Bauwelt

Angestrickt

Erweiterung der Stadthalle Chemnitz zum Tagungszentrum

Text: Meyer, Friederike, Berlin

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1. Preis: studioinges Architektur und Städtebau

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Angestrickt

Erweiterung der Stadthalle Chemnitz zum Tagungszentrum

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Die Stadthalle in Chemnitz soll für das Kongressgeschäft ausgebaut werden. An welcher Stelle man den polygonalen Komplex aus den 70er Jahren am besten erweitert, war die entscheidende Frage für die Wettbewerbsteilnehmer.
Die Stadthalle Chemnitz gehört zu den großen Mehrzweckbauten der DDR-Moderne. Unter Leitung von Chefarchitekt Rudolf Weißer wurde sie 1969–74 im Stadtzentrum gebaut – mit einem kleinen und einem großen Saal und einem Hotelturm. Die Volumen sind terrassenartig gestaffelt, die Materialien sorgfältig reduziert: Rochlitzer Porphyr, großflächige Glasfassaden und Betonfertigteile. Markant und typisch für diese Zeit sind vor allem die plastischen Betonelemente vor den Außenwänden der Säle.
Längst steht die Stadthalle unter Ensembelschutz, und anders als etwa beim Kulturpalast in Dresden steht hier kein Totalumbau für ein philharmonisches Orchester zur Diskussion (Bauwelt 20.09, 27–28.09), sondern eine Erweiterung. Chemnitz will sich als Kongressstadt positionieren. Die Stadthalle ist eine Basis, doch ihr fehlt es an kleinen Räumen. Rund 2500 m² flexibel schaltbare und vari­abel nutzbare Tagungs- und Ausstellungsräume für nicht mehr als 7,5 Mio. Euro bauen zu können, war eine der Vorgaben an die Wettbewerbsteilnehmer. Die zweite war eine städtebauliche: Als Solitär wurde der Stadthallenkomplex einst ins leergebombte Stadtzentrum von Chemnitz gestellt, umfahren von mehrspurigen Straßen und von zwei Seiten erschlossen. Seit den 90er Jahren ist dieses Solitärdenken mit dem Leitbild der „europäischen Stadt“ konfrontiert. Der wieder lesbare Wall und ein Wiedererstehen der Altstadtstruktur sind zur Leitidee des Chemnitzer Innenstadtumbaus geworden. Dies äußert sich vor allem in der Verdichtung des Stadtzentrums mit Kaufhäusern und durch Raumkanten, die entlang der ehemaligen Wallanlagen entstanden sind (Bauwelt 16.02). So rückt die Shopping-Mall „Roter Turm“ mit ihrer Terracotta-Fassade von Hans Kollhoff dicht an die Stadthalle heran, auch ein Parkhaus wurde ihr inzwischen beigestellt.
In der Erweiterung der Stadthalle, so steht es in der Auslobung, sehe die Stadt eine Chance, städtebauliche Defizite des näheren Umfeldes zu beheben, zum Beispiel die Anlieferung an der Stadthallensüdseite und ihre Erschließungsbereiche, die Tiefga­rageneinfahrt und die des Parkhauses. Wie sie die neuen Räumen an die denkmalgeschützte Stadthalle anbinden, war schließlich die dritte große Herausforderung für die Wettbewerbsteilnehmer.
Unter den 20 eingegangenen Arbeiten entschied sich die Jury (Vorsitz: Ludwig Wappner) für den Vorschlag von studioinges aus Berlin. Die Architekten stricken die Struktur des Komplexes einfach in Richtung Süden weiter und verbinden Neu- und Altbau auf Höhe der beiden bestehenden Foyers. Sie überbauen damit den Anlieferbereich und schaffen zugleich einen dritten Stadthallen-Eingang in der Verlängerung der Achse, die vom Markt in der Innenstadt auf die Stadthalle trifft – bisher stößt man hier an eine Mauer, die die Zufahrt zur Tiefgarage stützt. Die Tagungsräume verteilen studioinges über drei Ebenen, belassen aber die dominante Erscheinung des Saals und halten überdies Abstand durch einen Lichthof. Ihnen ist, so scheint es, eine „eierlegende Wollmilchsau“ gelungen, denn im Entwurf sehen alle ihre Wünsche erfüllt: die Verfechter der Wall-Kante, die Denkmalpfleger und die Betreibergesellschaft. Der Entwurf nehme sich zurück, ohne auf eine tiefgreifende Umbaulösung zu verzichten, formuliert die Jury, er gewährleiste eine große Varia­bilität von Raum­größen und Unterteilbarkeit, und er schaffe eine interessante Arrondierung der
Wallanlage und eine bauliche Neuordnung des Betriebshofes.
Auch Drei Architekten, Haag Haffner Stroheker bauen direkt an die Stadthalle an (3. Preis), allerdings an die östliche Seite, in Richtung Stadtpark. Nach dort richten sie auch die Tagungsräume aus und wechseln von der dreieckigen Tragstruktur zum orthogonalen System. Nachteilig sei, so urteilten die Preisrichter, dass die Chance einer Stadtrepa­ra­tur in Richtung „Am Wall“ durch die weiterhin of­-fene Flanke des Betriebshofs ungenutzt bleibt und die Sicht auf die markante Fassade des großen Saals vom Park aus durch die Höhe der Aufstockung beeinträchtigt wird. Auch den mit der Aufstockung verbundenen baulichen Aufwand beurteilten sie kritisch.
mvmarchitekt + starkearchitektur (2. Preis) hingegen halten Abstand vom Altbau und graben den Konferenzbereich halb im Stadtpark ein. Damit bewegen sie sich außerhalb des vorgegebenen Grundstücks. Hätten die Wettbewerbsorganisatoren zuvor bindende Vorgaben festgelegt, die zum Ausschluss führen, hätte ihr Vorschlag höchstens einen Sonderpreis erhalten können.
Fakten
Architekten studioinges Architektur und Städtebau, Berlin; mvmarchitekt + starkearchitektur, Köln; Drei Architekten, Haag Haffner Stroheker, Stuttgart; Klinkenbusch + Kunze Architektur und Gestaltung, Dresden; PEB+ Harm Reccius Architekten, Berlin
aus Bauwelt 35.2011
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