Bauwelt

Welche Zukunft hat die Prager Straße?

Podiumsdiskussion des Zentrums für Baukultur Sachsen am 10. Juni 2021 in Dresden

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Drei Diskutanten und ein Moderator: Martin Fiedler, Alexander Poetzsch, Matthias Korntheuer und Bauwelt-Redakteur Ulrich Brinkmann (v. r. n. l.) auf der Bühne des Kaba­-rett-Theaters „Herkuleskeule“ im Kulturpalast.
    Foto: Anne Boissel

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    Drei Diskutanten und ein Moderator: Martin Fiedler, Alexander Poetzsch, Matthias Korntheuer und Bauwelt-Redakteur Ulrich Brinkmann (v. r. n. l.) auf der Bühne des Kaba­-rett-Theaters „Herkuleskeule“ im Kulturpalast.

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    Blick in die Prager Straße von Süden, aus Richtung Hauptbahnhof kommend
    Foto: Udo Meinel

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    Blick in die Prager Straße von Süden, aus Richtung Hauptbahnhof kommend

    Foto: Udo Meinel

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    Blick von den Bahnsteigen des Hauptbahnhofs zur Prager Straße. Foto: Udo Meinel

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    Blick von den Bahnsteigen des Hauptbahnhofs zur Prager Straße.

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    Das Wandbild „Dresden empfängt seine Gäste“ ...
    Postkarte 1977: Bild und Heimat

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    Das Wandbild „Dresden empfängt seine Gäste“ ...

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    ... am 2005 umgebauten Restaurant „Bastei“ ist hinter einer Neubebauung verschwunden.
    Foto: Udo Meinel

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    ... am 2005 umgebauten Restaurant „Bastei“ ist hinter einer Neubebauung verschwunden.

    Foto: Udo Meinel

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    Die Prager Straße wurde nach 1990 baulich verdichtet.
    Foto: Udo Meinel

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    Die Prager Straße wurde nach 1990 baulich verdichtet.

    Foto: Udo Meinel

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    Hinter den Hochhausscheiben ...
    Foto: Udo Meinel

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    Hinter den Hochhausscheiben ...

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    ... verliert sich der Eindruck von Urbanität und Dichte schnell.
    Foto: Udo Meinel

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    ... verliert sich der Eindruck von Urbanität und Dichte schnell.

    Foto: Udo Meinel

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    „Wöhrl Plaza“ bildet mit seinem Balkon eine auffällige Situation am Nord­ende der Prager Straße. Die Centrum-Galerie hält mit ihren Aluminium-Waben die Erinnerung ans alte Centrum-Warenhaus wach.
    Foto: Foto: Udo Meinel

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    „Wöhrl Plaza“ bildet mit seinem Balkon eine auffällige Situation am Nord­ende der Prager Straße. Die Centrum-Galerie hält mit ihren Aluminium-Waben die Erinnerung ans alte Centrum-Warenhaus wach.

    Foto: Foto: Udo Meinel

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    Der rückwärtige Trakt wird derzeit ersetzt.
    Foto: Foto: Udo Meinel

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    Der rückwärtige Trakt wird derzeit ersetzt.

    Foto: Foto: Udo Meinel

Welche Zukunft hat die Prager Straße?

