Tatort Fußgängerzone
Kunst in der Westernstraße von Paderborn
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Tatort Fußgängerzone
Kunst in der Westernstraße von Paderborn
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Fußgängerzonen prägen die Geschäftszentren fast jeder größeren Stadt hierzulande, Künstler aber beschäftigen sich eher selten mit diesem Phänomen der funktional auseinander dividierten, „gemordeten“ Nachkriegsstadt.
Ein Phänomen, das nach gut sechzig Jahren – die erste deutsche Fußgängerzone, die Kasseler Treppenstraße, wurde 1953 am schicksalsträchtigen Datum des 9. November eingeweiht – allerdings Wandlungen erlebt hat. In Ostwestfalen werden am „Tatort Paderborn“ nun künstlerische Ermittlungen in dieser „Mordserie“ angestrengt.
Das erst mit den Eingemeindungen im Zuge der kommunalen Gebietsreform 1974 zur Großstadt gewordene Paderborn bekam seine Fußgängerzone in diesem für die jüngere Stadtentwicklung entscheidendem Jahrzehnt (siehe auch Bauwelt 1–2.2012). Überwogen damals inhabergeführte Fachgeschäfte, prägen heute die üblichen Ketten das Geschehen zwischen Rathaus und Westerntor, doch immerhin ist das Angebot noch vergleichsweise hochwertig.
Doch es gibt auch Leerstand. Ein solches Ladenlokal, gelegen in der finstersten Ecke des Königsplatzes, nahe der sprechenden Adresse „Im Düstern“, wurde im Zuge des Kunstprojektes aktiviert. Auf die Ytong-Wände des unangetastet belassenen Raums des einstigen Bertelsmann-Buchclubs projiziert das Münchner Künstler-Duo M+M einen Film, der den Verzicht des jungen Franz von Assisi auf ein Leben in Wohlstand und den Bruch mit seinen Eltern in die Gegenwart legt und in einer eiskalten Büroetage hoch über dem Münchner Hauptbahnhof in Szene setzt – wo könnte ein solcher Verzicht auch mehr provozieren? Der Film war schon einmal in Paderborn zu se-hen, anlässlich der großen Franz-von-Assisi-Ausstellung vor drei Jahren wurde er auf eine Kaufhaus-fassade gegenüber dem Franziskanerkloster geworfen. Im Zusammenspiel mit dem leeren Laden aber bekommt die Wucht der Situation im „Tatort“-Kontext neuen Witz.
Den Jesuiten wiederum verdankt die noch immer stark von der katholischen Kirche geprägte Stadt ihren wohl schönsten öffentlichen Raum – die Fassaden der Kirche des Ordens und des Gymnasium Theodorianum aus dem 17. Jahrhundert begrenzen den Rathausplatz im Süden und korrespondieren mit dem gleichfalls im 17. Jahrhundert errichteten Rathaus. Auf dem einige Stufen erhöht liegenden Kirchenvorplatz haben ooze architects aus Rotterdam nun einen klösterlichen Kräutergarten angelegt, der an das Verschwinden der Nutzpflanzen aus den Stadtzentren erinnert und die Passanten zur Ernte einlädt – hier wird die Nutzungsmonotonie der Fußgängerzone an der (Gras-)Wurzel gepackt.
Welche Vielfalt einst auch im Paderborner Stadtkern geherrscht hat, zeigt sich, überraschend und ganz authentisch, auch dem, der den „Raum für Kunst“ am Kötterhagen betritt. Das Paderborner Kunstproduktionskollektiv, das in den „Tatort“ einbezogen wurde, stellt im Raum einer ehemaligen Dampfbäckerei aus, doch welche Exponate auch immer gerade zu sehen sein mögen, es lohnt ein Blick in die Nordostecke des Raums. Dort, manchmal hinter Ausstellungswänden versteckt, erzählt eine Teigknetmaschine aus dem Jahr 1910 von Zeiten, in denen sich auch im Paderborner Stadtzentrum nicht alles nur um Kirche und Konsum drehte.
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