Bauwelt

Optimierungsversuche

Henninger Turm-Areal in Frankfurt am Main

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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1. Preis: Meixner Schlüter Wendt (Pflicht)

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1. Preis: Meixner Schlüter Wendt (Pflicht)


Optimierungsversuche

Henninger Turm-Areal in Frankfurt am Main

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Wo früher Malz und Gerste lagerten, sollen bald zahlungskräftige Mieter einziehen. So haben es die Stadt Frankfurt am Main und der Grundstücksbesitzer Actris für das Henninger Turm-Areal vereinbart. Beim Architektenauswahlverfahren ging es deshalb vor allem um die Frage: Umbau oder Abriss und Neubau?
Es gibt Gebäude, die sich nicht ihrer Architektur halber, sondern wegen der Geschichten, die sich um sie ranken, in das kollektive Gedächtnis eingeprägt haben. Das ist auch bei einem Getreidesilo im Süden Frankfurts so, dem ein Drehrestaurant aufgesetzt wurde und das besser als „Henninger Turm“ bekannt ist: ein Silo für 14.000 Tonnen Gerste und Malz, auf quadratischem Grundriss, mit einer Kantenlänge von 20 Metern und insgesamt 119,5 Meter hoch, mit einem Fassförmigen, außermittig positionierten Aufsatz, nach den Plänen des Architekten Erich Lieser von 1959 bis 1961 realisiert. Einst war das Gebäude das höchste Haus der Stadt am Main, einst war es das höchste Silo der Welt.
Fast ein halbes Jahrhundert lang führte das stets am 1. Mai ausgetragene Radrennen „Rund um den Henniger-Turm“ bei den politisierten Frankfurtern zur Gewissensfrage: zur Gewerkschaftsdemo gehen oder Helden wie den Frankfurter Bub Didi Thurau oder später Jan Ullrich und Erik Zabel zujubeln? Doch der Radsport ist im Dopingsumpf versunken und das traditionsreiche Radrennen – dem irgendwer irgend­wann den keuchhusterisch trockenen Namen „Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt“ verpasst hat – ist fast aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Und auch die Glanzzeiten des Turms sind längst vorüber. Die Henninger-Brauerei, die ihn mit Hilfe des von ihr gesponserten Rennens in die Wohnstuben der Fernsehrepublik trug, existiert fast ebenso lange nicht mehr wie das Aussichts-Restaurant, in dem man Hochzeiten feierte, zum runden Geburtstag einige Runden drehte oder einfach nur auf Korbstühlen saß und die Stadt zu seinen Füßen hatte. Seit knapp zehn Jahren ist das Lokal aus Brandschutzgründen geschlossen, die Brauerei wurde an die von der Familie Oetker dominierte Radeberger-Gruppe verkauft. Das inzwischen abgeräumte Henniger-Areal kam in den Besitz der Familie des SAP-Gründers und Fußball-Sponsors Dietmar Hopp. Über die Bebauung dieser Fläche stritt sich jahrelang die Actris AG von Dietmar Hopp mit der Radeberger-Gruppe, der auch das Gelände der Binding-Brauerei in der Nachbarschaft gehört. Erst im vergangenen Jahr konnte man sich einigen. Die Stadtplanung hatte ihre Forderung nach einer Wohnnutzung und nach ei­nem konkurrierenden Verfahren durchgesetzt; diese sollte nicht zuletzt die Abrissfrage des Turmes klären.
Pflicht und Kür
