Mies, Scharoun, Herzog & de Meuron
Um den Platz und die Kosten für den Erweiterungsbau von Mies van der Rohes Nationalgalerie am Kulturforum ist noch einmal kräftig gestritten worden. Das Museum des 20. Jahrhunderts, wichtigster Berliner Kulturbau der kommenden Jahre, ist jetzt in der Spur. Jacques Herzog gibt Auskunft über den Stand der Planung.
Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin
Mies, Scharoun, Herzog & de Meuron
Um den Platz und die Kosten für den Erweiterungsbau von Mies van der Rohes Nationalgalerie am Kulturforum ist noch einmal kräftig gestritten worden. Das Museum des 20. Jahrhunderts, wichtigster Berliner Kulturbau der kommenden Jahre, ist jetzt in der Spur. Jacques Herzog gibt Auskunft über den Stand der Planung.
Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin
Weil der Wettbewerb dort stattgefunden hat. Ich würde die Frage umstellen: Weshalb sollte dieser Ort nicht geeignet sein? Es ist so ein hässlicher Ort, eine Brache mitten in der Stadt, umgeben von Gebäuden, die für sich dastehen – all diese berühmten Gebäude, die Philharmonie, die Bibliothek, die Nationalgalerie, sogar die Piazzetta, sind völlig abgeschottete, stumme Monumente. Von daher drängt es sich geradezu auf, etwas zu verändern.
Ich denke, dass schon der Begriff „Forum“ falsche Erwartungen weckt, weil er suggeriert, dass sich Leute auf einem freien Feld bewegen. Ich glaube, das funktioniert nicht im Norden, im Klima von Berlin. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir die bestehenden Gebäude in Beziehung zueinander bringen, und deshalb haben wir die Aufgabe von Anfang an als Konzept der Dichte verstanden. Unser Ansatz war es, den ganzen Platz, der
zur Verfügung stand, auszureizen, um Nähe zu schaffen und nicht Ferne. Davon gibt es genug.
Als Konzept der Dichte und der Nachbarschaften, der Bezüge zwischen den bestehenden Bauten. Die Begegnung der Stadt mit den Menschen ist im Neubau enthalten, in den Boulevards, die wir hinein verlegen, auf den Platz. Das Volumen schafft klar definierte Räume sowohl zur Philharmonie als auch zur Bibliothek als auch zur Piazzetta als auch zur Nationalgalerie. Bis jetzt sind in diesem Umfeld keine definierten Räume vorhanden.
Das ist ein momentaner Zustand. Wir wissen alle, dass sich die Mobilität verändert. Ich bin überzeugt, dass das irgendwann ein Boulevard sein wird, mit viel mehr Grün und viel durchlässiger. Und ich bin sicher, dass die Öffnung, die wir nach Osten anbieten, eine Chance ist für den Einbezug der Bibliothek, die ein großes Potenzial ist in diesem kulturellen Kontext.
Auch das hängt davon ab, wie das bespielt wird. Ich sehe das für alle Menschen. Wichtig ist, dass Projekte auch im Außenraum stattfinden. Da können Popkonzerte stattfinden, Lesungen, Filmprojektionen. Das wird möglich durch unser Konzept, weil es Distanzen überwindet.
Alle. Das, was Sie Hybrid nennen, kann ich auch Paradox nennen oder Komplexität. Diese bildhaften Assoziationen, die die Leute mit dem Giebeldach verbinden, mögen polemisch gemeint sein, sie haben aber auch etwas Positives. Eine Scheune etwa hat mit Nahrung zu tun, mit Vorrat, mit dem, was draußen passiert und was hinein kommt – auch geistige Nahrung. Das Gebäude ist aber auch ein Depot, ist wie eine Bahnhofhalle, vielleicht ein bisschen wie ein Tempel, weil Kunst auch damit zu tun hat, dass man sie anschaut. Wahrnehmen hat etwas mit Stille und einer gewissen Besinnlichkeit zu tun. Aber eben nicht nur. Wir sind keine Architekten, die den Menschen abverlangen, dass sie in Ehrfurcht vor den Wänden stehen, wir wollen die ganze Unterschiedlichkeit der heutigen Großstadt zeigen. Es ist interessant, dass dieses Dach so erfolgreich war bei der Jury und so provokativ, weil es eine scheinbar banale Geste ist, verglichen mit dem abstrakten Raffinement von Mies und mit dem expressiven Ausdruck bei Scharoun. Dieses Dach ist das Einzige, was funktioniert hat. Es gab wohl noch keinen Wettbewerb, an dem wir teilgenommen haben, wo es so schwierig war, eine Typologie zu definieren, ein Gebäude, das nicht unter dieser Nachbarschaft leidet und sich souverän behauptet, ohne dass es sich wichtig machen muss. Ich glaube, das ist uns genau durch diese archaische Form des Hauses gelungen.
