Bauwelt

„Bauen als Genossenschaft bietet nicht nur ökonomische Vorteile.“


Wohnbau am Gartenweg


Text: Fitz, Angelika, Wien


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    Foto: Hertha Hurnaus

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Michael Obrist und Peter Zoderer vom Büro feld72 über die Möglichkeiten partizipativer Wohnbaumodelle im ländlichen Raum am Beispiel ihres Wohnbaus am Gartenweg in Kaltern/Südtirol.
Gemeinschaftliches Wohnen, großzügige Schnittstellen zwischen privat und öffentlich, individuelle Wunschgrundrisse gepaart mit einer zeitgenössischen Formensprache: Bisher musste man sich einer Baugruppe in der nächst größeren Stadt anschließen, um diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Doch die Grenzen zwischen urbanen und ländlichen Lebensweisen werden durchlässig. Und das österreichisch-italienische Büro feld72 nutzt die Gunst der Stunde und seine fundierten Erfahrungen mit Mitbestimmungsprozessen. Beim genossenschaftlichen Wohnbau „Gartenweg“ zeigen die Architekten, wie aus weiser politischer Voraussicht und ökonomischer Notwendigkeit eine neue Wohnbaukultur im dörflichen Kontext entstehen kann. Die kleine Südtiroler Gemeinde Kaltern nimmt dabei – wieder einmal – eine Vorreiterrolle ein.  Angelika Fitz
In der Regel ist man im ländlichen Raum mit einem Teppich von Einfamilienhäusern konfrontiert. Wie kommt es, dass in Kaltern eine verdichtete Wohnform wie das Projekt „Gartenweg“ auftaucht?
Michael Obrist | In Südtirol  existiert bereits seit Ende der 1970er Jahre ein Raumordnungsgesetz, das Bauen auf der Grünen Wiese unter schwere Auflagen stellt. Die Gemeinden werden gezwungen, ihre Dorfkerne zu verdichten oder präzise Gebiete auszuschreiben, die für den geförderten Wohnbau genutzt werden. Da schließen sich dann vornehmlich junge Leute zu Genossenschaften zusammen, um von den ökonomischen Vorteilen des kollektiven Bauens zu profitieren. Aber das hat in der Regel zu sehr banalen Reihenhaussiedlungen geführt.
Bei Ihrem Projekt fungierte eine bestehende Genossenschaft als Träger und es gab einen Wettbewerb. Wie kam das zustande?
MO | Bereits im Wettbewerb zum Bebauungsplan, den die Gemeinde als Besitzerin des Baulands wollte, waren sehr dezidiert Alternativen zur Reihenhaussiedlung gewünscht.
In den letzten Jahren hat es das kleine Kaltern mit Bauten wie dem Weingut Manincor von Walter Angonese, Rainer Köberl und Silvia Boday, dem Weinhaus Punkt von Hermann Czech, dem spektakulären Freibad von the nextENTERprise oder dem Winecenter Ihres Büros auf die internationale
Architekturlandkarte geschafft. Inwieweit spielt die Architek­turoffensive der letzten Jahre eine Rolle für Ihr Projek
t?
MO | Man kann schon sagen, dass Kaltern architektonisch sensibler geworden ist. Es entsteht eine Form von Bewusstsein und Stolz in der Bevölkerung. Und es gibt schon länger eine sehr aufgeklärte Verwaltung.
Wobei die Aufgabenerweiterung signifikant ist. Bisher standen touristische Bauten im Fokus, jetzt ein Wohnbau.
Peter Zoderer | Der Klient ist ein ganz anderer, das war die Herausforderung. Wir wollten zeigen, dass bauen als Genossenschaft nicht nur ökonomische Vorteile bietet, und haben dazu viele Themen, die für die meisten sicher neu waren, auf den Tisch gelegt. Es war natürlich nicht alles umsetzbar.
Welche Leitideen sind geblieben?
PZ | Das Thema privat-öffentlich. Normalerweise startet jeder Bauherr mit der Vorstellung, möglichst viel privaten Raum zu haben und die Kosten für das Gemeinschaftliche zu reduzieren. Wir haben es, in einem sehr langen Prozess geschafft, ein Verhältnis von 50:50 zu erreichen. Die Gemeinschaftsflächen werden nicht mehr als verlorene Fläche gesehen. Die Bewohner sagen, „es ist wie im Club“ – wahrscheinlich weil keine Autos fahren dürfen.