Podiumsdiskussion des Zentrums für Baukultur Sachsen am 10. Juni 2021 in Dresden

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Ulrich Brinkmann: Der Berliner Architekturkri­tiker Wolfgang Kil schrieb 2016 über die Prager Straße: „Es ist für die Architekturgeschichte durchaus von Belang, dass der Systemwechsel im Osten (...) zeitlich in das Debattenumfeld der Postmoderne fiel (...) Die krassesten Bilder einer Gegenplanung lassen sich in Dresden finden, wo um die Prager Straße mit ähnlich titanischen Gesten gerungen wurde wie in Berlin um den Palast der Republik. ‚Ein Gruselkabinett städtebaulicher Sünden‘ hatte Ingolf Roßberg, erster Nachwende-Bürgermeister der Elbmetropole, 1991 beklagt, und sein Nachfolger Gunter Just trat mit rabiat korrigierenden Neubauten gegen die Aneinanderreihung von Blöcken und Zeilen an. Weniger mit martialischem Vokabular, vielmehr mit präziser Hinterlist hat Siegbert Langner von Hatzfeldt dieser herausragenden Raumschöpfung des 20. Jahrhunderts gerade die Feinheiten der Ensemblekunst und damit den Geist der Zeit ausgetrieben. Die Verbinder zwischen den Hotels wurden willkürlich und ohne Gespür individualisiert, die Wasserbecken in todtrauriger Symmetrie auf Achse gebracht. Die Leuchtenreihen scheinen nun wie zum Staatsakt angetreten, und Kettenläden mit verzweifelt aufgehäuftem Ramsch sollen ein Erlebnis von öffentlichem Raum simulieren. Wo, wenn nicht hier, kann man lernen, wie kurz der Schritt von ästhetisch zu ideologisch ist?“
Herr Korntheuer, welche Rolle spielt die Prager Straße heute und perspektivisch für Sie als Stadtplaner bzw. für das Stadtplanungsamt in der Reihe von Altmarkt, Neumarkt, Neustädter Markt und Hauptstraße?
Matthias Korntheuer Wir als Stadtplanungsamt haben uns auf die Fahne geschrieben, die Qua­litäten, die die Prager Straße als Raumgefüge immer noch aufweist, behutsam, vielleicht auch behutsamer als in der Vergangenheit, aufzugreifen und fortzuschreiben. Die Prager Straße ist und bleibt das Eingangstor vom Hauptbahnhof in die Altstadt und weist eine fantastische räum­liche Konfiguration aus, die aber leider in Teilbereichen verunklart worden ist. Wir haben vor, auch in den Details Verbesserungen herbeizuführen, denn wir haben eine Gewerbe- und Gestaltungssatzung für diesen Bereich in Arbeit. Das wird vielleicht Alexander Pötzsch nochmal näher beschreiben können. Wir haben aber auch die angrenzenden Räume im Fokus und müs­­-sen da nachsteuern zu den Entwicklungen, die es in jüngster Vergangenheit gegeben hat. Vieles ist hochwertig gestaltet worden, was die Materialität und die Möblierung anbelangt. Aber es gibt auch Bereiche, die ein bisschen aus dem Blick gefallen sind. Der Prager Straße fehlen die Querbeziehungen. Das wird ein großes Thema, wie man die Ränder stärken kann, um das Ganze zu beleben.
Persönlich finde ich dieses Raumkonstrukt, die Flugdächer, die Kunst am Bau, die Architekturelemente, erhaltenswert und teilweise auch in den neuen arrondierenden Bauten aufgegriffen. Aber es ist natürlich schade, dass dieses Ensemble nicht in seinem Urzustand unter Denkmalschutz gestellt worden ist.
Wenn Sie, Herr Pötzsch, eine Gestaltungssatzung erarbeiten für diesen Bereich, dann müssen Sie nicht nur mit der DDR-Architektur umgehen, sondern auch mit dieser zweiten Schicht, die darüber gekommen ist nach 1990 in Form der ergänzenden Bauten und mit der Überarbeitung des Stadtraumdesigns. Wie bewerten Sie die unterschiedlichen Zeitschichten? Gibt es Elemente, die Sie als schon wieder charakteristisch und besonders wahrnehmen?
Alexander Poetzsch Ich habe 2003 das Architekturstudium beendet. Wir fanden solche Stadträume anregend – unsere Lehrer nicht. Bei ihnen hieß es, wir hätten die Gnade der späten Geburt, weil man diesen Abstand brauche, um das großartig finden zu können. Das ist sicher ein Dilemma der Stadtplanung, dass es Zeit braucht, um ihre Qualitäten zu sehen. Und gerade in der Zeit, in der die Prager Straße diese Nachverdichtung erfahren hat, wollte man auch ideologisch, wie Sie richtig sagen, gegenhalten, und hat den Raum an den Enden verengt. Das allein ist nicht unbedingt schlecht, die Architektur aber ist teilweise zweifelhaft, und das Rundkino ist dadurch in eine Rücklage geraten.