Mies ist nicht zu überbieten mit dieser abstrakten, puren Form. Das kannst du gar nicht steigern. Aber sich Scharoun annähern geht auch nicht, auch das kannst du nicht besser machen.
Sie haben es gut beschrieben. Wenn es nur ein Achsenkreuz wäre, wäre eszu banal. Das Haus hat nicht ein Oben und Unten in einem hierarchischen, sondern in einem topografischen Sinn. Es gibt darin also nicht einen besseren und einen weniger guten Raum, sondern es ist ein Abenteuer, etwas Lustvolles, durch dieses Haus zu gehen. Du entdeckst völlig unterschiedliche Orte. Ausstellungsräume sind in Museen oft etwas repetitiv. Aber hier hast du ganz unterschiedliche Materialien, unterschiedliche Höhen, unterschiedliche Blickwinkel, unterschiedliche Lichtverhältnisse. Das hat sich im Laufe der Arbeit verändert, dass sich auf dem Boulevard seitlich Räume öffnen. Es ist nicht unähnlich den riesigen Basiliken, wo seitlich kleine Tempel, Nischen, Bänke, ausgegrabene Objekte sind. Dort bist du immer in diesem einen Raum und hast trotzdem immer wieder ganz spezifische Orte. Das empfinde ich als ein brauchbares Modell. Sie haben vorhin gefragt: Für wen ist das? Natürlich muss der Kunstliebhaber seinen Ort finden, Ruhe, damit die Kunstwerke sich entfalten können. Aber wir müssen auch einen Ort schaffen, wo du gern hingehst, wo du dich triffst, weil das ein interessanter Ort ist, um sich zu treffen. Du gehst da vielleicht auch hin, weil du weißt, dass da andere Leute sind, weil es vielleicht eine gute Bar hat. Als Treffpunkt ist es eine zeitgenössische Form von Forum.
Ja. Das Tolle an der Architektur und vor allem an der öffentlichen Architektur ist, dass sie Potenzial hat, ein Ort zu sein, wo Sachen möglich werden, die du erst durch dieses Gebäude entdeckst. In der freien Natur geht jeder zu Orten, zu denen er sich hingezogen fühlt: eine Höhle oder ein Baum oder ein Absatz in der Landschaft, der wie eine Bank ist. Als Architekt kannst du solche Orte bauen.
Das war unsere Aufgabe. Wir hören natürlich, was die Kritiker sagen. Aber wir wissen auch, was wir verändern wollen. Es muss kohärent bleiben. Jede Seite stimmt jetzt immer mehr. Es hat sich, seit Sie es das letzte Mal gesehen haben, nochmals ziemlich verändert, vor allem die Giebelfassade zur Philharmonie. Wir wussten aber, dass wir das Innenleben nach außen stülpen wollen. Die Einzelfunktionen und ihre unterschiedlichen Proportionen kannst du in einem Wettbewerb gar nicht so entwickeln. Die Aufgabe der Jury ist es auch zu erkennen, wo Potenziale liegen. Und dann ist es wichtig, dass wir als Architekten solche Potenziale entwickeln dürfen. Die Seiten, die wir den bestehenden Institutionen zuwenden, wollen Angebote machen.
Gegenüber dieser statischen Form gibt es auf unserer Seite dynamische Elemente. Diese Öffnungen, die wie Hangar-Tore aussehen, sind gleichzeitig Screens oder Spiegel. Es ist eine Architektur der Gesten. Zu Mies hin gibt es diese schräg gestellte Platte, die auch eine Geste des Öffnens ist und anzeigt, dass an der Stelle eine Beziehung entsteht. Das wird auf der Ebene der Fassade vorbereitet. Dann gibt es eine unterirdische Beziehung, die aber nicht irgendeine Passage ist, sondern da sind Ausstellungsräume. Wir wollen nicht einfach eine Fassade machen und dann ist Schluss, sondern wir wollen Beziehung haben, den Blick zu Mies öffnen.
Es ist zwar ein anderes Gebäude, aber es gibt die erwähnte unterirdische Verbindung. Sonst müsste man diese Gebäude zusammenfügen oder die Straße aufheben. Was ich sinnvoll fände. Das kann aber auch eine spätere Generation machen, etwa mittels einer Ausgrabung zwischen unserem Bau und dem von Mies. Ein abgesenkter Hof, von dem her Seitenlicht in die unterirdische Verbindung eindringt. Also eine Typologie, die an die von Mies angelehnt ist, die diese Sprache weiterführt.
