Bauwelt

„Richard Neutra hatte immer das Gesamtbild im Blick“

Der Stuhlfabrikant

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Thomas Müller, Dion Neutra (v.l.n.r.)
Foto: Linda Neutra

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Foto: VS Vereinigte Spezialmöbel Tauberbischofsheim

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Foto: VS Vereinigte Spezialmöbel Tauberbischofsheim


„Richard Neutra hatte immer das Gesamtbild im Blick“

Der Stuhlfabrikant

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Thomas Müller und Axel Haberer von den Vereinigten Spezialmöbelfabriken in Tauberbischofsheim wollen Möbel von Richard Neutra in Serie produzieren. Neutras Sohn Dion gab grünes Licht. Aber es gibt noch einige Hindernisse.
Wie ergab sich der Kontakt zu Richard Neutras Sohn Dion?
Thomas Müller | Wir sind im Schulmöbelgeschäft in Kali­fornien aktiv. Richard Neutra hat auch einige prominente Schulen bei Los Angeles und San Francisco gebaut. Dort waren wir an der Neuausstattung beteiligt. Unsere Mitarbeiterin in Kalifornien hat sich mit Richard Neutra und seinen Möbeln etwas genauer befasst und mich gefragt, ob das nicht ein inter­essantes Projekt für uns als Spezialmöbelhersteller wäre. Ich habe hier Literaturrecherchen gemacht und bin nach Los Angeles gereist. Im Archiv der University of Cali­fornia, Los Angeles (UCLA), habe ich Zeichnungen gefunden, und ich habe Neutras Sohn Dion getroffen. Mit ihm konnte ich später einen Lizenzvertrag abschließen.
Was interessiert Sie an den Möbeln von Neutra?
Thomas Müller | Ihre Formensprache wird bestimmt von der Mischung volumiger und sehr schlanker Elemente. Der Cantilever Chair erinnert ein wenig an Jean Prouvé. Das Besondere an diesem Stuhl ist, dass Neutra diese zusätzliche Stützfeder eingebaut hat. Sie erlaubte, ein sehr filigranes Stahlrohr zu verwenden. Insofern ist das für mich ein ganz beson­deres Möbelstück, wenngleich es viele Freischwinger gibt, von Mies, Marcel Breuer bis Mart Stam. Aber dieser Stuhl hat doch noch mal einen ganz eigenen Charakter. Neben dem Cantilever planen wir u.a. die Produktion des Lovell Easy Chair, des Tremaine Chair, des Alpha Seating und des Boomerang Chair.
Axel Haberer | Der Cantilever und der Lovell Easy Chair sind 1929 für das berühmte Lovell Health House des Reformarztes Philip Lovell entstanden. Dazu gehören auch die Zeichnungen aus dem Archiv der UCLA.
Hatte der Bauherr dieser Villa besondere Wünsche hinsichtlich der Möblierung?
Axel Haberer | Nein. Neutra hat die Inneneinrichtung sehr bestimmt selbst in die Hand genommen. Natürlich ist es ihm nicht überall gelungen, und wir wissen vom Sohn, dass er für Fotoaufnahmen häufig die Möbel der Eigentümer ausgeräumt und seine Möbel hineingestellt hat. Er hatte immer das Gesamtbild Richard Neutra im Blick.
Welche Materialien haben sie für die Möbel ausgewählt?
Thomas Müller | Wir haben mit der dänischen Firma Kvadrat Stoffe ausgewählt, die dem Charakter der Möbel der damaligen Zeit gut entsprechen. Es sind sehr strukturierte Stoffe, die man gut miteinander kombinieren kann. Wir wollten in der Farbwelt des Architekten bleiben. Neutras Häuser mit den großen Glasfronten sind sehr naturverbunden. Wir haben versucht, grüne Farbtöne zu finden, die diesem naturnahen Charakter entsprechen. Es gibt auch rötliche Farbtöne, die zu seinen Kaminplätzen passen. Das Dritte Element, das auch zu seiner Architektur gehört, ist das Licht in Kalifornien. Dafür stehen die blauen Farbtöne, die wir ausgewählt haben. Barbara Lamprecht, sie ist Autorin von zwei Büchern über Neutra, hat uns dabei unterstützt. Sie kennt sehr viele seiner Häuser und weiß, welche Stoffe damals eingesetzt wurden. Das waren vor allem etwas gröbere, natürliche Schurwollstoffe. Beim Leder sind wir noch auf der Suche nach einem hochwertigen, natürlichen und sehr weichen Material.
