Bauwelt

Snowflake Tower

Parametrische Adaption – der Entwurfs­prozess

Text: Wallisser, Tobias, Stuttgart

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Snowflake Tower

Parametrische Adaption – der Entwurfs­prozess

Text: Wallisser, Tobias, Stuttgart

Wenn Entwürfe digital geplant werden bedeutet dies theoretisch unendlich viele Varianten. Der Entwurf des Snowflake Towers von LAVA zeigt, warum.
Der englische Architekturtheoretiker und -historiker Robin Evans hat schon 1997 in seinem Buch „The Projective Cast“1 dargelegt, dass Architektur unlösbar mit den Techniken ihrer Entstehung verbunden ist. Er beschreibt, wie die historische Entwicklung der Architektur durch die Möglichkeiten der zweidimensionalen Darstellung, insbesondere der Technik der Projektionszeichungen, geprägt wurde.
Computer, Regeln und Architekten
Der Einsatz computerbasierter Techniken erweitert den Hand­lungsspielraum des Entwerfers. Bei assoziativen Geome­triemodellen werden Objekte als parametrische Geometrien definiert, die direkt vom Prozess ihres Entstehens abhängig sind. Es wird nicht nur die Form eine Objekts definiert, sondern auch die mögliche Reaktionen auf Kräfte und Veränderungen.
Ein weiterer Schritt sind regelbasierte Systeme, bei denen der Entwerfer zuerst den Prozess plant und dann beginnt, Varianten zu optimieren und zu selektieren. Der Prozess der regelbasierten Formgenerierung kann auf Grundlage einfacher überschaubarer Regeln eine unendliche Formvielfalt hervorbringen, in ihm kann eine andere Art von Komplexität beherrscht und kontrolliert werden. Während die Regeln selbst vorstellbar sind, können die als Ergebnisse erzeugten Geome­trien über das menschliche Vorstellungsvermögen hinausgehen. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit von Marc Burry an der Rekonstruktion und Weiterentwicklung der Geometrie der Kirche Sagrada Familia in Barcelona.2
Die Vorteile computerbasierter Techniken im Entwurf bestehen in der Schaffung von Kontinuität und fließenden Geometrien und in der Maximierung lokaler Differenzierung. Quantitative und qualitative Unterschiede innerhalb eines kohärenten Gesamtsystems entstehen im Zusammenspiel von Mensch und Maschine, wobei der Architekt Brüche und Diskontinuitäten gestalten und Entscheidungen aufgrund vorhergehender Variantenuntersuchungen treffen kann.
Es wird derzeit viel darüber diskutiert, ob ein neues Berufsbild des programmierenden Architekten oder gar des ,‚digital creator“3 entsteht. In jedem Fall wird es zukünftig von Vorteil sein, wenn Architekten die Fähigkeit der simultanen Bearbeitung materieller und geometrischer Eigenschaften unter Verwendung der zur Verfügung stehenden computerbasierten Techniken besitzen. Hierzu reicht es nicht mehr aus, alleine CAAD-Prorgamme zu beherrschen.
Arnheim, Bilbao, Stuttgart
Beim Entwurf des Bahnhofs von Arnheim, Arnhem Centraal, von UNStudio (Bauwelt 42.02), wurde der Fokus auf die Entwicklung räumlicher Kontinuität durch die Transformation von gekrümmten Flächen gelegt. Dabei wurde Software aus der Animationsindustrie verwendet, die ein anderes Verständnis von Flächen als Resultat von Bewegung im Raum ermöglicht. Aspekte der Realisierung spielten erst nach der Entwurfsphase eine Rolle. Dies ist vergleichbar mit der Entstehungsgeschichte des Guggenheim Museums in Bilbao, das zwar analog entworfen wurde, bei der Ausführung aber fand erstmals durchgängig eine Planungssoftware aus der Automobil- oder Flugzeugindustrie Anwendung.
Beim Mercedes-Benz Museum von UNStudio (Bauwelt 17.06) wurden einfache und klare Regeln für den Entwurf definiert. Die Komplexität entstand aus der Überlagerung einzelner Geometrien. Gleiche Elemente wurden gestapelt und geschossweise rotierend ausgerichtet. Der Einfluss von technischen Parametern wurde bereits im Entwurfsprozess, in Zusammenarbeit mit Arnold Walz von „designtoproduction“, untersucht. Dies erfolgte für den Betonrohbau und die Fassade getrennt.
Snowflake Tower
Beim Entwurf des Wohnturms Snowflake Tower vom Architekturbüro LAVA aus dem Jahr 2008 wurden diese Ansätze weiterentwickelt. Am Anfang stand die Definition von Abhängigkeiten für die gesamte Projektgeometrie. Diese erlaubte die Untersuchung von Varianten, basierend auf unterschiedlichen Arten der Verknüpfungen von Parametern. Ziel war es, neben einer parametrischen Deformation einzelner Elemente qualitative Veränderungen und Typen mit unterschiedlichen Ausprägungen innerhalb eines Gesamtsystems zu erzeugen.
