Bauwelt

Patio-Bebauung

Im verwaisten Blockinneren

Text: Albani, Julia, Lissabon

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Foto: Fernando Guerra

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Patio-Bebauung

Im verwaisten Blockinneren

Text: Albani, Julia, Lissabon

Die Patio-Bebauung in einem vergessenen Hof in Lissabon wirkt wie die Kulisse einer Filmstadt. Ricardo Bak Gordon hat ein Ensemble geschaffen, das auf die Stadt ringsum verzichten kann, da es sich selbstbezogen versteht und räumlich autark funktioniert.
Eine kleine Gasse im lebendigen Lissaboner Stadtviertel Santa Isabel, mit seinen Cafés und Bars, schmalen Läden und kleinen Händlern, ist abgesperrt. In sie gezwängt thront ein Kran, der Passanten sowie Bewohner der umliegenden Häuser aus der Ruhe bringt, denn er ist nicht für eine Baustelle aufgebaut worden, sondern für ein neun Meter langes Segelboot, das er über achtzig Meter und eine viergeschossige Häuserfront hinweg heben und im Hof dahinter, in einem kleinen Pool, absetzen wird.
Wieso schwebt ein Boot mitten in der Stadt durch die Luft? João Onofre, Verantwortlicher der Aktion, ist weder Segler noch Bootsliebhaber. Er ist Videokünstler und war eingeladen, eine Arbeit im Rahmen des portugiesischen Beitrags auf der letzten Architekturbiennale Venedig zu realisieren. Thema und Protagonisten zugleich sind zwei Häuser des Architekten Ricardo Bak Gordon, die von der Gasse aus weder zu sehen noch zu erahnen sind. Sie stehen versteckt im Hinterhof dieses Häuserblocks in Santa Isabel. „No place like – 4 Houses, 4 Films“, Titel der Schau in Venedig, zeigt auch, Monate nach der Aufregung in der kleinen Gasse, in wenigen Minuten die Kernaussage des gelungenen Unterfangens des Architekten und seines Bauherren: den Neubau von zwei eingeschossigen Häusern, ergänzt um ein kleines Atelier, auf einem vergessenen innerstädtischen Hof. Ein Projek, das nicht nur untypisch für Lissabon und Portugal ist, sondern auch mutig, wenn man den Projektverlauf und die neue Lebensform der Bauherrn näher betrachtet.
Herausforderung Situation
Familienvater Tiago Viana, Bauherr und Bewohner, fand das Grundstück 2003 per Zufall, dank eines kleinen Aushangs an einer Fassade: „Laden 50 Quadratmeter + Grundstück 1300 Qua­dratmeter zu verkaufen“. Lange Zeit hatte niemand die Bebauung des Grundstücks in Angriff nehmen wollen. Die aufdringliche Präsenz der umgebenden Bauten machte es nicht besonders attraktiv, und es war abzusehen, das ein Genehmigunsverfahren diffizil werden würde. Architekt Ricardo Bak Gordon war jedoch mindestens genauso begeistert wie Viana und fühlte sich herausgefordert, hier ein Häuserprogramm zu planen. Wie so viele Innenhöfe im Viertel mit seiner vorwiegenden Blockbebauung der 1940er und 50er Jahre, war der Hof zuvor als Garten genutzt worden, später als Lagerplatz mit Garagen und Schuppen. Zugänglich war er nur durch ein kleines Ladenlokal.
Steht man heute in der Gasse, gewährt eine kleine Tür den Zutritt zum Spektakel. Denn als eben solches ist das Ensemble zu erleben. Als Schausteller, als Akteur, betritt sein Bewohner die „Bühne“, den Set, von der Straße kommend unter dem Bestandsbau hindurch. Das Grundstück erinnert vage an einen Burghof, charakterisiert durch die ihm zugewandten Hinterhof­fassaden der umgebenden Bauten. Das Programm: ein Atelier und zwei Häuser; ein großes für die Familie, ein kleines, als Zweiraumwohnung angelegt, zum Vermieten. Das alles auf den 400 Quadratmetern, auf denen zuvor die Schuppen standen.
