Kultur- und Kreativareal in Chemnitz-Sonnenberg
Eine der Interventionsflächen der Kulturhauptstadt ist das quartiersbezogene Kultur- und Kreativareal „Stadtwirtschaft“ im Wohngebiet Chemnitz-Sonnenberg.
Text: Menting, Annette, Leipzig
-
Haus A steht mittig im Block und ist von einem Event-, einem Produktions- und einem Kreativhof umgeben.
Foto: Tjark Spille
Haus A steht mittig im Block und ist von einem Event-, einem Produktions- und einem Kreativhof umgeben.
Foto: Tjark Spille
-
Die neuen Fassadenmateria-lien Holz und Polycarbonat greifen den robusten Charakter der Zweckbauten auf und fügen sich in das Bestandsensemble ein.
Foto: Tjark Spille
Die neuen Fassadenmateria-lien Holz und Polycarbonat greifen den robusten Charakter der Zweckbauten auf und fügen sich in das Bestandsensemble ein.
Foto: Tjark Spille
-
Im hinteren Abschnitt des Hauses befinden sich im Erdgeschoss Werkstätten, darüber Co-Working-Spa- ces und Ateliers. Der Gebäudekopf mit öffentlichen Funktionen erfuhr eine nach außen hin deutlicher sichtbare Transformation. Auch innen wurde allerdings stark Hand angelegt, um die Tragfähigkeit zu gewährleisten.
Foto: Tjark Spille
Im hinteren Abschnitt des Hauses befinden sich im Erdgeschoss Werkstätten, darüber Co-Working-Spa- ces und Ateliers. Der Gebäudekopf mit öffentlichen Funktionen erfuhr eine nach außen hin deutlicher sichtbare Transformation. Auch innen wurde allerdings stark Hand angelegt, um die Tragfähigkeit zu gewährleisten.
Foto: Tjark Spille
-
Eine Brücke verbindet das Blockinnere mit der höher gelegenen Jakobstraße.
Foto: Tjark Spille
Eine Brücke verbindet das Blockinnere mit der höher gelegenen Jakobstraße.
Foto: Tjark Spille
-
Das zentrale Haus A enthält einen Veranstaltungssaal und darunter eine Kantine.
Foto: Tjark Spille
Das zentrale Haus A enthält einen Veranstaltungssaal und darunter eine Kantine.
Foto: Tjark Spille
-
Für die räumliche Variabilität des neuen Veranstaltungssaals wurde die Anzahl der Stützen reduziert, und die verbliebenen Holzstützen wurden mit einer Stahlstruktur verstärkt.
Foto: Tjark Spille
Für die räumliche Variabilität des neuen Veranstaltungssaals wurde die Anzahl der Stützen reduziert, und die verbliebenen Holzstützen wurden mit einer Stahlstruktur verstärkt.
Foto: Tjark Spille
-
Das Tragwerk im Erdgeschoss musste ersetzt werden.
Foto: Tjark Spille
Das Tragwerk im Erdgeschoss musste ersetzt werden.
Foto: Tjark Spille
-
Neue Leitungen für Wasser, Elektrik ...
Foto: Tjark Spille
Neue Leitungen für Wasser, Elektrik ...
Foto: Tjark Spille
-
... und Telekommunikation sind sichtbar verlegt.
Foto: Tjark Spille
... und Telekommunikation sind sichtbar verlegt.
Foto: Tjark Spille
-
Instandsetzungen erfolgten minimalistisch.
Foto: Tjark Spille
Instandsetzungen erfolgten minimalistisch.
