Bauwelt

Fußgängerbrücke in Seraing


Vor fünfzehn Jahren schlossen die letzten Stahlwerke und überließen Seraing dem Niedergang. Heute erlebt die Stadt im Osten Bel-giens eine Wiederbelebung durch große Investitionen in Kultur, Wohnungsbau und den öffentlichen Verkehr. Die Fußgängerbrücke von AgwA bildet ein elegantes Bindeglied.


Text: De Visscher, Lisa, Lüttich


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    Der Umbau der Ateliers Centraux wurde 2023 fertig-gestellt. Neue Funktionen und Verbindungen haben die ehemaligen Maschinenhallen wieder ins städtische Gefüge integriert.
    Foto: Jeremy Piret

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    Der Umbau der Ateliers Centraux wurde 2023 fertig-gestellt. Neue Funktionen und Verbindungen haben die ehemaligen Maschinenhallen wieder ins städtische Gefüge integriert.

    Foto: Jeremy Piret

150 Jahre lang dominierte die Stahlindustrie das Tal der Maas und prägte als größte Arbeitgeberin die wirtschaftliche, politische, soziale und städtische Landschaft. Auch die Stadt Seraing, unweit von Lüttich, wurde im Dienst der riesigen Hochöfen des Stahlunternehmens Cockerill Sambre, eines der größten in Europa, erbaut. Als diese Industrie Anfang des 21. Jahrhunderts die Produktion schrittweise herunterfuhr und auslagerte, musste Seraing eine neue Identität finden, um Unternehmen anzuziehen und seine Bevölkerung zu halten.
Im Rahmen eines groß angelegten Aufwertungsprogramms wurde ein neuer Masterplan für die Stadt entworfen, mit erheblichen Investitionen in kulturelle Infrastruktur, darunter der OM Musikkomplex, die Transformation eines ehemaligen Kulturzentrums der Stahlindustrie im Stadtteil Ougrée durch das Architekturbüro Atelier Chora. Ein weiterer Wendepunkt für die Wiederbelebung von Ougrée war die Wiederer-öffnung des Bahnhofs im Jahr 2018. Von hier aus erreicht man das Zentrum von Lüttich in weni-ger als 20 Minuten – ideal für Pendler, die in Lüttich arbeiten. In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs befinden sich die Ateliers Centraux, vier Hek-tar große Industriehallen, in denen früher Maschinen für die Stahlindustrie gebaut und repariert wurden. Das Büro Baumans-Deffet, das bereits den Masterplan für das Zentrum von Seraing entworfen hatte, gewann den Architekturwettbewerb zur Umnutzung dieser Hallen in öffentliche Räume, Parkplätze für Pendler und einen Kulturort.
Aus der Vogelperspektive betrachtet, sind die Ateliers Centraux in wenigen Minuten vom Bahnhof aus zu erreichen, doch zwei Reihen von Arbeiterhäusern blockierten den direkten Weg. Daher schrieb die Stadt erneut einen Wettbewerb für einen öffentlichen Raum aus, der nach dem Abriss der Häuser Bahnhof, Parkplatz und den Trasenster-Park an der Maas verbinden sollte. Dazu gehörte auch eine Fußgängerbrücke über die Bahngleise.

Hochtrasse

Das Architekturbüro AgwA gewann den Wettbewerb mit einer cleveren Idee. Die Brüsseler verdoppelten die Länge der geplanten Fußgängerbrücke und führten sie direkt von den Ateliers Centraux über die Bahngleise bis zum Park. So entstand eine Art stählerner Hochtrasse, die nicht nur verschiedene öffentliche Orte auf kurzem Wege miteinander verbindet, sondern auch einen beeindruckenden Ausblick über die postindustrielle Landschaft von Seraing bietet.
Die Brücke beginnt im ersten Stockwerk der Ateliers Centraux und endet in einer monumentalen Treppe im Park. „Sie ruht auf 22 Stahlstützen vom Typ IPE 500 mit einem Abstand von 7,70 Metern“, erklärt Projektleiter Ali Ismail. „Darauf liegen quer verlaufende Stahlträger, auf denen eine Wellblechplatte als verlorene Schalung für die Betondecke dient, die die Gehfläche der Brücke bildet.“ Das Ergebnis ist eine schlanke Brücke mit vier „Zwischenstationen“: Drei Treppen und eine geneigte Rampe verbinden sie mit einem kleinen Platz, einem Park und den beiden Bahnsteigen des Bahnhofs.
Die Brücke selbst ist ein beeindruckender Ort, aber auch jede Anbindung an den Boden wurde genutzt, um öffentliche Räume mit verschiedenen Qualitäten zu schaffen: einen schattigen Park mit Bänken, breite funktionale Bahnsteige und einen gepflasterten Platz mit einer Wiese, auf der Kinder spielen können.
Hinter diesem so einfach erscheinenden Projekt steckt ein hohes Maß an technischer Kom-petenz. „Wir wollten die konstruktive Identität über die gesamte Länge beibehalten”, erklärt Benoît Burquel, Partner bei AgwA. „Aber das war nicht immer einfach. Die drei Betontreppen wurden auf drei unterschiedliche Arten an die Stahlbrücke angeschlossen, und über den Gleisen und der Straße musste die Spannweite von sieben auf zwölf Meter erhöht werden. Dank der guten Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro führte diese zusätzliche Spannweite von fünf Metern jedoch nur zu einer vier Zentimeter dickeren Brückendecke.“
Mit dieser Fußgängerbrücke schlägt AgwA zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie verbindet nicht nur drei neu geschaffene Orte, die einem verfal-lenen Viertel neues Leben einhauchen, sondern zeigt auch, wie Architektur eine technische Lösung in ein räumliches Erlebnis verwandeln kann.



Fakten
Architekten AgwA, Brüssel
aus Bauwelt 9.2025
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