Strukturiert wird die Bebauung durch Patios, um die sich die Lebensräume gruppieren. Der erste Patio, öffentlich aufgefasst, empfängt und verteilt. Von hier aus gelangt man in die  beiden Häusern und ins Atelier. Drei gelbe Türen im grauen Beton gewähren den Zugang in die drei Bestandteile der Bebauung. Im Haus bewegt man sich entlang der Patios, die kontemplativ und unzugänglich wirken oder sich öffnend und einladend. Die Trennwände der Wohn- und Gartenzellen sind ausschließlich aus Sichtbeton gegossen.
Der gesamte Komplex lebt von der Choreographie der   Kontraste: Positiv und Negativ, Volumen und Vakuum. Ein Wohnen zwischen Drinnen und Draußen wird so provoziert; in Räumen, die Rückzugsmöglichkeiten bieten, und in solchen, die theaterhaft darstellerische Momente erzeugen – unterstützt von großzügigen Fensterfronten. Die Grenzen werden durch die durchgehende Materialität des Stahlbetons aufgelöst, nur die Türen und Fenster lösen sich aus dem Spiel. Sein planes Arrangement organisiert einen Haushalt um die gemeinsam genutzen freien Plätze, während der Alltagsablauf im Inneren abgeschirmt bleibt.
Referenz an Álvaro Siza
Die Gruppierung der Patios folgt einer narrativen Struktur. Kinematographisch gesehen ist das Häuserensemble ein „Set hinter dem Set“; eine „Cinecittà auf Augenhöhe“, die auf die Stadtlandschaft verzichten kann, da sie sich selbstgerichtet versteht. Das Auge glaubt, wie auf einem Set, in einen hypothetischen Raum zu blicken – auf Lebensräume, den Pool, die Gärten. Eine Konstellation von offenen Räumen, gruppiert nach einer komplexen Matrix, vergleichbar  dem Haus Carlos Siza von Álvaro Siza in Santo Tirso, Porto, 1978. Wie Siza in diesem frühen Projekt, erkundet Ricardo Bak Gordon hier die Idee von öffentlichem und gemeinschaftlichem Raum durch die Manipulation von Innenhöfen und deren Öffnung. Aber im Gegensatz zum Haus Carlos Siza ist das Ensemble in Santa Isabel strikt orthogonal ausgelegt und absorbiert die geregelte Grenze der Bestandsbauten. Dabei ist das Haus auch in der Tradition der portugiesischen Volksarchitektur verwurzelt, in der nicht vom eigenen „Haus“, sondern von den eigenen „Häusern“ gesprochen wird. Und es ist auch eine Art Stadt innerhalb der Stadt, ein Ort, der verankert ist in dem ihn umfan­genden Block. Es gibt viele solcher Orte in Lissabon, manche vielleicht noch offener, weiter, andere aber auch noch unzugänglicher. Diese „andere Stadt“ in der Stadt, meist vergessen, verlassen und verfallen, wird hier zu neuem Leben erweckt. Das versteckte Beton-Puzzel Bak Gordons generiert einen Ort, der die Auffassung des städtischen Raums neu definiert – zuallererst wohl für die Nachbarn.
Neues Haus, neue Abläufe
Das Gebäude habe die Alltagsroutinen der Familie geändert – und neu bestimmt: Verbessert durch die geschützte Situation, abgeschirmt von den Geräuschen der Straße und introvertiert trotz der umgebenden hohen Gebäude, da die Patios die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vor dem Einzug hatte der Bauherr vor, die Fenster mit Vorhängen vor Einblicken zu schließen – aber dies wird gar nicht praktiziert. Wege, die zuvor in einer kompakten zweigeschossigen Wohnung kurz waren, sind zu Distanzen geworden. Eine Anpassung in Form von Organisation: Die Bewohner planen ihre Wege und ihren Aufenthalt zuhause anders, auch, um sich weniger zu zeigen.
Die Häuser sind 2011 mit dem Architekturpreis FAD ausgezeichnet worden; die Finanzkrise zwingt den Bauherrn jetzt zum Verkauf. Noch hat sich kein Interessent gefunden.
Fakten
Architekten Bak Gordon, Ricardo, Lissabon
aus Bauwelt 11.2012
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