Bauwelt

Hausrest gestapelt

Mike Bouchet in der Frankfurter Schirn

Text: Amos, Thomas, Frankfurt am Main

Hausrest gestapelt

Mike Bouchet in der Frankfurter Schirn

Text: Amos, Thomas, Frankfurt am Main

Unter dem Titel „Neues Wohnen“ zeigt die Schirn derzeit Arbeiten zum Thema Architektur des 1970 geborenen US-Amerikaners Mike Bouchet. In der Rotunde steht die Installation „Colony Gardens“: ein turmartiges Baugerüst, darauf eine künstliche Rasenfläche mit einzelner Säule und Bewässerungssystem. Es lässt sich als polemischer Kommentar zur mittlerweile bejahrten Postmoderne des Museumsbaus und zugleich als Resümee der mit Schein und Sein, Bild und Abbild fortwährend virtuos spielenden Ausstellung auffassen.
Ihr Kernstück ist eine Installation der eine längere Geschichte vorausgeht. Anlässlich der Biennale in Venedig 2009 hatte Bouchet bei einer amerikanischen Firma ein 240 Quadratmeter großes zweistöckiges Holzhaus samt integrierter Doppelgarage und säulengeschmückter Eingangstür bestellt und es auf ein schwimmfähiges Podest montiert. Im Hafenbecken des Arsenale, der ehemaligen Schiffswerft von Venedig, sollte es als surreale Installation „Watershed“ sechs Monate dahintreiben. Ziemlich schnell versank es jedoch zu zwei Dritteln und musste dann von der italienischen Marine geborgen werden. 
Aus den Resten des Fertighauses schuf Bouchet nun für die Schirn die nach dessen Typenbezeichnung benannte Installation „Sir Walter Scott“. Nachdem er die Reste mit der Kettensäge zerlegt hatte, er- richtete er aus den Holzplatten, Balken, Kunststoffpaneelen, Dachpappenstücken und Fenstern 15 kompakt geschichtete, rund zwei Meter hohe Quader und stellte sie auf Industriepaletten in die lange Ausstellungsgalerie der Schirn. Als einziger Hinweis darauf, dass diese Fragmente einmal zu einem Haus gehörten, erinnert der dreieckige Giebel mit seinem Ochsenauge.
Die Installation erprobt mit durchaus utopischem Anspruch zukünftige Wohn- und Lebensräume des Menschen. Selten geschah dies auf derart künstlerische Weise, wozu auch gehört, dass Bouchet darauf verzichtet, definitive Lösungen zu offerieren. In Venedig wollte er durch die Gegenüberstellung von Alltagsarchitektur und historischen Gebäuden Fragen in Bezug auf Lebensdauer, Nutzung, Material und Statik thematisieren. „Watershed“ (im Deutschen: „Wasserscheide“ oder „Wendepunkt“) hätte vor dem Hintergrund der amphibischen Stadt wesentliche Fragen moderner Architektur und Stadtplanung zur Diskussion gestellt. Doch das seriell gefertigte Eigenheim, wie es in den Staaten millionenfach vorkommt, ging im wahrsten Sinne des Wortes unter.
Indem Bouchet das Haus in Frankfurt am Main dekonstruiert, seine einzelnen Bestandteile herauslöst und somit die ernüchternd simple Konsistenz des Materials offenlegt, zerstört er einerseits geradezu lustvoll den (nicht nur amerikanischen) Traum vom romantischen Eigenheim. Andererseits erinnert er, da er das Baumaterial eindeutig in den Rang einer Skulptur erhebt, nachdrücklich an das dem eigenen Haus innewohnende Sehnsuchtspotential. Als Künstler mit architekturtheoretischen Ambitionen propagiert Bouchet nicht das architektonische Recyclingverfahren der Postmoderne, sondern plädiert für die Entwicklung einer zeitgemäßen Architektur unter technischen, ökologischen und ästhetischen Gesichtspunkten.
Häuser, so die subversivste Botschaft seiner Installation, bestehen aus banalem Material, das erst der Bewohner mit Sinn auflädt.
Fakten
Architekten Bouchet, Mike, Frankfurt am Main
aus Bauwelt 35.2010
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