Axel Haberer | Es sollte ein Leder sein, das lebt und ein wenig Patina bekommt. Neutra wollte kein Leder, das durch eine starke Behandlung sozusagen entnaturalisiert wird. Eine gewisse Ehrlichkeit des Materials war ihm sehr wichtig.
Und beim Holz?
Axel Haberer | Die Möbel sind meist in Eiche, ein Holz, das zeitlos ist. Es gibt auch Varianten in Walnuss und Kirsche. Wir wollten Hölzer, die sowohl in den USA als auch bei uns heimisch sind und nicht irgendwelche Tropenhölzer.
Wie wurden die Möbel damals hergestellt?
Thomas Müller | Vom Schreiner, mehr oder weniger als Einzelstücke. Es gab im Grunde nur eine Firma.
Villa für Villa?
Thomas Müller | Ja, sie wurden objektbezogen angefertigt.
Axel Haberer | Deshalb gibt es von einem Möbel auch oft viele Varianten, wie man auf den alten Fotos erkennen kann.
Werden Sie auch kleine Varianten anbieten?
Thomas Müller | Ja, für uns sind es auch Manufakturmöbel.
Das kommt Ihnen sicher entgegen.
Axel Haberer | Natürlich Neutra hatte eine klare Vorstellung von den Proportionen. Er war aber nicht zwanghaft auf den Millimeter fixiert. Er hat sich dem Auftraggeber auch angepasst. Gerade vom Boomerang gab es viele Variationen.
Sie haben Fotos und Zeichnungen studiert und gemeinsam mit Kennern des Werkers von Neutra recherchiert, Sie haben zusammengetragen, was für den Start der Möbelreihe im nächsten Jahr nötig war. Kann man das so sagen?
Thomas Müller | Ja, wir haben aber, das ist wichtig, immer die Einwilligung von Dion Neutra eingeholt. Vor allem dann, wenn wir kleinere Anpassungen vornehmen wollten.
Hat Dion Neutra auch Möbel entworfen?
Thomas Müller | Einen Glastisch. Den haben wir auch als Prototyp gebaut. Das hat ihn sehr gefreut.
Sie beabsichtigen auch Neutras Camel Table zu bauen.
Thomas Müller | Ja, Richard Neutra hat auch kleine Häuser entworfen, für Menschen mit mittlerem oder geringerem Einkommen. Und die brauchten oft multifunktionale Möbel. Für sie  hat er diesen Camel Table entworfen, den man tagsüber als Esstisch nutzen konnte und nachmittags oder abends als Coffee-Table. Er kann mit seinen Beinen wie ein Kamel in die Knie gehen und auf dem Boden liegen. Neutra hat ihn relativ häufig eingesetzt in seinen Bauten. Es gibt zwei Ver­sionen, eine in Sperrholz und eine in Stahlrohr. Wir sind gerade dabei, die Stahlrohrversion zu realisieren. Nur müssen wir heute ganz andere Anforderungen hinsichtlich Standsicherheit, Unfallgefahr und Produkthaftung berücksichtigen. Da tun wir uns zurzeit mit dem Klappmechanismus noch schwer.
Gibt es noch einen Originaltisch?
Axel Haberer | Ja, ein Architektenpaar in Stuttgart hat einen in der Sperrholzversion.
Wo, meinen Sie, wird es für die Möbel den größeren Markt  geben, in den USA oder in Europa?
Thomas Müller | Wir denken, dass es in den USA schneller gelingen wird, Kunden zu überzeugen. Viele der Neutra-Häuser sind bewohnt, teilweise von Prominenz, zum Beispiel vom Modedesigner und Filmregisseur Tom Ford. Und die will natürlich ihre Häuser so einrichten, dass sie wieder stimmig sind. Ich denke, dass wir dann in Europa Erfolg haben werden. Für neue Büroeinrichtungen wünscht man sich heute individuelle, wohnliche Möbel in der Lobby oder in der Cafeteria.  
Gibt es derzeit noch ein vergleichbares Projekt für Sie?
Thomas Müller | Richard Neutra ist für uns ein Glücksfall. Es gibt aber auch noch keine Produktion der Schindler-Möbel. Mit Schindler hat Neutra eine Zeit lang zusammen gear­beitet. Sie waren dann aber ein wenig Feinde, weil sie sich gegenseitig Kunden weggenommen haben. Aber nur bei Neutra ist mir ein so breites Möbelsortiment bekannt, das vollkommen brachlag.

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