Bauwelt

An den Rand gedrängt

Warum die zweite Trinitatiskirche in der Emil-Fuchs-Straße, Heimstatt der Leipziger Propsteigemeinde von 1982 bis Mai 2015, dort steht, wo sie steht, und so aussieht, wie sie aussieht

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Zweite Trinitatiskirche mit Glockenturm in der Emil-Fuchs-Straße, im Anschnitt am linken Bildrand das Pfarrhaus.
    Foto: ©Propsteigemeinde St.Trinitatis Leipzig

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    Zweite Trinitatiskirche mit Glockenturm in der Emil-Fuchs-Straße, im Anschnitt am linken Bildrand das Pfarrhaus.

    Foto: ©Propsteigemeinde St.Trinitatis Leipzig

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    Sprengung der Kriegsruine der Trinitatiskirche im November 1954
    Foto: ©Propsteigemeinde St.Trinitatis Leipzig

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    Sprengung der Kriegsruine der Trinitatiskirche im November 1954

    Foto: ©Propsteigemeinde St.Trinitatis Leipzig

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    Innenraum der Kirche mit Altarrückwand von Achim Kühn.
    Foto: Johann Neudert

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    Innenraum der Kirche mit Altarrückwand von Achim Kühn.

    Foto: Johann Neudert

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    Montage des Stahlskeletts der Kirche.
    Foto: ©Propsteigemeinde St.Trinitatis Leipzig

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    Montage des Stahlskeletts der Kirche.

    Foto: ©Propsteigemeinde St.Trinitatis Leipzig

An den Rand gedrängt

Warum die zweite Trinitatiskirche in der Emil-Fuchs-Straße, Heimstatt der Leipziger Propsteigemeinde von 1982 bis Mai 2015, dort steht, wo sie steht, und so aussieht, wie sie aussieht