Neun Büros hatte die Actris Grundstücksgesellschaft zu dem „Architektenauswahl-Verfahren“ eingeladen. Fünf einheimische – Jourdan Müller PAS, Stefan Forster, Ferdinand Heide, Gruber+Kleine-Kraneburg, KSP Jürgen Engel und Meixner Schlüter Wendt – sowie drei von der Lokalpresse als „internationale Architekturstars“ vorgestellte: Martin Kohlbauer aus Wien, Bjarke Ingels Group aus Kopenhagen und Woha aus Singapur. Letztere, deren Arbeiten das DAM derzeit in einer Ausstellung präsentiert, sprangen für Herzog&de Meuron ein, die die bereits an­gekündigte Teilnahme kurzfristig widerriefen. Gefordert waren etwa 150 „hochwertige, großzügige Mietwohnungen in den oberen Geschossen“ mit flexiblen Grundrissen sowie „Serviced Apartments“ im unteren Bereich des Turmes. An der Westseite, auch zum Schutz vor dem Lärm der benachbarten Binding-Brauerei, Parkflächen für 500 bis 600 Stellplätze, im Erdgeschoss Gewerbeflächen mit großen Schaufenstern. Und das alles in Passivhaus-Standard, mit „autarker Energieversorgung“, Begrünung aller Dachflächen und hohen Lärmschutzanforderungen. Die Teilnehmer sollten einen „Pflicht“- sowie einen „Kür“-Entwurf liefern. Zur Pflicht hieß es in der Auslobung, dass Tragstruktur, Bausubstanz und Silhouette des Turms erhalten bleiben sollten. Bei der Kür waren „kreative und frei entwickelte Ideenansätze“ gewünscht, wobei „ein oberirdischer Komplett-Abriss des Turmes und der umgebenden Bebauung zugrunde“ gelegt werden sollte.
Preis für mangelnde Transparenz und Fairness
Ohne über den Zusammenhang zwischen „kreativ“ und „Abriss“ philosophieren zu wollen, bleibt festzustellen, dass sich die Teilnehmer mit der Variante Turmerhalt (Pflicht) außerordentlich schwer taten. Die Struktur des Turmes – 16 große und 12 kleine Silokammern – und das Treppenhaus, das eine Geschosshöhe von 2,30 Metern vorgibt, führten zu di­versen Zusatztreppen und Zwischengeschossen, ohne dass das Ergebnis wirklich zufriedenstellte. Um die geforderten Wohnflächen unterzubringen, schlugen einige Teilnehmer einen zweiten Turm vor, all diese Konzepte schieden aber im zweiten Rundgang aus – aus Städtebau- und Abstandsgründen, wie es hieß. Drei Pflichtentwürfe sahen trotz anders lautender Forderung vor, den Bestand abzureißen. Woha (Anerkennung) begrünen den Kern des Turmes und rahmen ihn mit zwei Hochhausscheiben. Die Kopenhagener BIG (Anerkennung) benutzen das alte Silo als Tragstruktur für zwei gegeneinander versetzte, sechs bis acht Meter tiefe Mäntel mit den Wohneinheiten. Das Auswahlgremium bemängelte allerdings die Wirtschaftlichkeit dieses Vorschlags.
Anerkennungen erhielten auch die Kürentwürfe von Gruber+Kleine-Kraneburg sowie Ferdinand Heide Architekten. Das vorgeschlagene Hochhaus von Gruber+Kleine-Kraneburg, das an das New Yorker Museum of Contemporary Art von SANAA erinnert, lobte die Jury als „markantes, eigenständiges Gebäude, das keine Rückseiten aufbaut und angenehme Proportionen aufweist“. Am eher strengen, an das Berlin der neunziger Jahre erinnernden Turm von Ferdinand Heide würdigte sie die „Ausarbeitung der Wohnungsgrundrisse und die Ausblicke über die ‚freie‘ Gebäudeecke“. Mit dem ersten Preis wurde der Pflichtentwurf von Meixner Schlüter Wendt bedacht, die eine Anerkennung für ihren Kürentwurf erhielten. Mit ihrem Pflichtvorschlag, der den Turmabriss vorsieht, verstoßen sie gegen die Aufgabe. Dass sie damit dennoch gewinnen, wäre bei einem geregelten RPW-Wettbewerb ein Problem gewesen. Nicht so bei einer Mehrfachbeauftragung wie dieser. Hier ist das Honorar von 40.000 Euro pro Teilnehmer auch der Preis für mangelnde Fairness und Transparenz.