MO | Es ist sehr ungewöhnlich in einem Dorf, dass man mit dem Auto nicht vor die Haustür fahren kann, obwohl von der Tiefgarage alle schnell in ihre Wohnung kommen. Das hat lange gebraucht. Und es war wichtig, schon im Wettbewerb mit Landschaftsplanern zusammen zu arbeiten, mit dem Wiener Büro PlanSinn.
Weil in der Argumentation für das Projekt die Außenflächen extrem wichtig sind?
MO | Ein schlagender Beweis dafür ist, dass die Kinder von Nachbarssiedlungen jetzt hier spielen. Der Raum hat sich wirklich zu dem entwickelt, was wir vorhatten. Man trifft sich, es ist ein öffentliches Wohnzimmer.
Die Straße als Schnittstelle zwischen privat und öffentlich, als Ort, der ein Aufeinandertreffen ermöglicht – das ist eine genuin urbane Figur. Ist das ein Symptom für die Durch­lässigkeit der Sphären von „ländlich“ und „urban“?
MO | Die Biographien der Leute sind anders geworden. Trentino-Südtirol ist die Region Italiens mit der höchsten Dichte an Firmen, die eine IP-Adresse haben. Die Ideologie lautet smart und klein. Dazu kommt, dass die traditionellen Dorfstrukturen dicht sind. Es sind Verhandlungsräume, wo öffentliches Leben mit südlichem Charakter stattfindet. Und diverse Dorffeste unterscheiden sich kaum mehr von städ­tischer Eventkultur .
Die Planung des Wohnprojektes wurde von einem intensiven partizipativen Prozess begleitet. Welche Themen gaben am meisten Anlass zu Diskussionen?
PZ | Natürlich sind die Mieter ganz unterschiedlicher Herkunft. Trotzdem haben sie eine ähnliche Wohnform im Kopf gehabt. Da zeichnen sich ganz klar Stereotypen ab, die manche mit der Zeit verlassen haben, während andere beharrlich darauf bestanden. Als kleines Beispiel: der Wunsch nach einem eigenen Ofen. Um eine gewisse Autarkie in der Wohnung zu haben. Das steht natürlich im Widerspruch zum Niedrigenergiehaus.
Konnte diesem Wunsch entsprochen werden?
PZ | Ja, mindestens die Hälfte der Wohnungen hat einen Ofen.
Nochmals zum Planungsprozess: Zu welchem Zeitpunkt sind die zukünftigen Bewohner hinzu gekommen?
MO | Man gewinnt den Wettbewerb mit einem Bebauungsplan, der die Typologie, also die Form, wie die Gebäude in der Landschaft stehen, vorgibt. In den Kubaturen mussten wir 25 Wohnungen, von 80 bis 110 Quadratmetern unterbringen. Das folgt einem Schlüssel, denn die Leute kennt man noch nicht.
Die  spezifischen Grundrisswünsche kamen also erst nachträglich?
MO | Das klingt alles einfach, wenn die Dinge nicht so wären, wie wir sie gemacht haben, nämlich extrem verschachtelte Kubaturen, bei denen keine Wohnung gleich ist. Das sind zum Teil tetrisartige Wohnungen mit Rundumblick.
Wie kann man sich den Beteiligungsprozess vorstellen?
PZ | Seitens der Genossenschaft wurden vier bis fünf Planungsgespräche mit den zukünftigen Bewohnern vorgesehen. Wobei sich ein Planungsgespräch jeweils als Workshop über mehrere Tage erstreckt. Konkretes Beispiel: Die Nutzer hatten einen Kriterienkatalog mit ihren Wünschen erarbeitet, für Wohnung und Außenflächen. Darauf haben wir mit einem Vorschlag reagiert, der dann in sogenannten Vollversammlungen, das waren inklusive Kinder 60 bis 70 Leute, diskutiert wurde. Dort hat man sich auf allgemeine Änderungen geeinigt und ist dann mit jedem einzeln bezüglich seiner Wohnung in Planungsgespräche gegangen.
Es braucht viel Vermittlungsarbeit, damit man sich so komplexe räumliche Strukturen vorstellen kann. Arbeiten Sie da mit Modellen?
PZ | Es gab Modelle im Maßstab von 1:200 und 1:100. Das war für die Topographie ausreichend. Das ist das eine. Aber die richtige Wohnung zu finden und die Qualitäten zu verstehen, das war komplex, einschließlich des finanziellen Aspekts. Es wurde jede Wohnung unterschiedlich bewertet, eine Erdgeschosswohnung mit einem 100-Quadratmeter-Garten anders als eine im Dachgeschoss. Es gibt keinen Aufzug in der Anlage und man muss drei Geschosse überwinden, in Mai­sonetten sogar vier. Und das wird dann wieder gegengewertet mit der Aussicht.