Foto: Tjark Spille
Heute finden sich in Chemnitz-Sonneberg kaum mehr Anhaltspunkte, die ahnen ließen, wie stark das ehemalige Arbeiterquartier noch bis in die neunziger Jahre hinein von Leerstand und Verfall geprägt war. Einige Freiflächen in dem dichtbebauten Viertel sind Zeugnisse des Rückbaus aus dem „Stadtumbau Ost“-Programm. Auf einer Grünfläche steht ein gründerzeitliches Haus auffallend isoliert – anders als seine Nachbarn wur-de es 2010 durch den Kauf von einer Privatinitiative vor dem geplanten Abbruch bewahrt. Seither wird es von der Kulturakteurin Mandy Knospe und dem Klub Solitaer e.V. als gemeinnütziges Atelier- und Künstlerhaus betrieben. Dies war ein Auftakt, das Quartier zu aktivieren und niedrigschwellige, kulturelle Orte zu schaffen wie das Theater „Off-Bühne Komplex“ und weitere Ate-lierhäuser. Das Amt für Stadterneuerung nahm den Impuls auf und entwickelte hier seit 2016 die „Stadtwirtschaft“, ein neues Kultur- und Kreativ-areal im Bestand eines alten Wirtschaftshofs.
Die Ausgangssituation für die Arbeitsgemeinschaft der Architekturbüros AFF aus Berlin und Georgi aus Chemnitz war eine Reihe von Nutzbauten, die zum großen Teil aus den 1890er-Jahren stammen und der kommunalen Stadtreinigung rund hundert Jahre zur Unterhaltung ihres Fuhrparks und für Verwaltungs-, Wartungs- und Lagerzwecke gedient hatten. In den 1990er-Jahren wurde die Nutzung eingestellt, und das Gelände lag weitgehend brach. Ziel der behutsamen Erneuerung war es, die Bauten auf Basis einfacher Ausstattungsstandards herzurichten – orientiert an dem im „Bauteilkatalog – Niedrigschwellige Instandsetzung brachliegender Industrie-areale für die Kreativwirtschaft“ vorgestellten Modell, das Jana Reichenbach-Behnisch 2017 im Rahmen der Forschungsinitiative Zukunft Bau desBBSR erarbeitet hat. Einer der Bestandsumbauten war auch exemplarisch in das Forschungsprojekt eingebunden und wurde bereits 2019 abgeschlossen. Die weitere Gestaltung umfasste seit 2021 die Neuausrichtung des gesamten Areals mit seinen Höfen und Häusern, die sich in unterschiedlichen Erhaltungszuständen befanden.
Heute öffnet sich das ehemals verschlossene Areal zum umgebenden Quartier. Eine Brücke von der höhergelegenen Jakobstraße formuliert einen einladenden Eingang zum Gelände und führt direkt zur oberen Etage des zentralen Hauses A, in dem sich ein Veranstaltungssaal und darunter im Erdgeschoss eine Kiezkantine befinden. Dieser Bauabschnitt war besonders herausfordernd, da der historische Holzbau jahrelang als Stellfläche und Lager auf Verschleiß genutzt worden und stark marode war – anders als die angrenzenden Betriebsgebäude. Daher hatten Verfasser von Vorstudien hier sogar einen Neubau vorgeschlagen. Bei einer ersten Ortsbegehung erschien den Architekten die Zimmermannskonstruktion allerdings räumlich-gestalterisch so wertvoll, dass sie entschieden: „Nicht wegwerfen, das muss bleiben.“ Weitere Prüfungen ergaben, dass der Holzbau im oberen Geschoss repariert werden konnte, die Bausub-stanz darunter jedoch nicht haltbar war. So erfolgte anstelle von Abbruch und Neubau ledig-lich im Erdgeschoss das Einbringen einer neuen Basiskonstruktion in Stahlbauweise. Auch für die Umnutzung des Dachstuhls zum Veranstaltungssaal kam eine Stahlkonstruktion zum Einsatz: Um räumliche Variabilität zu gewährleisten, wurde die Anzahl der zuvor 20 Holzstützen auf acht reduziert, und diese bekamen ein verstärkendes Stahl-Exoskelett. Die neue Struktur zeichnet den Bestand formfolgend nach, sodass eine wertschätzende Wechselbeziehung zwischen Alt und Neu entsteht.