Der Snowflake Tower, geplanten auf einer künstlichen Insel vor Abu Dhabi, sollte einen hohen Wiedererkennungswert und eine dynamische Ausstrahlung erhalten, gepaart mit einem innovativem Technikkonzept. Gleichzeitig sollte ein wirtschaftlich optimiertes Projekt entstehen, bei einer felxibel umsetzbaren Mischung unterschiedlicher Wohnungstypen.
Im Laufe des Entwurfsprozesses trat der Wunsch hervor, die besondere Silhouette des Gebäudes mit der maximalen Flexibilität für Grundrissgrößen und Typen zu kombinieren. Dies war nur durch die vollständige Parametrisierung des Grundkonzepts möglich. Die Silhouette war zuvor als Hauptmerkmal für den Wiedererkennungswert bestimmt worden. Wird die Silhouette verändert, passt sie sich nicht nur die Gesamtform an, es verändern sich auch die Wohnungsgrundrisse gemäß der vorher festgelegten Abhängigkeiten. Für die Definition der Koppelung von Hüllfläche und Volumen stand die fraktale Geometrie von Schneeflocken Pate. Je nach Länge des Umrisses entstehen Gebilde, die eher flächig oder eher zerklüftet wirken. Die Definition einfacher regelbasierter Abhängigkeiten erlaubt dabei die Untersuchung von spekulativen Konfigurationen, die bisher nie geplant wurden. Die möglichen Lösungen bewegen sich in einem engen Rahmen der wirtschaftliche Realisierung. Trotzdem entstanden eine Reihe sehr unterschiedlicher Qualitäten:
– Die Anordnung von „wharf apartments“, die einen direkten Zugang zum Wasser haben, sollen die unteren Geschossen aufwerten. Das klassische Problem des Hochhauses, die un­attraktiven unteren Ebenen, wird so gelöst.
– Die kompakte Form in der Mitte schafft günstige Vorgaben für kleinere Wohnungen.
– Große „sky apartements“ im oberen Bereich des Towers haben kaum Sichtachsen zu den Nachbarn und damit Qualitäten von Villen.
Es gab nur drei Parameter zur Steuerung des Entwurfs: der Gesamtumfang der Fassade, die Anordnung der innenliegenden Loggien und die Fassadenlänge der Wohnungen. Eine Unterscheidung in Makroparameter (mit vollständiger Veränderung der Geometrie) und Mikroparameter (nur lokale Anpassungen) ermöglicht die Begrenzung der Auswirkungen von Änderungen bzw. eine einseitige Beeinflussung. So kann die Veränderung der Silhouette zwar die Form der Loggien beeinflussen, aber nicht automatisch eine Veränderung der Silhouette zur Folge haben. Zur Kontrolle der geometrischen Variationen wurden verschiedene Kennwerte geprüft: die Gesamtnutzfläche und das Volumen des Gebäudes, die Ausprägung der Silhouette im Zusammenhang mit der maximalen Auskragung, die Größenvariationen innerhalb eines Wohnungstyps – hier wurde die zulässige Abweichung vom Bauherrn mit maximal zehn Prozent festgelegt – sowie die Optimierung der Lastabtragungen der Verschattungselemente.
Varianten und Bewertungen
Das Entwerfen mit einem parametrischen Modell mit definierten Abhängigkeiten erlaubt die schnelle Untersuchung einer Vielzahl von Varianten, die visuell bewertet werden können. Assoziative Geometriemodelle erlauben ebenso das schnelle Einarbeiten von Änderungswünschen des Bauherrn oder technischer Optimierungen.
Natürlich ist der digitale Entwurfsprozess nicht linear. Rückkopplungen führen zu zirkulären Prozessen, bei denen unterschiedliche Extreme ausgelotet werden können. Der große Mehrwert der Definition von mathematischen Beziehungen zwischen einzelnen Elementen besteht darin, dass statt einer eindimensionalen Optimierung eines Einzelaspekt ein interaktives Abwägen unterschiedlicher Anforderungen möglich wird. Die Anwendung regelbasierter oder assoziativer Modelle alleine erzeugt keine bessere Architektur. Sie erweitert aber den Handlungsspielraum und die Kontrolle des Architekten und fördert dadurch das experimentelle Ausloten von Grenzen. Am Ende muss aber immer etwas entstehen, was über die nachvollziehbare Rationalisierung des Prozesses hinausgeht oder wie Louis Kahn formuliert hat „Ein großartiges Gebäude muss mit dem nicht messbaren beginnen, muss durch messbare Prozesse gehen und muss am Ende nicht messbar sein.“
Fakten
Architekten LAVA, Stuttgart
aus Bauwelt 23.2011
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