in der Mitte des offenen Raumes stehenden Küchenblock wollten die Eigentümern an anderer Stelle innerhalb des Budgets kompensieren: Der restliche Ausbau erfolgte weitgehend in Gipskarton – der Vater des Bauherrn hat eine Trockenbaufirma. Der gestalterische Anspruch war dennoch hoch. Die Räume im zweiten Obergeschoss sind gut proportioniert, Wand- und Deckenleuchten flächenbündig integriert, die Bäder hochwertig ausgestattet und die Einbauschränke im Schlafzimmer wie auch die Küchenzeile maßgefertigt.  



Fakten
Architekten François Meyer Architekten, Sàrl; Cheseauxrey Architekten, Sàrl
aus Bauwelt 3.2013
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