Bauwelt

Vom Bild zurück zum Raum

Den Interieur­darstellungen Jan Vermeers auf der Spur

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Thomas Scheufler

  • Social Media Items Social Media Items

Thomas Scheufler


Vom Bild zurück zum Raum

Den Interieur­darstellungen Jan Vermeers auf der Spur

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Dresdner Kunstwissenschaftler haben die Bildkomposition von Vermeers „Brieflesendem Mädchen“ räumlich analysiert, mit Hilfe von Modeling-Software digital rekonstruiert und das Gemäldeinterieur im Maßstab 1 : 1 nachgebaut. Wozu das gut sein soll?
Spätestens seit dem erfolgreichen Spielfilm „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (2003), einer Verfilmung des gleichnamigen – in großen Teilen fiktiven – Bestseller-Historienromans von Tracy Chevalier, glaubt sich auch der kunstinteressierte Laie umfassend informiert über den niederländischen Barockmaler Jan Vermeer (1632–1675) und seine Arbeitsweise. In einer der Schlüsselszenen des Films gewinnt Vermeer (Colin Firth) beim gemeinsamen Blick durch eine Camera Obscura auf ein in seinem Atelier arrangiertes Interieur die Zuneigung seines blutjungen Hausmädchens (Scarlett Johansson) und überzeugt sie, ihm – trotz der damit verbundenen absehbaren Konflikte – Modell zu sitzen.
Auch wenn Vermeers akkurat und detailreich gezeichnete Stadtansichten den Einsatz einer Camera Obscura vermuten lassen, so ist dies bis heute nicht hinreichend historisch belegt. Auffällig sind dagegen die auf einem guten Drittel seiner Gemälde zu ent­deckenden Einstichlöcher. Sie deuten darauf hin, dass er einige der Motive als geometrische Fluchtpunkt-Perspektiven konstruiert hat. Für die Ausstellung „Der frühe Vermeer“ in der Gemäldegalerie Alte Meister haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste anhand des prominenten Dresdner Gemäldes „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ (um 1657/59) untersucht, welche technischen und opti­schen Hilfsmittel der Delfter Künstler wirklich eingesetzt hat und wie die magische Wirkung seiner Gemälde zustande kommt. Das „Brieflesende Mädchen“ gehört zu seinen ersten Interieurbilder und steht damit am Anfang einer ganzen Serie von Arbeiten, die für sein Schaffen ab dem Ende der 1650er Jahre charakteristisch werden.
In der Ausstellung werden einmal nicht die im Bildmotiv versteckten Sehnsüchte (außerehelicher Liebesbrief, Äpfel und Pfirsiche, offenstehendes Fenster) thematisiert, stattdessen die für Vermeer typischen Farbkombinationen, die Lichtwirkung und die Rolle der Geometrie in der Bildkomposition,
die man bei der Restaurierung des Gemäldes eingehend untersucht hat. Dazu wurden die unterschiedlichen Bildebenen mathematisch ermittelt – u.a. anhand der Reflexion des Gesichtes der titelgebenden Frauenfigur in der Bleiverglasung des geöffneten Fensters – und mit den Softwares Rhinoceros-Grasshopper und Cinema 4D als digitales 3D-Modell (re-) kon­stru­iert. Dabei offenbarte sich auch, an welchen Stellen Vermeer sich das gewisse Etwas an künstle­rischer Freiheit genommen hat und, entsprechend seinen kompositorischen Vorstellungen, von der wahr­heitsgetreuen Abbildung der Realität abgewichen ist. Dies wird in der Ausstellung durch einen Dokumentarfilm erläutert. Höhepunkt der Schau ist jedoch das – von der Ausstattung über die Farben bis hin zum Kostüm – originalgetreu und maßstabsgerecht von Lehrenden und Studierenden der Hochschule für Bildende Künste Dresden nachgebaute Interieur des Gemäldes.
Um einen authentischen Eindruck von der in den Niederlanden „goldenes Zeitalter“ genannten Epoche und den benutzten Requisiten zu bekommen, wird das Original-Gemälde des „Brieflesenden Mädchens“ zusammen mit einer Auswahl von Kunsthandwerk des 17. Jahrhunderts, wie Delfter Fayencen und Mobiliar, präsentiert. Vermeer arbeitete akribisch, und er ist nicht alt geworden. Sein heute noch erhaltenes Werk besteht lediglich aus drei Dutzend Gemälden, größtenteils Darstellungen von Szenen aus dem alltäglichen Leben. Die kleine, aber sehenswerte Dresdner Schau zeigt neben der „Briefleserin“ mit zwei Historienbildern und der Genreszene „Bei der Kupplerin“ (1656) sein Frühwerk, das sich thematisch und stilistisch stark davon unterscheidet: Keines dieser Bilder sieht wie ein typischer Vermeer aus. Trotzdem erkennt man schon in ihnen seine Begabung als Figurenmaler, seine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Wirkung des Lichts und seine Suche nach dem eigenen Stil. Mancher Zeitgenosse Vermeers hätten bei einem im Bordell-Milieu an­gesiedelten Motiv wie der „Kupplerin“ viel nacktes Fleisch präsentiert. Dem Delfter reichen dagegen die zupackende Hand des Freiers auf der mit einer leuchtend gelben Bluse bekleideten Brust und die nach oben geöffnete Hand der Kupplerin als für jedermann – auch heute noch – verständliche Andeutungen.
Fakten
Architekten Jan Vermeer (1632–1675)
aus Bauwelt 39-40.2010
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.