Schubladen auf!
Wo Esel, Hund, Katze und Hahn sich auf dem Rücken tragen, sagt man auch „umgedrehte Kommode“ zum ältesten Wasserturm der Stadt. Der Wettbewerb zur Umwandlung des Bremer Baudenkmals in Wohn- und Gewerbeeinheiten ist entschieden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Schubladen auf!
Wo Esel, Hund, Katze und Hahn sich auf dem Rücken tragen, sagt man auch „umgedrehte Kommode“ zum ältesten Wasserturm der Stadt. Der Wettbewerb zur Umwandlung des Bremer Baudenkmals in Wohn- und Gewerbeeinheiten ist entschieden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Die Stahlträger biegen sich, fast könnte man meinen, sie ächzen zu hören. Mit ihrem einseitig konvexen Tragwerk überspannen die Fischbauchträger, aus der Brückenkonstruktion bekannt, drei Geschosse des ältesten Bremer Wasserturms. Sie lassen ahnen, welche Lasten die beiden Wassertanks mit 1,7 Millionen Litern Fassungsvermögen einst darstellten. 1873 fertiggestellt, demonstriert der gedrungene Backsteinturm die aufkommende industrielle Bedeutung der Hansestadt und ihr Bevölkerungswachstum ab Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Wasser-Schöpfrad und später eine Dampfpumpe konnten die wachsende Stadtbevölkerung nicht mehr ausreichend mit Weserwasser versorgen. Der Bremer Architekt Johann Georg Poppe entwarf für bald 100.000 Bremerinnen und Bremer eine regelrechte Festung. Der Wasserturm auf dem Werder ist gebaut wie die damals im Tagebau eingesetzten, erstaunlich schmucken „Malakow-Türme“ (benannt nach provisorischen Befestigungsanlagen während des Krimkriegs 1853–56), deren massives Mauerwerk enorme Zugkräfte aushielt; damit manifestiert sich die technische Bedeutung des Bauwerks für die Stadt in seiner raffinierten Konstruktion. 1908 schließlich, es lebten bereits über 230.000 Menschen in Bremen, waren alle Haushalte an die Wasserleitungen angeschlossen. Bis heute als „umgedrehte Kommode“ Bremens Silhouette prägend, verlor der Turm als Wasserversorger an Bedeutung. Die Stadt stellte auf Wasser aus dem Harz und Niedersachsen um, war doch das Weserwasser durch die angesiedelte Industrie immer chlor- und salzhaltiger geworden. 1983, fünf Jahre nachdem er zum Baudenkmal erklärt worden war, gab Bremen das Gebäude in seiner ursprünglichen Funktion auf.
Schon 2005 gab es einen Investor und konkrete Pläne zur Nachnutzung als Gastro-, Wohn- und Bürostandort inklusive Glaskuppel und Außenfahrstuhl – unvorstellbar für den Landesdenkmalpfleger Georg Skalecki, der die Pläne scharf kritisierte; die Umnutzung stagnierte. 2008 wurden die verbliebenen 800.000 Liter Wasser in das städtische Trinkwassernetz abgelassen, 2011 zog sich der Investor zurück. Nach kurzer kultureller Zwischennutzung lobte die „Projektgesellschaft Umgedrehte Kommo-de“ mit der Stadtbaudirektion und dem Landesamt für Denkmalpflege 2023 einen kooperativen Wettbewerb zur Umnutzung als Wohn- und Gewerbegebäude aus – diesmal unter Wahrung des Denkmalschutzes. Der Gebäudezustand wurde als gut eingestuft, einige Fassadenertüchtigungen und Brandschutzmaßnahmen seien vorzunehmen. Die Dachkonstruktion – es ist die älteste erhaltene Stahlkonstruktion Bremens – könne erhalten und gegebenenfalls angehoben werden. Für die erste von zwei Phasen waren acht Büros geladen.
Die lokalen Westphal Architekten überzeugten mit ihrem Inhalt für die Kommodenschubladen. Die Erstplatzierten verantworten in Bremen bereits die Umwandlung einer alten Hafenlogistikhalle in ein Technik- und Fahrzeugmuseum. Auch für den Wasserturm setzen sie auf die Wahrnehmbarkeit als Baudenkmal bei gleichzeitiger Anpassung an das Jetzt. Das Team möchte die Attika originalgetreu wiederherstellen. Alle neu eingebrachten Materialien orientieren sich am Vorgefundenen. Diese Verzahnung des Bestands mit dem Neuen lobte die Jury. Dabei verstehen die Planenden den Turm nicht nur als technisches Meisterwerk, sondern auch als Identitätsträger für Bremen. Gastronomie und Ausstellungsfläche im Erdgeschoss unter der Gewölbedecke der „Kathedrale“, dem höchsten Raum im Turm, sollen das Baudenkmal öffentlich erlebbar machen. In den oberen Geschossen liegen Wohnungen verschiedener Typen. Die Jury fasste den Arbeitsansatz unter „Sanierung dort wo nötig, Gestaltung dort wo möglich“ zusammen.