Reizvolle Formulierungen
In ihrer Begründung jedenfalls ging die Jury (Vorsitz: Zvonko Turkali) dezidiert auf die „überzeugende“ Darlegung der Entwurfsverfasser ein, „dass ein Turm­erhalt nicht nur unvernünftig, sondern auch unsin­nig wäre“. Es spricht freilich für die sprachliche Begabung von Meixner Schlüter Wendt, dass sie mit Wortverbindungen wie „emotionales Denkmal“ und „immaterieller Bestand“ ebenso eingängige wie reizvolle Formulierungen gefunden haben, mit denen die Jury und der Bauherr ihre Entscheidung in der Öffentlichkeit überzeugend begründen konnten.
Dass die Architekten mit Projekten wie dem Um­bau eines Ferienhauses in Oberursel oder dem Rückbau der Dornbuschkirche in Frankfurt (Bauwelt 26.05) gezeigt haben, wie historische Substanz nicht nur materiell, sondern auch metaphorisch in zeit­gemäße Architektur transformiert werden kann, dürfte dem Neubau des Henninger Turms, trotz der Regelverletzungen in diesem Verfahren, höchst zuträglich sein. Vor allem zur Stadtseite hin werden die Unterschiede zum Altbau künftig wohl nur Lokalhistorikern auffallen. Die Silhouette soll einigermaßen gleich bleiben, ebenso der Aufsatz mit der Aufschrift „Henninger“ – wenn auch ein wenig vergrößert, weil er mit einer Chambord-Treppe den geforderten zweiten Fluchtweg erhielt. Die Wohnnutzung zeichnet sich durch eine zweigeschossige Schichtung aus Maisonetten, durch begrünte Loggien und eingerückte Balkone deutlich ab. Die Wettbewerbspartner, das Züricher Büro Vogt Landschaftsarchitekten, wollen das Hochhaus nach dem Humboldt’schen Vegetationsschema begrünen: unten Bäume, in der Mitte Sträucher, oben Rankpflanzen. „Ein gelungener Vorschlag, der den Henninger Turm als Landmarke widerspiegelt und in harmonischer Weise die städtebauliche Situation ergänzt“, urteilte die Jury.
Es ist zu hoffen, dass das Konzept die nun an­stehende „Optimierung“ überlebt. Gerade in Frankfurt ist diese als Verschlimmbesserung leidlich bekannt.
Die Rechte an den Entwürfen, so erfuhren wir, liegen bei der WPV Baubetreuung GmbH, die das Verfahren durchgeführt hat. Dort fragten wir auch nach Grundrissen an. Wie immer auf den Bauwelt-Wettbewerbsseiten wollten wir mehr zeigen als die an die Tagespresse verteilten Renderings, wollten nachvollziehbar machen, wie sich die Preisträger die Wohnungen vorstellen und auf welcher Grundlage die Jury entschieden hat. Die WPV wollte unser Anliegen nicht verstehen und verwies auf die am 8. April zu Ende gegangene Ausstellung der Arbeiten im DAM in Frankfurt am Main. Dort könne man ja abfotografieren. Das haben wir getan. Die Qualität bitten wir zu entschuldigen.
vollständiges Ergebnis:
Architektenauswahlverfahren
1. Preis Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt am Main (Pflicht) | Anerkennung Gruber + Kleine-Kraneburg Architekten, Frankfurt am Main (Kür) | Anerkennung Ferdinand Heide Architekten, Frankfurt am Main (Kür) | Anerkennung WOHA Architects, Singapur (Pflicht) | Anerkennung Bjarke Ingels Group, Kopenhagen (Pflicht) | Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt am Main (Kür)
Fakten
Architekten Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt am Main; Bjarke Ingels Group, Kopenhagen
aus Bauwelt 15-16.2012
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