Und die Barrierefreiheit im Alter?
PZ | Die Nutzer entschieden sich gegen den Aufzug, obwohl man das in dieser Anlage kaum nachträglich einbauen kann. Da zeigt sich der ökonomische Druck
Von welchem Quadratmeter-Preis sprechen wir?
PZ | Mit Grundstück, was in Südtirol extrem teuer ist, war die Kostenvorgabe 2600 Euro. Wir haben das letztendlich für 2200 Euro gemacht. So zahlt man zum Beispiel für eine der größten Wohnungen über zwei Geschosse, mit Garage, Kel­-ler, Terrasse und Panoramablick knapp 340.000 Euro.
Auf dem freien Markt würde man das Doppelte bezahlen.
Was ist das eigentlich für eine Typologie? In den Projekt­texten ist die Rede von einer „Wohnbauerweiterungszone“ oder einer „Agglomeration aus Einzelgebäuden“. Ist es eine Siedlung oder ein Wohnbau?
MO | Eine schwierige Frage: An sich ist es ein einziges Haus, wenn man es ausgraben würde. Ein Wohnbau, der in der Erdgeschosszone zusammenhängt.
PZ | Aus der Ferne sieht man diese acht Häuser, in Anleh­nung an Einfamilienhäuser, aber dazwischen, in der unteren Reihe, hat man eben auch diese in die Geländekante ein­geschobenen Wohnungen.
MO | Du denkst, dort ist grüne Wiese, und eigentlich sind da Wohnungen.
Das Ganze scheint eine Mischform zwischen einem klassischen genossenschaftlichen Wohnbau und einem Bau­gruppenmodell. Woran orientiert man sich?
PZ | Wir haben unsere eigenen Werkzeuge entwickelt, unter anderem in Projekten wie dem „Million Donkey Hotel“, einem partizipativen Kunst-und Architekturprojekt in Prata Sannita in Süditalien, und in Köln beim Rahmenplan für die Bildungslandschaft Altstadt Nord.  Das Wichtigste ist, die Rollen klar zu definieren. Den Bebauungsplan haben wir vorgegeben. Sobald es in die vier Wände ging, gab es nur mehr die Regel, dass Installationsschächte bleiben, wo sie sind.
Nun ist das Projekt ja aber nicht roh-, sondern endausgebaut übergeben worden, aber sehr individualisiert?
PZ | So kann man es sagen. Damit das auch funktioniert, gab es für jede einzelne Partei zuerst ein zweistündiges Gespräch bei uns, dann bei den Landschaftsplanern und dann beim Haustechniker. Das ging über mehrere Wochen, war also sehr aufwendig, aber notwendig, weil an einem gewissen Punkt manche das Gefühl hatten, dass alles überreglementiert sei.
Es brauchte ein Ventil für die Individualisierung?
PZ | Genau, und das haben der eine oder andere dann auch ziemlich ausgiebig genutzt.
MO | Unser Ziel war, das auf die Außenhaut rückzuspiegeln und so eine Ästhetik des Gewachsenen in die Fassaden zu bekommen. Es gab einfache Spielregeln, welche Typologie ein Fenster in einem bestimmten Abschnitt haben sollte, aber man konnte es vergrößern oder verschieben.
Die Ästhetik des Alltäglichen entwickelte sich also von Innen her. Das Thema Ortsbild, Landschaftsbild ist in einem touristischen Ort wie Kaltern sicher besonders sen­sibel?
MO | Typologien, die man im Ort findet, haben uns interessiert. Aber das Dorf verändert sich und es gibt genug Leute, die bestimmte Qualitäten neu übersetzt haben wollen. Das Banalste aller Themen ist immer noch eines der wichtigsten, nämlich die Dachform. Der Architekturdiskurs redu­-ziert sich auf 25 cm Dachvorsprung.
Wird es in der Region Nachfolgeprojekte geben?
MO | Erstaunlicherweise gibt es sie schon, unter anderem weil das Amt für Raumordnung  dieses Projekt als Pionier­beispiel propagiert. Und wir haben vor kurzem einen weiteren Bebauungsplan in einer anderen Gemeinde gewonnen. Die Sensibilität wird größer, wenn Leute das Projekt besich­tigen und sehen, was man als Genossenschaftsmitglied umsetzen kann.



Fakten
Architekten feld72, Wien
Adresse Gartenweg 2, 39052 Kaltern, Italien


aus Bauwelt 29.2011
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