Bauwelt

Chicago gezeichnet

Editorial

Text: Fischer, Florian, München; Stadler, Marius, München; Jana, Nelly, München; Geipel, Kaye, Berlin

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Fotos: Archiv der Stadt Chicago

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Chicago gezeichnet

Editorial

Text: Fischer, Florian, München; Stadler, Marius, München; Jana, Nelly, München; Geipel, Kaye, Berlin

Ist die Stadt am Michigansee der mythische Ort, an dem brutales Renditestreben und höchste Architekturqualität unter einen Hut gebracht werden konnten? Zum Beweis legen unsere Autoren 16 legendäre Hochhäuser unters Mikroskop ihrer Nachzeichnungen.
Vor kurzem ließ das Debatten-Portal der Bundesstiftung Baukultur „BKult.de“ abstimmen, ob wir in Deutschland mehr Investorenarchitektur bräuchten – das Ergebnis war nicht einmal gespalten, es war eher wie das einer politischen Wahl in Bayern: eindeutig! 76 Prozent stimmten mit Nein, 24 Prozent mit Ja.
Warum also noch in Archiven graben um dann, in diesem Frühjahr, mit Studierenden der TU-München nach Chicago zu reisen und 25 Hochhäuser aus der Zeit von 1885 bis 1971 bis ins kleinste Detail zu studieren und neu zu zeichnen? Alles Gebäude, die bis in die letzte Pore, ohne Wenn und Aber, Investorenarchitektur sind und die über einen Zeitraum von knapp 100 Jahren in Chicago realisiert wurden. Louis H. Sullivan schrieb in seinem Aufsatz „The Tall Office Building Artistically Considered“: „Es ist mein fester Glaube, dass im Kern eines jeden Problems dessen eigene Lösung oder zumindest ein Vorschlag für seine Lösung liegt.“ Und er schreibt weiter, dass die gesellschaftlichen Bedingungen die Grundlage der Architektur sind – und nicht umgekehrt. Anders gesagt: Die Architektur ist gefordert, Antworten zu geben. Es geht darum, den Aufgaben und den ökonomischen Konstellationen mit architektonischen Mitteln zu begegnen. Und, so lässt sich vermuten, diese Lösungen sind der Fragestellung inhärent.
Wie wir wissen, kann man das solide oder gut machen, man kann es aber auch schlecht oder sehr schlecht tun, und man kann es auf herausragende Weise tun – wie in Chicago. Durchaus polemisch formuliert: Es liegt an der Intelligenz der Architekten – so jedenfalls äußert sich der Londoner Architekt Adam Caruso, der auch heute aus dem Buch der Architektur, das Chicago vorlegt, Inspiration bezieht.
Was aber zeigen uns die einzelnen Gebäude, ihre „reinen“, gezeichneten Ansichten? Sie zeigen sicherlich, wie eine vergleichsweise profane Bauaufgabe – das große Bürogebäude – als wirklich künstlerische Aufgabe angenommen wurde. Wie mit einem neuen Programm, einem neuen Maßstab, mit neuen Materialien, Techniken und Konstruktionsweisen die Architekturgeschichte nicht negiert wurde, sondern radikal fortgeschrieben werden konnte. Und sie zeigen natürlich, und zugegebenermaßen etwas didaktisch, die große Lust am genauen Schauen. Sie machen – sozusagen als umgekehrt produktiver Prozess – die Lust am Nachzeichnen und am Verstehen dessen deutlich, was einmal gezeichnet wurde, um gebaut zu werden. Es mag ja ein Gemeinplatz sein: Architektur ist die physische Präsenz und Ordnung der Dinge. Aber wenn wir bauen, helfen keine Theorien oder Weltverbesserungsformeln weiter – dann hilft nur die Präzision, mit der wir unsere architektonischen Werkzeuge und „Zutaten“ einsetzen. Florian Fischer, Marius Stadler, Nelly Jana
Ohne computergenerierte Fügungstechniken wären diese Nach-Zeichnungen kaum möglich gewesen. Auffällig ist das große Interesse an der gezeichneten Aufarbeitung historischer Vorbilder mit Hilfe von Archivmaterial und neuen Fotos – nicht nur an der TU München, sondern auch an vielen anderen Entwurfslehrstühlen. Das Medium der „klassischen“ Zeichnung als Denk- und Entwurfsinstrument ist en vogue. Das Angebot einer Gruppe junger Architekten der TU München, die Chicago-Hochhäuser zu veröffentlichen, haben wir gerne aufgegriffen: Die unglaublichen Details und die Komplexität einer Sullivanfassade etwa sind im Foto nicht adäquat darzustellen, wie schon Sigfried Giedion wusste.
Fast zur selben Zeit wie die Gruppe des Münchner Masterseminars reiste Adam Caruso mit Studierenden der ETH Zürich nach Chicago. Ergebnis dieser parallelen Reisen ist ein Interview von Florian Fischer mit dem Londoner Architekten über die Vorbildfunktion der Bauten am Michigansee. Drei Stichworte nennt Caruso: innerstädtische Verdichtung, neue Gründerzeit und herausragende Qualität. Lässt sich die Qualität von heutigen „Renditebauten“ durch den Verweis auf das, was einmal möglich war, heben? Der Anstoß für das Heft kommt aus München, wo diese Frage virulent und das Geld für Außergewöhnliches vorhanden ist. KG

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