Bauwelt

Jenseits von Häusereinpacken – die energie­optimierte Stadt braucht neue Werte

Konferenz zur Schönheit und Lebens­fähigkeit der Stadt No. 2

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

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Wärmedämmung hauchdünn zum Aufsprühen?
Foto: www.ilovegraffiti.de

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Wärmedämmung hauchdünn zum Aufsprühen?

Foto: www.ilovegraffiti.de


Jenseits von Häusereinpacken – die energie­optimierte Stadt braucht neue Werte

Konferenz zur Schönheit und Lebens­fähigkeit der Stadt No. 2

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

Um Stadt und Energie ging es am zweiten Tag der Konferenz für Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt No. 2 im Jugenstilssaal der Düsselforfer Rheinterassen.
Weniges schockiert uns so wirkungslos wie der Klimawandel. Zu abstrakt, zu weit weg, zu unvorstellbar erscheint es uns, dass die Erderwärmung tatsächlich vom Menschen verursacht wird. Und zu übermächtig zudem, als dass wir noch irgendetwas machen könnten. Also machen wir: praktisch nichts. Etwas wirkungsvoller sind die zurückliegenden Erdöltanker- und Erdölplattform-Katastrophen gewesen – und nun die Tragödie in Fukushima. Reflexartig rufen derartige Ereignisse in Politik und Gesellschaft stets die gleiche Reaktion hervor: Man spricht von Innehalten und von der Besinnung auf einen neuen Umgang mit fossilen Brennstoffen oder aktuell mit der Kernenergie. Und auch wenn dieses Bewusstsein in der Re­gel nur kurz anhält, deutet es doch auf eine der großen Fragen unserer Zeit hin: Wie gehen wir zukünftig mit dem Klima und der Energie um?
In Architektenhand
Im Prinzip gibt es zwei Lösungen: Zum einen die Entwicklung von Alternativen zur bisherigen Energieerzeugung, zum anderen die Reduzierung des bisherigen Energieverbrauchs. Die zweite Möglichkeit liegt zum großen Teil in den Händen von Architekten und Ingenieuren, schließlich lassen sich 40 bis 50 Prozent des gesamten Energieverbrauchs auf Gebäude zurückführen. Hier fehlt es jedoch seit Jahrzehnten an Innovationen. Das ist mehr als verständlich, wenn man bedenkt, dass wir in den zurückliegenden 120 Jahren durch den Überfluss an preiswerter Energie verwöhnt und verführt wurden: Funktion und Ästhetik rückten in den Mittelpunkt und vielleicht noch die Baubarkeit. Und so steht unsere gebaute Umwelt in großen Teilen jetzt da. Zersiedelt, sanierungsbedürftig, energetisch desaströs.
Ein wesentlicher Teil der Lösung ist die Stadt: verdichtet, Wohnen und Arbeiten wieder integriert, attraktiv und lebenswert – ein Zukunftsmodell nicht nur aus energetischer Sicht. Auch aufgrund der demografischen Entwicklung gibt es in Westeuropa keine Alternative zur Stadt. Doch damit diese auch funktioniert, soll sie schön sein. Soll Heimat sein und Iden­tifikation schaffen für die Menschen, die in ihr leben wollen und sollen. Dazu gehören historische Gebäude als kulturelle Anker. Aber eben auch jene 98 Prozent der Stadtgebiete, deren Bestand nicht denkmalgeschützt ist. Die aber trotzdem einen individu­ellen Cha­rakter haben, den die Menschen brauchen, um sagen zu können: Hier gehöre ich hin.
Innovationspotenzial im Zentimeterbereich?
Das gilt es zu erhalten und trotzdem energetisch zu verbessern. Ob dafür immer ein Wärmedämmverbundsystem geeignet ist oder eine irgendwie anders geartete aktuelle technische Lösung, sei einmal dahingestellt. Es muss etwas besseres geben, und das müssen Architekten nicht nur von der Baustoffindustrie einfordern, sondern mit ihr gemeinsam entwickeln. Sonst bleibt es beim Wärmedämmverbundsystem, das es nun auch schon seit 50 Jahren gibt, ohne Rücknahmegarantie und mit einem Innovationspotenzial, das sich allein in Zentimetern Dicke bemisst.
Zum energetisch optimierten Neubau mit po­sitiver Energiebilanz gibt es keine Alternative. Aber auch das wird, bei unserer Neubauquote, die sich nicht ändern wird, niemals genügen, um Quartiere oder gar ganze Städte CO2-neutral zu machen. Die Lösung liegt in der Integration aller Maßnahmen: dezentrale Energieversorgung mit Nahwärme, erzeugt durch Blockheizkraftwerke mittlerer Größe, regenerative Energien, sinnvolle Dämm-Maßnahmen, neue Energie-Speichertechnologien, Neubauten, die Energie produzieren – und das alles flankiert von politischen Rahmenbedingungen, die dies fördern und wirtschaftlich lukrativ machen.
Doch auch das wird nicht ausreichen, damit unsere Städte im Jahr 2050 tatsächlich energieneutral sind. Eine Gesellschaft, die ihren Erfolg ausschließlich an wirtschaftlichen Kenngrößen wie Bruttoinlandsprodukt und Bruttosozialprodukt bemisst und deren Streben nur dahin orientiert ist, eben diese Kenngrößen zu steigern, wird diesen Herausforderungen nicht gewachsen sein. Eine entwickelte Gesellschaft muss andere Werte und dazugehörige Kenngrößen haben, an denen ablesbar ist, wie erfolgreich sie im Ganzen ist: Bildung, Zufriedenheit, soziale Sicherheit, Toleranz. Eine solche Gesellschaft kann sich energieoptimierte Städte leisten.
Unbestrittenes Ziel
Auf der „Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ in Düsseldorf gab es einen Konsens über dieses Ziel. Umstritten, das belegte die engagierte Diskussion, ist allerdings der Weg dorthin. Es ist ein Ringen um die beste gemeinsame Lösung. Diese Diskussion muss aus den Kreisen der Architekten und Planer hinaus in die Industrie, in die Politik, in die Gesellschaft getragen werden. Denn für die eine Hälfte der Lösung unserer Energie- und Klima­herausforderungen sind wir selbst mit der Gestaltung unserer Städte verantwortlich.

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