Bauwelt

„Wie Grand Paris“

Metropole Ruhr

Text: Winterhager, Uta, Bonn

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Maria Wagener Und Martin Tönnes vom RVR
Foto: Sven Neidig

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Maria Wagener Und Martin Tönnes vom RVR

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„Wie Grand Paris“

Metropole Ruhr

Text: Winterhager, Uta, Bonn

Der Wettbewerb ist vorbei, Ideen liegen seitenweise vor – was nun? Prüfen, sortieren, diskutieren, sagen die Auslober Martin Tönnes und Maria Wagener vom Regionalverband Ruhr und versprechen: 2017 ist der Regionalplan fertig.
Betrachtet man die Fläche des Ruhrgebiets und die Zahl seiner Einwohner, steht es in einer Reihe mit London, Moskau oder Istanbul. Und doch fehlt der Region etwas, um als klassische Metropole zu gelten, was ist es?
Martin Tönnes | Fast 100 Jahre hat die Montanindustrie das Ruhrgebiet geprägt, doch diese gemeinsame Basis ist weg­gebrochen. Nun ist die Region auf der Suche nach etwas Neuem, das alle Orte verbindet. Das unterscheidet uns von anderen Metropolen, die sich im globalen Wettbewerb schon längst positioniert haben.
Maria Wagener | Die Großstädte, die Sie nennen, haben einen deutlichen Kern – wir aber sind polyzentral organisiert, was es schwieriger macht, sich als eine Metropole zu entwickeln.
Es gab schon mehrere Versuche im Ruhrgebiet, durch eine Initiative „von oben“ zur gemeinsamen Metropole zu werden. Warum sollte jetzt der Durchbruch gelingen?
Tönnes | Eine Top-Down-Planung wird hier nicht funktionieren – auch wenn die IBA Emscherpark ein Dekadenprojekt für die Region gewesen ist. Karl Ganser hat uns mit der Route Industriekultur und mit dem Emscher Landschaftspark zen­trale Initiativen hinterlassen. Aber das Ruhrgebiet lässt sich nicht von Außen planen und verwalten. Deshalb halte ich die Entscheidung, dem RVR die Regionalplanungskompetenz wieder zurückzugeben, für wegweisend. Wenn zudem der Landtag der Initiative unseres Verbandes folgt, wird es im Jahr 2020 ein direkt gewähltes Regionalparlament geben.
Sie führen für die Planerstellung einen „Regionalen Diskurs“ durch. Was ist damit gemeint?
Wagener | Ein Regionalplan Ruhr kann nur dann zukunfts­fähig sein, wenn er von der Gesamtregion gemeinsam getragen und gelebt wird. Der „Regionale Diskurs“ ist hierzu der strategische Ansatz. Seit dem Auftakt im November 2011 konnten in elf Fachdialogen mit breiter Beteiligung alle für die Regionalentwicklung relevanten Themen vertieft werden. Weitere Impulse für den Regionalen Diskurs liefert nun der Ideenwettbewerb „Zukunft Metropole Ruhr“.
Das Verfahren dieses Wettbewerbs war länger und komplizierter als gewöhnlich.
Tönnes | Der Wettbewerb ist inspiriert von dem Verfahren Grand Paris, das Sarkozy ausgelobt hatte [Bauwelt 24.2009]. Das wichtigste an unserem Wettbewerb ist der kritische Blick von außen. Denn obwohl jede Region weiß, wo ihre Defizite liegen, werden intern Themen tabuisiert.
Wagener | Dass es kooperative Verfahren gibt, ist normal. Dass man sich im Rahmen eines Wettbewerbes mit Regionalplanung beschäftigt, ist eher unüblich. Vollkommen unüblich ist, den externen Blick mit internem Wissen auf dieser Ebene zu verbinden: Neben dem Ideenwettbewerb haben wir mit einem Aufruf in der Zeitung WAZ die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, ihre Ideen für das Ruhrgebiet einzureichen. Dadurch, und durch zwei öffentliche Diskussionsforen konnten wir sicherstellen, dass die Teams noch im Verfahren internes Feedback zu ihren Ideen erhielten.
Wie wurden die fünf Teams ausgewählt?
Wagener | Vor der Auswahl durchliefen die Teilnehmer ein öffentliches Bewerbungsverfahren. Dabei galten Kriterien wie Interdisziplinarität und Arbeitserfahrungen auf regionaler Ebene und mit komplexen Aufgaben. 20 Teams hatten sich beworben. Das hört sich nach wenig an, aber hinter den 20 stecken jeweils drei bis fünf Büros. Es folgte ein zweites Auswahlverfahren mit einem Beirat und dem Arbeitskreis Regionaler Diskurs. Am Ende beschloss und bestätigte die Verbandsversammlung die Auswahl der Teams.
Wenn ich mir die Ergebnisse anschaue, habe ich den Eindruck, als würden Zeit und Geld keine Rolle spielen. 
