Gentrifizierung lässt sich nicht aufhalten und andere Lügen
Der erfrischend kompakt zusammengefasste Text ermöglicht es, alte Glaubenssätze über Gentrifizierung zu verlernen, um unsere Städte nicht nur baulich, sondern auch zwischenmenschlich zu erhalten.
Text: Rost, Sandra, Nürnberg
Gentrifizierung lässt sich nicht aufhalten und andere Lügen
Der erfrischend kompakt zusammengefasste Text ermöglicht es, alte Glaubenssätze über Gentrifizierung zu verlernen, um unsere Städte nicht nur baulich, sondern auch zwischenmenschlich zu erhalten.
Text: Rost, Sandra, Nürnberg
Wir reden ständig über die Veränderungen, die unsere Städte in den nächsten Jahrzehnten durchlaufen müssen, Wir reden darüber, dass wir umbauen statt abreißen müssen, und darüber, dass unsere Städte Schwämme und dabei auch noch möglichst vielfältig gestaltet sein sollen. Die Anforderungen, die sie tragen müssen, scheinen ge-waltig und lassen in den zahlreichen Diskussionsrunden kaum Platz für Themen abseits des Bauens. Doch was bringen uns all die großartigen, sanierten Gebäude in der Stadt der Zukunft, wenn wir nicht auch über das Zusammenleben in ihr sprechen?
Hier bringt die kanadische Geografin, Professorin und Buchautorin Leslie Kern mit ihrem neuesten Buch „Gentrifizierung lässt sich nicht aufhalten und andere Lügen“ Licht ins Dunkel. Mit einem Fokus auf urbane, soziale und historische Forschung zeigt sie – wie bereits in ihrem vorangegangenen Buch „Feminist City“ (
Bauwelt 17.2021) – eine vielseitige und umfangreiche Einordnung soziologischer Zusammenhänge in Städten.
Es gelingt ihr scheinbar mit links zu zeigen, dass es sich lohnt, hinter die Fassade zu blicken: Dort finden wir in der Gentrifizierung eine Fortführung von Kolonialisierung, eine Manifestierung von Klassismus, Sexismus und Rassismus und eine Begründung in den Machtverhältnissen der Gesellschaft.
Nicht nur dekonstruiert die Autorin – wie im Titel angekündigt – gängige Lügen der Gentrifizierung, sie unterlegt sie auch mit Beispielen, die zeigen, wie es anders geht. Dadurch reisen wir mit ihr nach New York, Toronto und London. Hier hält uns Kern einen Spiegel vor: Nicht die Städte sorgen für die Verdrängung, sondern die Menschen in ihnen. Denn der Anthropomorphismus hält nicht nur die strukturelle Problematik fern, sondern auch, dass es uns alle individuell treffen kann. Kern zwingt uns förmlich dazu, das eigene, urbane Leben zu überdenken, ohne als Antwort den Umzug aufs Land zu geben. Vielmehr holt sie den Leser aus der Komfortzone, um alltägliche Entscheidungen zu überdenken und das zum Wohle der Vielfalt unserer Städte.
Dabei helfen der Autorin präzise Formulierungen und persönliche Erfahrungen, wodurch es besonders einfach ist, das Thema Gentrifizierung zu greifen. Essayistisch verfasst, entschlüsselt Kern die scheinbar unlösbare, soziale Ungerechtigkeit. Trotz der Komplexität schafft sie es, soziologische mit architektonischen Faktoren verständlich zu verpacken, ohne in die Philosophie zu gehen. Dafür zieht sie Querbezüge zwischen unter anderem Ästhetik, Klasse, Sprache, Geld und physischer Verdrängung und weckt bei den Leserinnen und Lesern den aktivistischen Geist. Der erfrischend kompakt zusammengefasste Text ermöglicht es, alte Glaubenssätze über Gentrifizierung zu verlernen, um unsere Städte nicht nur baulich, sondern auch zwischenmenschlich zu erhalten.
0 Kommentare