Auch die neuen Fassadenmaterialien greifen den robusten Charakter der Zweckbauten auf und fügen sich in das Bestandsensemble ein, das von Holz-, Putz- und Mauerwerks-Fassaden sowie von Alterungsspuren geprägt ist. Anstelle einer maroden Holzverschalung wurde neues Holz mit einem dunklen Anstrich verwendet. Der ehemalige Unterstand im Erdgeschoss, der nun die Kiezkantine beherbergt, erhielt eine Raumhülle aus Polycarbonat-Platten, die auch für die großen Tore der angrenzenden Werkstätten und Ateliers zum Einsatz kommen.
Im hinteren Bereich schließen die ehemaligen Umkleiden, Sanitäranlagen, Lager und Garagen an, die aufgrund ihres recht guten Zustands niedrigschwellig instandgesetzt werden konnten. Erforderlich war hier die gebäudetechnische Aufrüstung mit Wasser-, Elektrik- und Wärmeversorgung; alle Leitungen wurden aufputz installiert. Einige Räume erhielten neue Wandanstriche und einfache Fußböden aus Grobspanplatten. Die bisher ungenutzten Dachräume wurden nach einfachen Standards ausgebaut.
Zur Nutzergemeinschaft des neuen Raumangebots zählt etwa das „FabLab“, ein Makerhub mit Gemeinschaftswerkstatt, die „Zeux Materialinitiative“, ein Tonstudio sowie Ateliers und Co-working Spaces. Bei der Stadtwirtschaft verfolgte die Arbeitsgemeinschaft AFF und Georgi einen Gestaltungsansatz, der das Verstehen, Weiter- und Neudenken des Bestandes zur Grund-lage hat. Minimalinvasive Interventionen erfolgten dort, wo sie technisch erforderlich und funktional sinnvoll waren, um ein angemessenes Nutzungs- und Raumkonzept umzusetzen. Durch den Umbau wurde ein günstiges Flächenangebot von rund 6000 Quadratmetern, vor allem aber ein kultureller Inkubator für Sonnenberg geschaffen. In einer robusten und einfachen Architektursprache entstanden Räume mit hoher Flexibilität, die auch bei veränderten Anforderungen Langlebigkeit ermöglichen. Darüber hinaus ist das Projekt ein qualitätvoller Beitrag zum ressourcensparenden Weiternutzen und Weiterbauen.
Der architektonischen Umsetzung war 2020 die Entwicklung eines Zukunftsszenarios durch das Berliner Architekturbüro Kapok vorausgegangen. Von Seiten der Kommune war Grit Stillger als Abteilungsleiterin Stadterneuerung eine engagierte Initiatorin. Sie setzte sich seiner-zeit dafür ein, eine Nutzungsmischung mit einem Anteil von sechzig Prozent gemeinwohl-orientierten Initiativen und vierzig Prozent Kreativwirtschaft anzusiedeln. Dazu akquirierte sie Städtebaufördermittel und verhalf der Bewerbung des Entwicklungsszenarios für die Stadtwirtschaft im Programm „Nationale Projekte desStädtebaus“ zu Erfolg. Kapok empfahlen damals in ihrem Konzept, die verhandenen Freiflächen zu drei differenzierten Höfe für Events, Kreativarbeit und Produktion auszulegen und verschiedene Anwohnergruppen in die Planung einzubeziehen. Angesichts dieser Aktivierung ver-anstaltete die Landschaftsarchitektin Uta Gehrhardt daraufhin Partizipations-Workshops und nahm die Ergebnisse in ihre Freiraumkonzeption auf.
Mit der Stadtwirtschaft ist ein bemerkenswertes Projekt entstanden, auch wenn die Aushandlungsprozesse von Akteuren und Kommune nicht immer reibungslof verliefen. Von den dreißig Interventionsflächen der Kulturhauptstadt Europas hat Chemnitz vier Umbau-Projekte als „Orte des Aufbruchs“ hervorgehoben. Die neue Stadtwirtschaft gehört dazu, sie ragt in architektonischer Qualität und integrativer Spezifik sogar heraus. Es lohnt sich, der Einladung „C the Unseen“ auch nach Sonnenberg zu folgen.
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare