Bauwelt

Südlage mit Abrisssubstanz?

Das ehemalige Wohn- und Atelierhaus von Hans und Marlene Poelzig soll abgerissen und durch ein Mehrfamilienhaus ersetzt werden

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Wohnhaus Tannenberg­allee 28 in Berlin-Westend im April 2020
    Foto: Anne Stengel

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    Wohnhaus Tannenberg­allee 28 in Berlin-Westend im April 2020

    Foto: Anne Stengel

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    Die Gartenseite der Villa kurz nach ihrer Fertig­stellung.
    Foto: Wasmuths Monatsheft 14, 1930

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    Die Gartenseite der Villa kurz nach ihrer Fertig­stellung.

    Foto: Wasmuths Monatsheft 14, 1930

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    Die kleine Terrasse im ersten Obergeschoss diente zum Sonnenbaden.
    Foto: Wasmuths Monatsheft 14, 1930

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    Die kleine Terrasse im ersten Obergeschoss diente zum Sonnenbaden.

    Foto: Wasmuths Monatsheft 14, 1930

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    Foto: Wasmuths Monatsheft 14, 1930

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Südlage mit Abrisssubstanz?

Das ehemalige Wohn- und Atelierhaus von Hans und Marlene Poelzig soll abgerissen und durch ein Mehrfamilienhaus ersetzt werden

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

In der Tannenbergallee 28 in Berlin-Westend steht eine später zum traditionellen Landhaus umgestaltete Villa der klassischen Moderne. Sie rückte, weil hier bereits erste kleinere Abbruchmaßnahmen vorgenommen wurden, vor einigen Wochen in den Fokus der Öffentlichkeit. Die 1930 fertiggestellte Villa wurde von Marlene Poelzig (1894−1985), der zweiten Ehefrau von Hans Poelzig (1869−1936) entworfen, als Wohn- und Atelierhaus für die gemeinsame Familie mit drei Kindern. Sie bot der Bildhauerin und Architektin aufgrund ihres speziell auf die Bedürfnisse der Poelzig-Familie zu­geschnittenen Raumkonzepts die Möglichkeit, Berufsausübung, künstlerische Betätigung, Familienleben und Kindererziehung in einem ganz neu­en Ambiente zu vereinen: eine frühe Form des „Homeoffice“ sozusagen, mit besonderen Arbeits- und Lebensbedingungen (und entsprechendem Hauspersonal).
Die ursprünglich mit einem extrem flach geneigten, vom Garten- und Straßenniveau kaum wahrnehmbaren Dach versehene Villa setzt sich aus mehreren hell verputzten, miteinander verbundenen Kuben zusammen. Dabei gab es anfangs einen im östlichen Bereich des Gebäudes ge­legenen Arbeitsbereich, in dem sich im Erdgeschoss die getrennten Ateliers der beiden Architekten befunden haben – Hans blickte auf die Stra­ße, Marlene in den Garten. Ihr Atelier orientierte sich wie Wohn- und Speisezimmer sowie das in einem in den Garten hineinreichenden Flügel untergebrachte Spielzimmer der Kinder nach Süden zum angrenzenden Grunewald. Die Schlafzimmer im Obergeschoss hatten einen durchlaufenden Balkon zum Garten, über dem Speisezimmer befand sich eine Dachterrasse für das damals vielgeliebte Sonnenbad. An der Straßenseite gab es einen weit in den Vorgarten hineinragenden Gebäudeflügel mit Garage und darüber liegender Chauffeurwohnung. Fußbodenplatten aus Travertin zogen sich vom vorderen Eingangsbereich aus durch das gesamte Haus, durch Vorhalle und Esszimmer bis auf die breit vorgelagerte Gartenterrasse. Der rückwärtige Garten hatte ein rechteckiges Planschbecken, einen Sandspielplatz und eine große Rasenflächen, denn die Kinder sollten viel Freiraum zum Spielen haben und die Nähe zur Natur erleben können. Die von Herta Hammerbacher, Hermann Mattern und Karl Förster entworfene Garten- und Freiraumgestaltung sollte durch präzis durchkomponierte Terrassen, Wege und Naturstein-Mauern zusammen mit mehreren unterschiedlich gestalten Gartenbereichen mit Gräsern und Pflanzen, Koniferen, Birken und Buchen, ein harmonisches, auf die kubischen Formen des Gebäudes abgestimmtes Gesamtkunstwerk schaffen.
Die Poelzig-Familie lebte hier nur wenige Jahre. Hans Poelzig war ab 1933 politisch motivierten Angriffen und Diffamierungen ausgesetzt. Er starb 1936, kurz vor der geplanten Übersiedlung in die Türkei. Marlene gelang es nicht, das gemeinsame Bauatelier dauerhaft alleine weiterzuführen. Das Wohn- und Atelierhaus in der Tannenbergallee wurde 1937 an den später vor allem durch seine Propagandafilme bekannt gewordenen Filmregisseur Veit Harlan und seine damalige Frau, die Theater- und Filmschauspielerin Hilde Köber, verkauft. Denn diese Wohngegend war bereits damals bei Filmschaffenden und Literaten beliebt.

Umgestaltung zum „Landhaus“

Der Charakter der Villa wurde 1954 beim Umbau durch die Westfälische Transport AG durch das Aufsetzen eines hohen Walmdachs grundlegend verändert, hin zu einem traditionellen Landhaus. Das Obergeschoss wurde dabei zu großen Teilen abgetragen und aufgrund der neuen Dachkon­struktion in seiner inneren Raumstruktur völlig umgestaltet. Dabei gingen auch die Dachterrasse und der durchlaufende Balkon verloren. Das an der Straßenseite gelegene Atelier von Hans Poelzig wurde in mehrere kleine Räume aufgeteilt: in einen neuen Schlafbereich mit begehbarem Kleiderschrank, Bad und WC. Dabei wurde die Straßenfassade überformt, an der jetzt statt des großen mehrteiligen Atelierfensters mehrere deutlich kleinere Fensteröffnungen sitzen. Noch etliche andere Details wurden verändert, im Erdgeschoss wurden an einigen Stellen runde Türbögen eingebaut, im Speisezimmer ein großes Blumenfenster eingerichtet.
In der Bauwelt wurden bereits 1984 mehrere kleine Vorher-Nachher-Fotos des umgestalteten Gebäudes veröffentlicht (Bauwelt 11.1984). Laut dem Landesdenkmalamt wurde der Garten 1987, die Villa 1990 auf eine potentielle Denkmalwürdigkeit untersucht. In beiden Fällen wurde aufgrund der vielen, teilweise starken Veränderungen und weil nur noch wenig authentisch überlieferte Originalsubstanz vorhanden war, keine Unterschutzstellung eingeleitet. Diese Haltung hat das Landesdenkmalamt auch im Kontext der aktuellen Diskussionen um die überformte Villa, bei denen es vor allem um die Architektin und den zeitgeschichtlichen Zeugniswert geht, in ihren Pressemitteilungen immer wieder bekräftigt: „Trotz der historischen Aspekte wie dem Umstand, dass es ursprünglich ein Künstlerhaus eines bedeutenden Architekten war und die Urheberschaft für die Architektur bei dessen Frau, Marlene Poelzig, liegt, ist der Grad der authentischen Überlieferung durch die einschneidenden Veränderungen des Obergeschosses und des Dachs, sowie durch den Verlust des Ateliers und damit des Kern-Elements für ein Künstlerhaus so stark reduziert, dass das Objekt die Kriterien des Denkmalschutzgesetzes nicht erfüllen kann.“ Sie steht nicht auf der Denkmalliste.

Der geplante Neubau

Der heute im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gelegene Ortsteil Westend und der direkt angrenzende Grunewald sind beliebte Wohngegenden. Hier gibt es immer noch viele große Grundstücke mit einzelnen, freistehenden Landhäusern oder Villen. Im Zuge von Nachverdichtung und Ersatzneubau werden dort jedoch immer mehr neue Luxus-Apartmenthäuser mit Eigentumswohnungen hochgezogen, befeuert durch die neuen vereinfachten Bauanzeige- und Genehmigungsverfahren sowie den überhitzten Immobilienmarkt. Seit Jahren rollt eine wahre Abrisswelle durch die historisch gewachsenen Quartiere. Die Grundstücke der nicht denkmalgeschützten Bauten werden aufgrund der ständig steigenden Bodenrichtwerte als Spekulationsobjekte betrachtet und mit bereits gültigen Abrissgenehmigungen an Investorengesellschaften verkauft. Projektentwickler ersetzen die Villen dann sukzessive durch Mehrfamilienhäuser.
Auch auf dem Grundstück in der Tannenbergallee 28 ist laut Auskunft der Bauaufsicht des Bezirksamts seit einiger Zeit ein neues Mehrfami­lienwohnhaus mit zwei Vollgeschossen und einem zurückgesetzten Staffelgeschoss mit insgesamt sieben Wohneinheiten geplant. Bereits im November 2019 wurde eine Baugenehmigung erteilt. Noch sind keinerlei Entwürfe für diesen Neubau bekannt geworden, doch jeder architekturinte­ressierte Laie kann sich beim Flanieren durch dieses Quartier ungefähr vorstellen, wie viel Raum das neu entstehende Gebäude im Vergleich einnehmen wird.
Das Anwesen wurde vor einigen Jahren von einem Berliner Immobilienmakler aus dem „eigenen Bestand“ verkauft. Er hatte es zu einem Preis von 2,65 Millionen Euro online angeboten: als „Wohnhaus des Architekten Heinz (sic!) Poelzig auf einem ca. 1800 m² großen Grundstück“, mit dem gezielten Hinweis: „Es besteht allerdings kein Denkmalschutz!“ Der anvisierte Verkaufspreis entsprach in etwa dem Wert des Grundstücks abzüglich der Kosten des Abbruchs der historischen Villa. Der aktuelle Besitzer der Immobilie hat den geplanten Abriss des seit langem leer stehenden Hauses laut der zuständigen Bauaufsicht bereits 2017 angezeigt, was damals noch verfahrensfrei möglich war − weitestgehend unbeachtet von der interessierten Öffentlichkeit.
Als die Abbruchanzeige nach drei Jahren auslief hatten sich jedoch die Berliner Regelungen zur „Zweckentfremdung von Wohnraum“ geändert. Der Abriss von Wohngebäuden ist mittlerweile genehmigungspflichtig und nur noch beim Nachweis von günstigem Ersatzwohnraum erlaubt. Zwei der im Neubau geplanten Wohnungen wurden im Abrissantrag als solcher angegeben. Da die Poelzig-Villa nicht unter Denkmalschutz steht und auf dem Grundstück keine Bedenken des Naturschutzes vorlagen, wurde im März diesen Jahres eine Abrissgenehmigung erteilt − sie ist zwei Jahre gültig. Erste „bauvorbereitende Maßnahmen“ wie die Abdeckung der Dacheindeckung sind bereits erfolgt.