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

In Leipzig war die Ausübung des katholischen Glaubens nach der Reformation erst wieder möglich, nachdem August der Starke 1697 aus politischem Kalkül, um polnischer König werden zu können, zum Katholizismus übergetreten war. Die Gottesdienste der Leipziger Katholiken fanden fast 150 Jahre lang in der Kapelle der Pleißenburg statt (die später für den Bau des Neuen Rathauses abgerissenen wurde), ab 1847 dann in der neu erbauten Trinitatiskirche schräg gegenüber in der Rudolphstraße. Die neo-gotische Trinitatiskirche war das einzige katholische Gotteshaus im Stadtzentrum, sodass ihr Wiederaufbau nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im Grunde als selbstverständlich galt. Doch als man ihn in Angriff nahm, war bereits die Planung zur Umgestaltung des Innenstadtrings zu einer sozialistischen Aufmarsch-Achse angelaufen – und das gesamte Areal am Ring stand zur Disposition.
Während die Gemeinde, durch die Flüchtlingsströme aus dem Osten stark angewachsen, auf eine größere Kirche hoffte, setzten die Parteifunktionäre und die örtlichen Stadtplaner getreu der neuen Leitbilder alles daran, die Kirche aus dem unmittelbaren Blickfeld der geplanten Aufmarsch-Achse zu verbannen. Man einigte sich auf einen gegenüber dem bishe­rigen Standort etwas rückversetzten Neubau, der durch die neue Ringbebauung weitgehend verdeckt werden sollte. Der traditionell-linientreue Entwurf für die neue Kirche stammte vom Kirchenbauarchitekten Andreas Marquardt, der in Leipzig u.a. auch St. Albert (1951/52) und St. Hedwig (1953/54) errichtete. Da Marquardt für das Projekt sowohl eine Standortbestätigung als auch eine vorläufige Baugenehmigung erhielt, ließ die Gemeinde die Ruine im November und Dezember 1954 abreißen. Zu diesem Zeitpunkt versuchte das SED-Regime jedoch bereits, den Einfluss der Kirchen massiv zurückzudrängen, und das Aufbauministerium zog die schon erteilte Standortgenehmigung 1955 zurück.
Die Katholiken waren in der DDR eine kleine religiöse Minderheit. Beim Kirchenbau wurden die „Diasporagemeinden“ im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz vom Bonifatiuswerk unterstützt. Was für eine Signalwirkung der geplante Neubau hatte, wurde der Staatsführung so richtig vermutlich erst durch ein Themenheft des Paderborner „Bonifatiusblatts“ bewusst: Mit dem Ruinenfoto der Trinitatiskirche auf dem Titel unter der Schlagzeile „Leipzigs Mutterkirche wird wieder aufgebaut!“ stellte die Ausgabe die Bedeutung der Propsteigemeinde als Keimzelle vieler weiterer sächsisch-thüringischer Gemeinden heraus. Die Propsteikirche war das größte Neubauprojekt des Bonifatiuswerks, gleichzeitig wohl auch das symbolträchtigste der gesamten DDR. In dem Projekt kollidierten völlig gegensätzlichen Ansichten. Während die Kirchen selbstverständlich davon ausgingen, dass ein „Gemeindezentrum“ in der Mitte einer Gemeinde steht – und das war im Fall der Propsteikirche die Leipziger Innenstadt –, legten die seit den 50er Jahren geltenden „16  Grundsätze des sozialistischen Städtebaus“ fest, dass das Stadtzentrum der ideologisch-politische Mittelpunkt der Stadt sein solle, mit sukkzessive zu errichtenden Neubauten für Propaganda- und Kulturveranstaltungen. Anfänglich beharrte die Gemeinde auf ihrer angestammten Wirkungsstätte in der Rudolphstraße, bemühte sich später aber auch um einen Neubau an anderen Standorten im Zentrum. Ohne Erfolg. Die Bemühungen scheiterten nicht zuletzt an Walter Ulbricht, der in Kirchenfragen ein Hard-Liner war und als gebürtiger Leipziger das Stadtzentrum seiner Heimatstadt als persönliches Jagd­revier betrachtete.
Die Propsteikirchgemeinde blieb lange Zeit ohne eigenes Gottes­haus und kam als Gast in der evangelischen Universitätskirche am Augus­tusplatz unter – bis diese völlig intakte Kirche im Mai 1968 gesprengt wurde, um Platz zu schaffen für das Henselmann’sche Uni-Hochhaus. 1975 bot das Ministerium für Außenhandel der Gemeinde im Rahmen des neuen Valuta-Sonderbauprogramms – das die DDR mit dringend benötigten Devisen versorgen sollte (mehr dazu auf Seite 30) – den Neubau eines „Gemeindezentrums“ an und verdonnerte die Stadt dazu, geeignete Stand-orte anzubieten, allerdings auf keinen Fall im Stadtzentrum. Das zweite Angebot, ein idyllisch zwischen Elstermühlgraben und Rosental, einem der beliebtesten Leipziger Parks, gelegenes Grundstück in der Emil-Fuchs-Straße im Waldstraßenviertel, akzeptierte die Gemeinde zähneknirschend. Die Planung des Projekts übernahm die Bauakademie der DDR.
Um das neue Gemeindezentrum maßstäblich in das gründerzeitliche Quartier einfügen zu können, sollte eine zeitgenössisch-moderne Anlage mit mehreren funktional ablesbaren Baukörpern entstehen, deren Dimensionen sich an der offenen Bebauung der Nachbarschaft orientierten – zum Entsetzen der Gemeinde, die sich einen städtebaulich dominanten Kirchenbau vorstellte. Bereits das Grundkonzept der Anlage vom BDA-Präsidenten Wolfgang Urbanski sah für den großen Kirchensaal, die Gemeinderäume und das Pfarrhaus eigenständige, miteinander verbundene Baukörper vor. Darauf aufbauend entwickelte der Leipziger Architekt Helmut Ullmann – immer im Spagat zwischen den Wünschen der Gemeinde nach mehr Bauvolumen und kirchlicher Symbolik und der staatlichen Vorgabe eines  unauffälligen Gebäudes mit möglichst vielen DDR-Standard-Kon­struktionen – für die Propsteikirche und das Gemeindezentrum eine kompakte Baustruktur. Während das örtliche Büro des Chefarchitekten jede Änderung penibel beäugte („die vorgelegte Studie weist eindeutige Charakteristika eines Kirchenbaus auf“), akzeptierte der Staatsrat der DDR mit Blick auf die Deviseneinnahmen letztendlich sogar einen frei stehenden Glockenturm – seit Ulbrichts „Turmrede“ von 1953 eigentlich ein striktes Tabu. Das ebnete den Weg für weitere Kirchtürme, etwa neben der Pauluskirche in Leipzig-Grünau (siehe Seite 32).
Nachdem man das Ufer des Elstermühlgrabens mit einem neuentwickelten Spundwand-System gesichert hatte – durch das, wie sich später herausstellen sollte, schon bald nach der Weihe 1982 dauerhaft Grundwasser in die Kellerräume eindrang – wurde ab dem Sommer 1979 mit dem Bau des Pfarrhauses begonnen. Zu dieser Zeit plante das Muster- und Experimentalbüro der Bauakademie unter Leitung des Architekten Udo Schultz noch die verschiedenen Sonderkonstruktionen der Kirche. Der Kirchenraum befindet sich in einem aus einem Stahlskelett konstruierten Kubus mit einer Grundfläche von 24 mal 24 Metern, der einschließlich der Empore Raum für 500 Sitzplätze bietet. Für die Fassade wurden eigens Betonwabenelemente entwickelt, deren milchiges Gussglas den Lichteinfall in den Saal „dimmt“. Der Metallgestalter Achim Kühn schuf eine Altarwand aus künstlich gerostetem Stahlblech und weitere baubezogene Arbeiten mit teilweise durchaus systemkritischen Motiven, wie die Eingangstür mit der Darstellung aller bisherigen Wirkungsstätten der Gemeinde und die auffällig platzierte Glocken-Inschrift „für alle Opfer ungerechter Gewalt“.
Die Propsteikirche St. Trinitatis in der Emil-Fuchs-Straße gehört sicher zu den interessantesten Kirchenbauten der DDR, doch die Gemeinde war mit ihr nie wirklich glücklich – kein Wunder, wenn man die Vorgeschichte bedenkt. Als nach der Wende die Bauschäden immer offensichtlicher wurden, lag es für die Gemeinde nahe, die Möglichkeit eines Neubaus in der Innenstadt ins Auge zu fassen.

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