Tönnes | Es war gerade unser Wunsch, dass die Teams ohne Restriktionen über die Zukunft der Metropole Ruhr nachdenken. Nach fast 50 Jahren planerischer Dreiteilung soll der Wettbewerb den Blick für eine gemeinsame Zukunft schärfen. Das ist eine einmalige Gelegenheit!
Wie sehen Sie dann die Umsetzung der vom Gremium empfohlenen Ideen, wie die Einrichtung eines Flächenpools von Team A oder die Grundstücksagentur von Team C?
Tönnes | Der Flächenpool ist kein neues Instrument in Nordrhein-Westfalen. Wie wir ihn speziell für das Ruhrgebiet entwickeln, müssen wir mit der Region diskutieren. Spannend fand ich dabei die Idee der 54. Stadt [Team A], die entstünde, wenn man alle Brachflächen der Region zusammenlegt. Man muss sich das mal vorstellen: Auf Basis aller Brachflächen könnte eine ganz neue Stadt gebildet werden – eine Stadt ohne Kirchtürme. Zwei Prozent dieser Brachflächen als Experimentierräume für diverse Projekte zur Verfügung zu stellen, wie von Team C vorgeschlagen, scheint mir auch eine gute Idee, die man aber noch einmal konkretisieren müsste.
Die Anregung, endlich den zersplitterten ÖPNV zu koppeln und eine Ringbahn zu bilden, ist wirklichkeitsnaher?
Tönnes | Die Ringbahn ist ein verfolgungswertes Projekt. Das haben auch die eingereichten Ideen der Bürger und Bürgerinnen gezeigt: 70 Prozent ihrer Vorschläge beschäftigen sich mit dem Thema Mobilität.
Interessant ist auch die Idee, die kleinteilige Agrarwirtschaft zu fördern. Unter anderem wird vorgeschlagen, dafür zu sorgen, dass ihre Produkte regional vertrieben werden können.
Wagener | Von fast allen Teams wurde betont, dass eine Region sich nur dann gut und resistent entwickelt, wenn man die Quartiere in den Fokus nimmt und Mikroökonomien stärkt. Durch die Koppelung von Landwirtschaft und Freiräumen könnten dabei die Landschaft stärker in Wert gesetzt und Arbeitsplätze geschaffen werden.
Gibt es dafür überhaupt genügend Bauern im Ruhrgebiet?
Tönnes | Wir haben rund 4000 landwirtschaftliche Betriebe im Ruhrgebiet. 40 Prozent der Fläche im Ruhrgebiet sind bereits Landwirtschaftsflächen, die teilweise vom RVR verpachtet werden. Wir haben also besondere Möglichkeiten, gemeinsam neue Projekte auf den Weg zu bringen.
Wie steht es mit der Bündelung der Regierungsgewalt? Machen da die Oberbürgermeister und Landräte mit?
Tönnes | Der Wunsch, an einem Strang zu ziehen, ist hier durchaus großer Konsens. Schließen waren in der Verbandsversammlung, in der alle elf Oberbürgermeister und vier Landräte des Ruhrgebiets vertreten sind, die großen Fraktionen SPD und CDU sowie die Grünen und die Linken auch schon für die Einführung eines Regionalparlaments. 
Das Gremium empfiehlt Ihnen nun eine „Übersetzungs­arbeit“. Wie sieht diese aus?
Tönnes | Unsere Übersetzung besteht darin, das jeweils richtige Format für die Ideen zu finden. Viele Sachen passen in den Regionalplan, andere können wir dort nicht einbringen. Die Ringbahn, zum Beispiel, könnte man relativ schnell in den Regionalplan überführen. Andere Vorschläge sind noch nicht so weit. Vieles muss man zunächst im Rahmen informeller Planung betrachten. Es ist nicht immer hilfreich, alles sofort in einen harten formalen Plan zu setzen.
Und das wollen Sie vermeiden?
Wagener | Es geht nicht darum, klare Vorgaben zu vermeiden, sondern darum, sie zu ergänzen und zu prüfen, welche Themen man besser informell bearbeiten kann.
Tönnes | Konkret denken wir über ein zweibändiges Werk nach. Es wird einen Regionalplan Ruhr geben, der muss juristisch sauber durchgearbeitet sein, sodass er auch Gerichtsverfahren standhält. Dann gibt es einen zweiten Band, eine Art Handbuch zur Regionalentwicklung, in dem wir uns
gemeinsam über die informellen Konzepte verständigen.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Tönnes | Wir werden dieses Jahr die textlichen Grundlagen für den Regionalplan erarbeiten. Anfang 2015 wird der E­rarbeitungsbeschluss den Startpunkt des formalen Beteiligungsverfahrens bilden, indem wir Texte und Pläne den Gremien und Kommunen vorlegen. Daran schließt eine Ausarbeitung an, die nach unserer Kalkulation zwei Jahre dauern wird, sodass wir Anfang 2017 den neuen Regionalplan haben werden.
Fakten
Architekten Tönnes Martin, Essen; Wagener, Maria, Essen
aus Bauwelt 7.2014
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