Marlene Poelzig (geb. Moeschke)

Seit längerer Zeit beschäftigen sich Fachleute mit der interessanten Frage, welchen Anteil Marlene Poelzig am Werk ihres deutlich bekannteren Ehemanns hatte. In der mittlerweile weltweit tourenden Ausstellung „Frau Architekt“ des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main wur­de auch die von ihr alleine entworfene Villa in der Tannenbergallee als fester Bestandteil ihres Werks mit vorgestellt (Bauwelt 22.2017). Offensichtlich formte sie ausgehend von Hans Poelzigs ersten „genialen Skizzen“ viele der Gips- und Tonmodelle seiner Projekte, die erst die genaue Konkre­tisierung der Entwurfsidee oder aber einzelner Details ermöglichten. Die Lichtsäulen des Großen Schauspielhauses für Max Reinhardt in Berlin (1919) sind in ihrer Hand entstanden; bei diesem Projekt war sie auch auf der Baustelle, koordinierte, entwarf und ließ bauen. Bei einer Reihe weiterer Baumaßnahmen war sie maßgeblich am künstlerischen Prozess, der Planung und Organisation beteiligt. Bei Poelzigs Flachdachbungalow in der Weißenhof-Siedlung (1927) war sie projekt- und bauausführende Mitarbei­terin und nicht, wie oft vermutet wird, nur für die Innenraumgestaltung zuständig. Ihr Wohnhaus im Westend wirkte früher wie eine Weiterentwicklung der Ideen des Stuttgarter Bungalows. Einige wenige fest eingebaute Elemente der bauzeitlichen Ausstattung kann man in der Berliner Villa beim genaueren Hinschauen sogar noch finden, wie den durchgehenden Travertin-Bodenbelag im Erdgeschoss, den aufwändig verkleideten Kamin und die Treppe.
Der beklagenswerte Zustand des Gebäudes ist ein typisches Resultat des unsensiblen Umgangs der Nachbesitzer und Nachnutzer mit ursprünglich hochkarätigen Bauten, der aktuellen Verwertungsinteressen und auch dem Druck, in den gefragten Lagen der wachsenden Städte immer mehr Wohnraum zu schaffen und dafür die überlieferte Bausub­stanz zu opfern. Eine Entwicklung, bei der die Denkmalpflege oft erst involviert wird, wenn die Abrissbagger bereits anrollen und der Bauherr sich bereits auf ein Neubauszenario versteift hat. Hätte man diese Villa mit ihrer Geschichte bereits vor Jahren einem ganz anderen Käuferkreis zusammen mit einer attraktiven Präsentation des bauzeitlichen Zustands angeboten, dann hätte sich dafür vielleicht auch ein gut situierter Architektur-Liebhaber gefunden, der sie für die eigene Nutzung saniert. Denn die ungewöhnliche Gebäudekonzeption hat auch heute noch, aufgrund der Abtrennbarkeit einzelner Bereiche, viel Potenzial für ganz unterschiedliche Lebens- und Wohnformen. Und der Garten hat sogar noch Südlage mit direktem Zugang zum Grunewald.

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