Bauwelt

Nonsolution:

Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen

Text: Strothmann, Hannah, Berlin

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Nonsolution:

Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen

Text: Strothmann, Hannah, Berlin

Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland sind laut dem aktuellen Wohnungslosenbericht der Bundesregierung wohnungslos. Doch auch viele, die eine Wohnung ihr Zuhause nennen, kämpfen mit stei- genden Mieten. Der Handlungsdruck ist groß, und während laute Stimmen aus Politik und Immobilienlobby „bauen, bauen, bauen“ rufen, gerät Wesentliches in Vergessenheit: Bauen ist nicht nur klimaschädlich und ressourcenintensiv, es löst auch das Verteilungsproblem nicht. Hierzu bedarf es politischer Mittel und Bündnisse: Dazu zählt die Initiative hinter dem in Berlin erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, dessen Umsetzung aktuell von der Regierung verschleppt wird. Manch eine Architektin mag angesichts dieser Situation verzweifeln: lieber gar nicht bauen, als sich mitschuldig zu machen. Doch das ist keine Lösung, wie das neue Buch „Nonsolution: Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen“ von Gabu Heindl und Drehli Robnik zeigt.
Lebhaft, eindringlich und mit klarer politischer Haltung argumentieren die beiden für die Nonsolution als „Lösung, die ihre Strittigkeit mit in denRaum stellt“ und dabei dem Problem die Treue hält – im Falle des Wohnungsbaus den Verteilungsfragen. Heindl ist praktizierende Architektin und Professorin an der Universität Kassel, Rob-nik ist selbsternannter Theoriedienstleister, Film- und Politikwissenschaftler. Dementsprechend verbinden die beiden Theorie und Praxis, filmwissenschaftliche und philosophische Perspektiven mit Klassikern der Planungstheorie und architektonischen Beispielen, um den Begriff der „nonsolution“ zu fassen. Dieser ist Siegfried Kracauer entlehnt und nicht als Label für „engagierte Architektur“ gedacht, sondern vielmehr eine radikale Denk- und Handlungsweise, die Raum für Auseinandersetzungen öffnet und auf Probleme hinweist, die (jetzt noch) nicht lösbar sind.
Das erinnert zurecht an Horst Rittels „Wicked Problems“ – die Idee bösartiger Planungsprob-leme, für die es keine eindeutige Lösung gibt. Neben Rittel ist auch Lucius Burckhardt und dessen politische Forderung eines „kleinstmöglichenEingriffs“ wichtiger Bezugspunkt des Texts. In diesem Sinne aktualisieren Heindl und Robnik die kritische Planungstheorie mit konkreten Forderungen für die architektonische Praxis. Während Rittel als Lösungsansatz für „bösartige“ Planungsprobleme einen argumentativen Prozess vorschlug, plädieren Heindl und Robnik für das Aufrechterhalten der Strittigkeit bei gleichzeitigem Handeln. Es geht ihnen nicht um Erkenntnisfragen, sondern um „Haltungen im Gesellschaftlichen“, um „politische Orientierungen“ – und diese erscheinen in der heutigen Zeit wich-tiger denn je.
Was ist also eine nonsolution in der architektonischen Praxis? Im Sinne des „non“ kann sie als aktive Verweigerung wirken, wie der Nicht-Bebauungsplan von Heindls Büro für die Stadt Wien, der das Ufer des Donaukanals von Kapitalinteressen freihielt und stattdessen den öffentlichen Raum stärkte. Auch wenn dieser Plan nicht umgesetzt wurde, diente er später einer Protestbewegung als Grundlage zur Besetzung einer Uferwiese. Dies verweist auf eine weitere Eigenschaft der nonsolution in der zeitlichen Dimension: Im Sinne des „anon“ als „noch nicht“ bereitet sie zukünftige Entwicklungen und Veränderungen vor. Mit ihren partiellen Lösungen als „nicht-reformistischen Reformen“ legt sie Wege in eine revolutionäre Zukunft an. Im Sinne der nonsolution ist Planen also zugleich Handeln und Aufschub, es ist der Einspruch gegen verordnete Lösungen und die Wiederaufnahme des Problematisierierens. Die nonsolution ist also eine Aufforderung zu handeln, ohne einer opportunistischen Planungspraxis anheim zu fallen.
Das Buch hat es in sich, der verdichtete Text fordert neben Aufmerksamkeit – auch in den Fußnoten spielen sich spannende Argumentationsgänge ab – Selbstkritik, Haltung und schließlich Handlungen, und ist gerade deswegen eine wichtige Lektüre.
Fakten
Autor / Herausgeber Gabu Heindl und Drehli Robnik
Verlag Adocs Verlag, Hamburg 2024
Zum Verlag
aus Bauwelt 6.2025
Artikel als pdf

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