Riemann Architekten aus Lübeck gingen ähnlich vorsichtig an die Bestandskonstruktion heran. Im Kesselhaus verorten die Zweit- wie auch die Erstplatzierten Büroeinheiten, wodurch die Dachkonstruktion in beiden Fällen erlebbar bleibe, lobt die Jury. Auch die Erschließung der Wohn-etagen soll sich möglichst minimal auf den Bestand auswirken. Wie Westphal durchdringen Riemann Architekten dafür nur eins der Gewölbe. Generell sieht das Team einen maximalen Erhalt der inneren Struktur vor. Auf Unverständnis stößt allerdings die Idee, das historische Dach zugunsten eines Staffelgeschosses mit Penthouse-Wohnungen zurückzubauen. Diese Geste sei nicht gerechtfertigt und wirke beliebig. Und ja: Die Fernwirkung der Kommode verlöre ohne ihr historisches Dach an Reiz. Diese Entwurfsentscheidung beeinflusste das Jury-Urteil maßgeblich.
Als Gebäude, das „der Öffentlichkeit zu gehören schein[t]“ beschreiben die drittplatzierten FSB Architekten den Wasserturm auf dem Werder. Das Team möchte mit seinem Entwurf die ikonische Silhouette betonen. Dafür sehen auch diese Bremer eine Anhebung des Dachs vor, zusätzlich eine Erhöhung und moderne Rekonstruktion der Ecktürme. Die entstehenden Proportionen überzeugten die Jury nicht, zumal irritiere die durch die Anhebung entstehende „transparente Fuge“. Weiter schlägt das Team vor, die bestehende Dachbrüstung sowie die Ecktürme aus den 1960er-Jahren zurückzubauen, was ebenfalls missfiel. Die klare Haltung des Teams lobte das Preisgericht.
Die Zukunft des „Wasserschlosses“ scheint also gesichert. Ateliers, Büros, Gewerbeflächen und knapp dreißig Wohnungen sehen Westphal Architekten für das Backstein-Dornröschen vor. Die Wasserhähne im Turm sollen, Stand jetzt, 2026 wieder laufen.
Kooperativer hochbaulicher Einladungswettbewerb
1.Preis (28.000 Euro) Westphal Architekten, Bremen; Tragwerksplanung: ibu+ Ingenieurbüro Uhden, Bremen; Nachhaltigkeit und Energie, Schallschutz, TGA: energydesign, Braunschweig; Außen- und Freianlagen: Bruun & Möllers Landschaftsarchitekten, Hamburg
2.Preis (21.000 Euro) Riemann Architekten, Lübeck
3.Preis (14.000 Euro) Architekten_FSB, Bremen
Anerkennung (7000 Euro) De Zwarte Hond, Köln
1.Preis (28.000 Euro) Westphal Architekten, Bremen; Tragwerksplanung: ibu+ Ingenieurbüro Uhden, Bremen; Nachhaltigkeit und Energie, Schallschutz, TGA: energydesign, Braunschweig; Außen- und Freianlagen: Bruun & Möllers Landschaftsarchitekten, Hamburg
2.Preis (21.000 Euro) Riemann Architekten, Lübeck
3.Preis (14.000 Euro) Architekten_FSB, Bremen
Anerkennung (7000 Euro) De Zwarte Hond, Köln
Ausloberin
Projektgesellschaft Umgedrehte Kommode Bremen in Kooperation mit Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung (SBMS) der Freien Hansestadt Bremen und dem Landesamt für Denkmalpflege der Freien Hansestadt Bremen
Projektgesellschaft Umgedrehte Kommode Bremen in Kooperation mit Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung (SBMS) der Freien Hansestadt Bremen und dem Landesamt für Denkmalpflege der Freien Hansestadt Bremen
Fachpreisgericht
Claus Anderhalten (Vorsitz), Hans-Rudolf Meier, Martin Pampus, Iris Reuther, Georg Skalecki
Claus Anderhalten (Vorsitz), Hans-Rudolf Meier, Martin Pampus, Iris Reuther, Georg Skalecki
Koordination
BPW Stadtplanung Baumgart Lemke Schlegelmilch, Bremen
BPW Stadtplanung Baumgart Lemke Schlegelmilch, Bremen
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