Bauwelt

Was ist uns die Stadt wert?

Konferenz zur Schönheit und Lebens­fähigkeit der Stadt No. 2

Text: Rumpf, Peter, Berlin

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In „Villages“ gewandete Outlet-Center der Firma Value Retail in der Nähe von Ingolstadt, Wertheim, Mailand (v.l.n.r.).
© Value Retail

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In „Villages“ gewandete Outlet-Center der Firma Value Retail in der Nähe von Ingolstadt, Wertheim, Mailand (v.l.n.r.).

© Value Retail


Was ist uns die Stadt wert?

Konferenz zur Schönheit und Lebens­fähigkeit der Stadt No. 2

Text: Rumpf, Peter, Berlin

Zum zweiten Mal trafen sich in Düsseldorf Architekten, Stadtplaner, Bürgermeister, Bauamtsleiter, Investoren, Juristen, Fachjournalisten zur Konferenz vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst der TU Dortmund. Ihr Thema: Stadt und Handel.
 „Unsere Städte werden an vielen Orten von Jahr zu Jahr hässlicher. Gleichzeitig verlieren sie durch den dramatischen Rückgang des Einzelhandels an Lebensqualität.“ So beginnt das Statement zur ersten Kon­ferenz, zu der Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst der TU Dortmund vor einem Jahr in den Jugendstilsaal der Düsseldorfer Rheinterrassen geladen hatten: Architekten, Stadtplaner, Bürgermeister und Bauamtsleiter, Investoren, Juristen, Fachjournalisten und so­gar einen Schriftsteller (Bauwelt 14.10). Nun traf sich dort eine ähnliche Runde zur zweiten Konferenz. Ihr Thema: Stadt und Handel, gedacht als erste Vertiefung der Auftaktsveranstaltung. Um Stadt und Energie ging es am zweiten Tag.
Trotz der vielfältigen Professionen im Plenum stand der Frontverlauf schnell fest. Vor allem die geladenen Architekten verstehen sich und ihr Anliegen der tra­ditionell gewachsenen europäischen Stadt ver­pflich­tet. Dabei gilt ihr Interesse nicht allein deren Bild, also dem vertrauten Neben- und Gegeneinander von öffentlichem und privatem Raum, dem Maßstab, dem klassischen Haustyp bis hin zu den nachhaltigen Materialien, die der Fassade Normalität, Vertrautheit und – eben – Schönheit verleihen. Auch für die Kleinteiligkeit der Funktionen innerhalb der Stadt verwenden sie sich: Austausch der Bewohner und Nutzer untereinander, Ausgewogenheit zwischen privatem und öffentlichem Verkehr und ein verträgliches Verhältnis von Handel und Stadtstruktur.
Wobei der Handel – und hier gaben sich die Gegenspieler auf der anderen Seite der Frontlinie zu erkennen – längst nicht mehr den traditionellen Maßstäben der Vergangenheit folgt. Er ist dabei, zu Shopping-Malls, Fachmarkt-Agglomerationen, Arkaden aller Art oder Outlet-Dörfern in und zunehmend au­ßer­halb der Stadt zu mutieren. Der stellvertretende Geschäftsführer der ECE und der Director Germany bei der Value Retail, einem der führenden Factory-Outlet-Center, hielten stellvertretend für diese Entwicklung Kopf und Kragen hin, indem sie ihre Vision vom Handel der Zukunft propagierten. Die ECE ist in 15 Ländern aktiv und hat z.B. die Schlossarkaden Braunschweig und die stadtbildsprengende Mall auf dem Limbecker Platz in Essen zu verantworten (Heft 14.10). Die Value Retail Management GmbH hingegen entwirft an strategisch profitablen Nicht-Orten zwischen den Großstädten mittelalterlich anmutende „Villages“ mit riesigen Parkplätzen, um aussortierte Markenkleidung anzubieten und so der Stadt Kaufkraft zu entziehen; vom zusätzlichen Verkehr und den Infrastrukturkosten, die beim Steuerzahler bleiben, ganz abgesehen. Beide Manager samt ihrer Co-Strategen und Investoren berufen sich auf den Konsumenten und dessen Abstimmung mit den Fü­ßen. „Unser Kunde entscheidet“, so auch der Geschäftsführer der Galeria Kaufhof GmbH. Er besteht zudem darauf, das Wort „einkaufen“ zu entdämoni­sieren: „Der Handel wird die Stadt verlassen, wenn sie das nicht bieten kann, womit nun mal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verdient wird.“
Schleichende Innenstadtverdünnung
Notabene: Die Welt des Kaufens und Verkaufens verändert sich. Das zeigen nicht nur die sich ausbreitenden Filialsysteme wie Lidl, Douglas oder H&M. „Es gibt viele Orte, da existiert nur noch ein Schlecker-Laden, sonst nichts“, so Jens Imorde, Geschäftsführer einer Projekt- und Kulturberatungsgesellschaft in Münster. Und der Bürgermeister von Schwäbisch-Gmünd beklagte die schleichende „Verdünnung“ seiner Innenstadt. „Wir brauchen keine neuen Verkaufsflächen, weil sonst die alten verkommen.“ Dieter Hoffmann-Axthelm: „Die Probleme heute sind die Folge davon, dass man hundert Jahre lang damit beschäftigt war, die Stadt abzuschaffen.“ Früher seien z.B. die Größen der Läden an die Hausbreiten und -tiefen gebunden gewesen. Daran erinnerte der ehemalige Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann: „Dies spielt heute keine Rolle mehr, auf der grünen Wiese sowieso nicht. An ein Zurück zu glauben, ist unrealistisch. Unsere Disziplin hat kaum Einfluss darauf, außer man betrachtet die Parzellierung als eine Aufgabe der Stadtbaukunst. Dafür muss sich nicht nur die Fiskalpolitik ändern.“ Werner Oechslin wurde noch grundsätzlicher, als er fragte, was es uns denn wert sei, in der Nachbarschaft einkaufen und abends in die Kneipe gehen zu können.
Bei so viel Wehmut und Lamento ist noch gar nicht absehbar, welchen Einfluss eBay oder Amazon auf unsere Innenstadt haben werden. In zehn Jahren, so prophezeit es Wolfgang Christ von der Bauhaus-Uni Weimar, wird der Online-Verkauf über 20 Prozent des Handels ausmachen. Die Zukunft der Stadt also versus Internet? Nicht viel optimistischer ist der Stadtplanungsamtsleiter von Freiburg, Wulf Daseking: „Wir werden immer älter, immer ärmer, immer weniger. Die Städte sind pleite. Unser Berufsstand ist gar nicht mehr gefragt.“ Vor diesem düsteren Gemälde hört sich Christoph Mäcklers Ceterum censeo beinahe hilflos an: Und wo bleibt die Schönheit?

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