Bauwelt

Auf der Suche nach der besten aller Welten

15. Berliner Gespräch des BDA

Text: Rumpf, Peter, Berlin

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Titelholzschnitt der Erstveröffent­lichung (1516) von Thomas Morus’ Roman „Utopia“ (Ausschnitt)

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Titelholzschnitt der Erstveröffent­lichung (1516) von Thomas Morus’ Roman „Utopia“ (Ausschnitt)


Auf der Suche nach der besten aller Welten

15. Berliner Gespräch des BDA

Text: Rumpf, Peter, Berlin

Ein Stadtplan der Ideen? Ein von den Häftlingen selbstverwalteter Gefängnisstadtteil? Ein mit 600 Stundenkilometer schnellen Hochgeschwindigkeitszügen vernetztes Europa? Eine Gemeinschaft von immer Glücklichen? Oder doch eher ein Fall für den Therapeuten? Der BDA fragte nach „Vorteil und Nutzen der Utopie“.
Wenn der Präsident des BDA, Michael Frielinghaus, das 15. Berliner Gespräch mit dem Zitat „nur die Utopie ist realistisch“ einleitete, dann konnte er das kaum auf die folgenden sechs Stunden beziehen. Die gestalteten sich eher als Warnung vor der Utopie. Zugegeben, man kann sich auf den Standpunkt stellen, die Gegenwart – auch die der Architektur bzw. der Stadtbaukunst – ist zur Zeit rückwärtsgewandt, deshalb seien Utopien heute nötiger denn je zuvor. Doch wenn man dann ins Schwärmen gerät bei Le­douxs Idealstadt, Le Corbusiers Plan Voisin für Paris, Buckminster Fullers Glaskuppel über New York oder Costas/Niemeyers Brasilia, sollten wir eigentlich froh sein, dass nur letzteres Wirklichkeit wurde und auch all die anderen Fantastereien wie die working city von Archigram, die Wolke von Coop Himmelb(l)au, die neue Friedrichstadt von Hilbersheimer, die Cluster in der Luft von Isozaki, die Raumstadt von Schulze-Fielitz oder die Weltraumarchitektur von Taut Papier geblieben sind.
Gerechterweise muss konstatiert werden, dass manche der Utopien nicht nur Architektur meinte, sondern auch die Gesellschaft, das Zusammenleben, die bessere der Welten. So weit wollte oder konnte man an diesem kalten Spätnovember-Samstag im DAZ nicht gehen. Zwar waren auch zwei Philosophen eingeladen, um die vier von Künstlern vorgestellten Projekte fragend und kommentierend zu begleiten. Das Dargebotene war dann aber doch arg dünn. Matt Mullican aus Kalifornien, der in Hamburg an der Hochschule für bildende Künste lehrt, hat ein sehr individuelles Kategorisierungssystem entwickelt, das er auf Hamburg-St. Georg bezogen testete. Seine „City as a map (of ideas)“ legt bauliche und inhaltliche Informationen übereinander und bricht sie runter vom Stadtteil über den Wohnblock, das Haus, die Etage, die Wohnung, das Zimmer (Bad), die Wanne bis zur Ablage mit den Rasierklingen. Mullican bezeichnet sich als „radikalen Autisten“. Stimmt. Das Künstlerpaar Dellbrügge & de Moll aus Illinois führte einige Projekte vor, die die beiden als Stipendiaten in Berlin entwickelt haben. Eines davon: Das Gefängnis in Berlin-Moabit („die größte Strafanstalt Europas“) wird bis 2020 aufgelöst zugunsten des gesamten dann fluchtsicheren Stadtteils, als Insel zwischen drei Schifffahrtskanälen und der Spree, auf der dann die stark gestiegene Zahl der Straftäter selbstverwaltet lebt.
Die Idee von Glück
Weiter in die Zukunft ging’s mit Peter Haimerl aus München, der mit seiner „Zoomtown“ darauf hinarbeitet, Europa vom Auto zu befreien. Dazu verbindet er alle Großstädte mit einem Netz für Hochgeschwindigkeitszüge (600 km/h) und legt über jede Stadt ein Raster von Bahnhöfen im Abstand von drei Kilometern. Sein Projekt ist, wie er versichert, sofort startbar. Den Utopietag beendete der Industriedesigner Aldo Cibic aus Vicenza. Weil seinem eigenwilligen Englisch nur Bruchstückhaftes zu seinem „Rethinking Happiness“ zu entnehmen war, hier eine Passage aus den Beipackzettel: Es geht um nicht weniger als „die Idee von Glück, einem aktiven Zusammenleben unterschiedlicher Menschen in neuen Communities“. Illustriert wurde dieses Glück von einer Reihe an Naivität kaum zu überbietenden Animationen auf dem Lande und zu Wasser.
Vor der eingangs vom BDA-Präsidenten geäußerten Hoffnung, die Visionen von morgen den Künstlern von heute abschauen zu können, mussten, unter Aufsagen von Komplimenten, selbst zwei Philosophen kapitulieren: Christian Illies (Biologie, Physik, Philosophie, Kunstgeschichte) und Claus Baldus (Philosophie, Politologie, Linguistik, Literaturgeschichte, Publizistik, Kybernetik, mathematische Logik, Informationswissenschaften). Da vermochten auch herbeizitierte Helfer wie Jesaja, Ernst Bloch, Hans Jonas, Karl Popper und Jürgen Habermas nichts auszurichten. Und auch nicht, dass Baldus 50 Prozent aller Museen schließen und in Zukunftslabore umbauen will oder Illies empfiehlt, mit Utopien spielerisch, selbstreflektiv und vor allem mit Humor anzugehen. Wie sagte der große Anti-Utopist Helmut Schmidt: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.

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