Mies van der Rohe hat seine Nationalgalerie auf einen blinden Sockel gehoben. Ohne Fenster zur Strasse. Er wollte keinen Dialog mit Aussen aufnehmen. Die Abgeschlossenheit war quasi Programm. Dadurch sollte die Transparenz und abstrakte Schönheit seiner Stahlkonstruktion noch stärker leuchten. Das war Mies’ wichtigstes Anliegen. Eine beinahe religiöse, zumindest aber ideologische Haltung in seiner Suche nach einem idea-len Stil für die Moderne. Das ist ihm gelungen, niemand hat zu seiner Zeit vergleichbare Ikonen geschaffen. Das war aber auch Ausdruck einer Limitiertheit. Er war wie gefangen in diesem radikalen Anspruch. Und auch die Menschen, die das nutzen, sind darin gefangen.Heute funktioniert die Stadt eben anders. Der Anspruch an öffentliche Bauten ist nicht mehr bloss die Repräsentanz, sondern der Dialog, der Austausch mit der Kunst und zugleich mit anderen Menschen. Die geplante unterirdische Verbindung der beiden Gebäude wird dies leisten. Ausserdem gibt es in unserem Bau im ersten Geschoss ein grosses Fenster und eine dazugehörige Sitznische mit einem spektakulären Blick auf die Nationalgalerie.
Ja, diese ist aber nicht vorgesehen in der ersten Etappe, aber wir haben sie geplant und alle Maßnahmen getroffen, damit diese Verbindung gebautwerden kann. Es soll eine räumliche Sequenz sein mit Ausstellungsflächen, nicht bloss ein unterirdischer Korridor. Auch haben wir uns dazu mit David Chipperfield ausgetauscht, der die Renovationsarbeiten am Mies Bau leitet.
Die Potsdamer Straße bleibt auch in Zukunft wichtig, aber wird sicher zurückgebaut. Die verkehrsplanerische Seite ist eher in diesem Zurückbauen als in einer Fantasie-Vision zu sehen. Diese Krümmung, die wir im Gebäude hatten, war ein Versuch, den archaischen Formen so einen Twist zu geben. Dann haben wir gemerkt, dass wir das gar nicht brauchen, da es Dinge gibt, die viel interessanter sind. Die Herausforderung, auf die bestehenden Gebäude zuzugehen, sich zu öffnen – das ist die zentrale Funktion des Entwurfs, viel mehr als irgendetwas Verkehrsplanerisches.
Die Museumsinsel ist ein Konzept des 19. Jahrhunderts. Das Kulturforum dagegen ist eine radikale Idee des 20., des 21. Jahrhunderts, weil es ganz andere disparate Gebäude hat. Dort lässt sich die Entwicklung der Moderne bis in die Gegenwart ablesen. Der Neubau von uns ergänzt diesen Ort zu einem Ort der Dichte, der von heute ist und als Gegenpol verstanden werden kann. Vielleicht wird das ein Auslöser sein für weitere Transformationen. Bei der Potsdamer Straße bin ich sicher, dass sich etwas verändern wird. Vielleicht auch auf der Seite der Piazzetta. Die Gemäldegalerie ist von ihren Beständen her unglaublich, es ist aber unglaublich traurig, in diesem Gebäude zu sein, das überhaupt keine Aufenthaltsqualität bietet. Das hat ein großes Potenzial für eine kommende Generation, das zu ergänzen, und die Idee eines Kulturforums der Dichte weiter zu treiben.
Wir haben nicht diese – ja beinahe – Sehnsucht nach Hässlichkeit und Ruppigkeit, die man erhalten sollte. In Berlin ist das aber immer wieder ein Thema, und an gewissen Orten auch angebracht, weil man nicht alles glatt bügeln sollte, was in einer Großstadt mit ihren historischen Bruchstellen im Verlaufe der Zeit entstanden ist.
Die Landschaftsplanung in den unmittelbar an unseren Bau angrenzenden Teilen macht Günther Vogt mit seinem Büro. Es werden sehr unterschiedliche Orte und Plätze entstehen, verschieden groß, mit ganz anderem Ausdruck. In unserem Bau, innen sozusagen, ist ja der Raum für die große Platane als eine Art Natur-Galerie. Insgesamt sehen wir die Aufgabe für diese unterschiedlichen landschaftlichen Orte und Plätze vergleichbar wie für die Gebäude selbst: einen Ort zu schaffen, der Berlin in einem positiven Sinne transformiert – nicht nur ein Ort der Erinnerung – sondern der ein Ort wird für die Leute von heute und von morgen. Das ist die einzige Aufgabe, die ich hier sehe.
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