Einen Wunsch, Frei
Dieses Jahr wäre Frei Otto 100 geworden. Rund zwei Zugstunden nördlich seines letzten Wohnorts feiert derweil sein laut eigener Aussage kühnstes Werk den 50. Geburtstag – obwohl es so alt nie hätte werden sollen. So richtig Party ist in Mannheim trotzdem nicht.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Einen Wunsch, Frei
Dieses Jahr wäre Frei Otto 100 geworden. Rund zwei Zugstunden nördlich seines letzten Wohnorts feiert derweil sein laut eigener Aussage kühnstes Werk den 50. Geburtstag – obwohl es so alt nie hätte werden sollen. So richtig Party ist in Mannheim trotzdem nicht.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
„Den Eiffelturm will ja auch niemand mehr abbauen“, hieß es bei einer Führung durch die Mannheimer Multihalle letzten Monat. Ganz schön selbstbewusst. Das „Monstrum aus Eisen“ steht stolz wie kein zweites für die Grande Nation. Tja, wäre man in Paris, äße man Éclair au chocolat statt „Mannemer Dreck“, könnte man im Fluss schwimmen und stünde Frei Ottos „kompliziertestes einfaches Dach der Welt“ tiptop in Schuss als attraction principale der Stadt.
Doch man ist in Mannheim – gesundes Selbstbewusstsein ist momentan rar, es ist kompliziert. Der Haushalt ist dermaßen angespannt, die Baustellen sind vielfältig. Das Uniklinikum verzeichnet seit Jahren Verluste. Das städtische Nationaltheater wird saniert, es ist die größte Einzelinves-tition in der Geschichte Mannheims. Dann sind da noch Schulen, Brücken, Straßen, das Kombibad, und war da nicht mal eine neue Bücherei angedacht? Wenigstens die Bundesgartenschau von 2023 hallt noch nach in den Quadraten; sicher hat sie es geschafft, den bundesweiten Blick auf die Stadt zwischen Rhein und Neckar zu lenken. Die Fördertöpfe der BuGa aber sind nun leer. Die Instandhaltung neuer Grünzüge, Freiflächen, Wohngebiete und Infrastrukturen trägt Mannheim in Zukunft überwiegend selbst. Da werden Erinnerungen wach. Wie ein stilles Mahnmal für die post-BuGa-Zeit sitzt die größte Holzgitterschalenkonstruktion der Welt in einem der Parks; seit Jahren legt sich ein feiner Teppich aus Moos und Taubendreck auf ihre weißen Wölbungen. Wie konnte das passieren?
Dass die Multihalle noch steht, ist nicht etwa, wie oft zu lesen und zu hören, „ein Wunder“, sondern Ergebnis einer Entscheidung. Sie entstand zur ersten BuGa 1975 mit dem Motto „Wohnen, Arbeiten, Bilden, Erholen in der Stadt“. Für den Bereich Herzogenriedpark waren die Architekten Carlfried Mutschler und Joachim Langner zuständig. Zentral sollte eine luftige Holzkonstruktion entstehen, mit einer Membran überzogen, als Treffpunkt für öffentliche Aktivitäten, mit Café und Schirmen. Otto dürften schon vor der Anfrage Mutschlers und Langners die Ohren geklungen haben.
So kam das Wunder nach Mannheim. Die BuGa endete, was eigentlich auch das Ende der temporär geplanten Halle bedeuten sollte. 72 Kilome-ter Holzleisten, die sich an 144.000 Punkten kreuzen, wären verschwunden. Die Halle – entstanden auf Basis eines Hängemodells und unter Beteiligung internationaler Ingenieurbüros – hätte wieder eingemottet werden sollen. Doch sie blieb, es herrschte Konsens. Um den zugehörigen Herzogenriedpark kam ein Zaun, er kostete ab da Eintritt. So wollte man die Pflege der Anlage gewährleisten. In den späten 70ern und frühen 80ern war die Halle Konzertlocation, es gab Märkte, Lesungen, Theateraufführungen, Gymnastikgruppen und Vereine trafen sich; sie wurde zur sozialen Architektur nach dem Gedanken ihrer Schöpfer.
