Bauwelt

Poul-Gernes-Retrospektive in Hamburg

Bewusstsein über die Welt

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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Jørn Petersen, Herlev/Courtesy Estate of Poul Gernes

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Poul-Gernes-Retrospektive in Hamburg

Bewusstsein über die Welt

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Immer mehr rückt Kunst, die ungleich freier von äußeren Ansprüchen ist als Architektur, zurück in den Mittelpunkt sozialen Handelns: zum einen als Impulsgeber, zum anderen als ästhetischer Gegenstand, an dem sich viele Betrachter erfreuen können. Der dänische Künstler Poul Gernes (1925–1996) verknüpfte in seinen Arbeiten beide Aspekte.
Gernes war gelernter Lithograf, als Maler Autodidakt. Mitte der 50er Jahre verließ er die Staffelei und entwarf Stahlrohrmöbel und -lampen. Die in Ham­burg ausgestellten Beispiele spiegeln die für die Nachkriegsjahre typische Leichtigkeit wider. Erst zu Beginn der 60er Jahre beginnt er erneut zu malen, fast gleichzeitig mit der Aufnahme seiner Lehrtätigkeit an der 1961 von ihm als Gegenposition zur Königlichen Kunstakademie mitbegründeten Eksperimenterende Kunstskole (Eks-skolen) in Kopenhagen. Die Schule nahm vorweg, was sich andernorts erst 1968 Bahn brach: Die Unterscheidung zwischen Lehrern und Schülern schwand; Filme wurden im Kollek­­­tiv gedreht. Die Arbeiten von Gernes scheinen denn auch bis in die 70er Jahre hinein dem Augenblick zu entspringen, „Marktfähigkeit“ liegt ihnen fern.
Die Formen, die Gernes verwendete – Kreise, Gitter, Punkte, Streifen, Vierecke –, zielen auf räumliche Wirkung ab, den Bildern des Bauhäuslers Josef Albers ähnlich, allerdings ruppiger in der Wirkung. Gernes widerstrebte der glatte Perfektionismus der zeitgenössischen Pop-Art-Künstler, er malte mit indus­triell hergestellten Lackfarben und benutzte Hart­faserplatten, die in drei Standardgrößen erhältlich waren, als Bildträger. Mit der Ausgestaltung von Gebäuden begann Gernes beim Krankenhaus in Herlev. Zwischen 1968 und 1976 verwandelte er den ursprünglich vollständig in Weiß geplanten Bau in Absprache mit den Architekten in ein einziges syste­­­mi­sches Gemälde: Riesengroße Zahlen, Zielscheiben, Buchstaben, ganze Gedichte beherrschen die Flure. In den Patientenzimmern dominieren, je nach Himmelsrichtung, Blau, Rot, Orange und Grün.
1980 beendet Gernes die Produktion von Bildern und widmet sich ausschließlich der farbigen Gestaltung von Architektur. In dieser Späthase werden die Formen zunehmend gegenständlich, auch die kräftigen Farben ebben ab zu Pastelltönen. Sein Bestreben, die Kunst nahe ans Leben heranzuführen, schließt auch Gefälliges ein. Eine seiner letzten Arbeiten, das Palads Cinema in Kopenhagen, wirkt in ihrer überbordenden Farbigkeit manieriert. Die farbintensiven Werke seiner mittleren Schaffenszeit bilden den Schwerpunkt im flirrenden Weiß der Großen Deichtorhalle, deren Weiträumigkeit ein Übriges zur Entfaltung der großformatigen Serien tut. Poul Gernes’ Kunst ist auf unmittelbare Wirkung im Raum aus. „Er weiß nicht, ob er ein Künstler ist“, berichtet Jane Petersen 1971 nach einem Gespräch mit ihm, „aber er ist sich sicher, dass die Voraussetzung für ein Künstlerdasein darin besteht, soziales Verantwor­tungsgefühl und ein fortgeschrittenes Bewusstsein über die Welt um einen herum zu besitzen.“ 
Fakten
Architekten Poul Gernes (1925–1996)
aus Bauwelt 42.2010
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