Spätestens als sie 1998 Denkmalschutzstatus erhielt, hätte man für langfristige Pflege vorsorgen müssen. Nur ein Jahr später senkte sich die Konstruktion an der höchsten Stelle um 71 Zentimeter ab. Heißt für ein axial gekrümmtes, in die Jahre gekommenes Tragwerk: Kollabierungsgefahr. Die Latten aber konnten hochgedrückt werden, wieder war die Halle verschont geblieben. Stetig wurde geflickt, dennoch ist die Multihalle seit über 20 Jahren für Veranstaltungen gesperrt. Otto erlebte diesen Status noch einige Jahre, der Erhalt einer Hülle ohne Leben dürfte ihm missfallen haben. Ein Jahr nach seinem Tod schließlich beschloss der Gemeinderat fast einstimmig den Abriss. Die Kosten für eine Konservierung, also Zaun drum und Abwarten, lagen damals bei etwa 3,4 Millionen, die einer Sanierung bei 11,6 und die eines Abrisses bei etwa einer Million Euro.
Rette sie, wer kann!
Letzte Chance: Geld sammeln – und ein Nutzungskonzept finden. Wieder formierte sich Widerstand gegen den Abriss. Die Fachwelt positionierte sich. Die Architektenkammer Baden-Württemberg gründete den Förderverein Multihalle Mannheim e.V., ein Architekturfestival lenkte 2017 mediale und politische Aufmerksamkeit auf das Sorgenkind. Die Halle wurde gar als Weltkulturerbe-Anwärterin gehandelt – alles über zehn Jahre her. Zwischenzeitlich fand ein Architekturwettbewerb statt, dessen Gewinnerteam die Halle als „Democratic Umbrella“ der Stadtgesellschaft zurückgeben möchte, die Umsetzung ist aber erstmal auf Eis gelegt. Die „Revitalisierung“ des größeren Hallenteils ist nach dem Gemeinderatsbeschluss vom November 2024, die Arbeiten in zwei Abschnitten durchzuführen, im Gang. Der kleine Teil der Halle wartet noch auf Rettung. Der „Point of no return“, so der amtierende Bürgermeister Christian Specht (CDU), sei aber längst überschritten. Und eigentlich ist er das seit 1975.
Auf die Frage, ob die Multihalle gerettet sei, gibt es von Specht keine klare Antwort. Fakt ist, Mannheim kann die Komplettsanierung nicht zahlen, trotz Unterstützung von Bund, Land, der Wüstenrotstiftung und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die Kosten belaufen sich inzwischen auf rund 50 Millionen Euro, die Finanzierungslücke liegt bei etwa 30 Millionen. Vielleicht, hofft der Bürgermeister, finden sich Sponsoren, wenn der erste Sanierungsabschnitt erst einmal geschafft ist. Aber reicht es, zu hoffen? Wie polarisierend die Lage ist, wird schon durch das Abstimmungsverhalten des Gemeinderats deutlich: AfD und Grüne waren sich letzten November einig, kein Geld mehr in die Sanierung zu stecken.
Die Multihalle steht für eine Planungskultur, wie es sie nicht mehr geben kann, für den Erfolg des Wagnisses. Auch in Mannheim geht sonst der Schreck der weißen Rasterfassade um, gebaute Vielfalt ist schützenswert. Und der Ort! Die Multihalle ist Raum für eine offene, demokratische Gesellschaft. Sie könnte das Selbstbewusstsein der Stadt stärken, dürfte sie nur wieder strahlen. Auf dem Symposium zu Frei Ottos 100. Geburtstag brachte der Rektor der Uni Stuttgart, Peter Middendorf, es auf den Punkt: „This is more than a tribute. It’s a shared commitment.“ Das klingt nach Verantwortung für den Kulturstaatsminister – oder, Wolfram Weimer?
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