Es sind aber auch gelungene Gebäude entstanden, etwa das ehemalige Wöhrl-Gebäude mit seinem auskragenden Balkon, das gerade umgebaut wird. Ein Verlust ist das Gebäude des Centrum-Warenhauses mit seiner Wabenfas­sade gegenüber, an dessen Stelle nun die Centrum-Galerie steht. Die Prager Straße ist ein linearer Raum, und auf einmal gibt es eine querstehende Einkaufsmall, die Passanten abzieht. Auch die Verbindung zum Hauptbahnhof, die auch eine Verengung erfahren hat mit der Prager Spitze, ist ein Kind dieser Zeit.
Das größte Dilemma ist, dass die Denkmalpflege nicht eher reagiert hat. In Chemnitz etwa hat man die Straße der Nationen unter Schutz gestellt. Das hätte man auch hier tun sollen, um das Ensemble zu erhalten. Die Stadt muss jetzt nachwachsen, wie Herr Korntheuer gesagt hat, die Querverbindungen müssen gestärkt werden.
In einer dichten Stadt bietet so ein großer Raum die Möglichkeit, sich zu begegnen. Wir wollen uns ja begegnen, wir brauchen das trotz Online-Shopping. Dafür ist die Prager Straße ein toller Ort, bei allem Für und Wider. Andererseits muss eine Stadt auch so einen Stadtraum aushalten können. Man kann der Prager Straße in ihrer ursprünglichen Qualität nachweinen. Vielleicht braucht es noch Jahre, bis man auch so einen Stadtraum wieder klären kann. Man kann an manchen Stellen vielleicht reparieren. Die Zeit wird das zeigen.
Herr Fiedler, auch Sie sind jüngeren Jahrgangs, verbinden mit der Prager Straße keine nos­talgischen Erinnerungen. Wie sehen Sie diesen Stadtraum? Bietet er Nischen für eine Aneignung durch andere Akteure als Filialisten großer Bekleidungsunternehmen? Die Frage der Nutzung dürfte uns in Zukunft beschäftigen.
Martin Fiedler Ich habe 2004 angefangen zu studieren unweit der Prager Straße. Insoweit kenne ich die nur als Einkaufsstraße. Nun bin ich nicht der Shoppingfreak. Wie sehe ich diesen Raum? Tatsächlich sehe ich ihn als einen Raum, der leer ist, absolut leer, weil es keinen Anlass mehr gibt, dorthin zu gehen. Das Einzige, warum man da noch hingeht, ist Shopping.
Ich komme aus dem Design und denke deswegen vom Nutzer her und will gar nicht verteufeln, dass es Online-Händler wie Amazon gibt. Die haben offensichtlich einen Dienst geschaffen, der viele Leute anspricht, weil er das Leben bequemer macht. Meine Frage lautet also: Braucht es diesen Raum eigentlich noch?
Früher hat man sich auf der Prager Straße getroffen, man ist einkaufen gegangen, zusammen. Jetzt kauft man alleine ein, zu Hause auf der Couch. Man trifft sich trotzdem, aber eben nicht zum Shopping, sondern zum Sitzen an der Elbe, zum Schlendern im großen Garten, zum Joggen, zum Fahrradfahren. Man könnte zwar sagen, man muss die Prager Straße als Einkaufsmeile irgendwie am Leben erhalten. Meine These dagegen ist: Vielleicht ist Shopping so was wie mit Kohle heizen. Das machen immer weniger. Es ist okay, wenn man das noch macht, und es wird den Raum dafür auch brauchen, aber vielleicht sollte einem die Prager Straße für eine gewisse Zeit egal sein, nämlich so lange, wie die Fonds, denen diese Gebäude gehören, die Dinger abgeschrieben und aus ihren Bilanzen rausgenommen haben und man die Möglichkeit bekommt, dort vielleicht auch als kleiner Mittelständler eine Fläche zu kaufen und die dann in kleinerer Geste zu revitalisieren.
Um es überspitzt zu formulieren: Vielleicht braucht die Prager Straße eine geordnete Insolvenz. Wie das Kraftwerk Mitte, das ja auch 15, 20 Jahre lang einfach rumstand, um dann neu belebt zu werden. Dann hat man auch die Chance, weil nicht mehr so viele mitreden, das eine oder andere gestalterisch wieder nachzuziehen.
Alexander Poetzsch Steile These. Du würdest die Prager Straße einzäunen und Gras drüber wachsen lassen?
Martin Fiedler Nein. Die Läden werden immer weniger besucht, und für den Fahrradverkehr machen wir die Reitbahnstraße fit oder legen sogar mal einen Fahrradweg drüber. Aber ansonsten lasst sie uns egal sein. Irgendwann wird sie in Vergessenheit geraten wie das Kraftwerk Mitte. Die Flächen werden erst dann interessant, wenn sie in Vergessenheit geraten sind.
Wenn sie aus dem Verwertungsdruck fallen?
Martin Fiedler Genau. Solange ich Eigentümer habe, die davon ausgehen, dass da Leute 2000 Euro auf dem Quadratmeter erlösen und entsprechende Mieten fordern, werde ich mit allen guten Ideen, die es vielleicht gibt, keine Lösung finden, weil es sich monetär nicht bewerkstel­ligen lässt. Vielleicht ist es in zwanzig Jahren so, dass meine Enkel mich fragen: „Mensch, Opa, hast du eigentlich noch erlebt, dass man zum Einkaufen in die Innenstadt gegangen ist? Jetzt, wo die Prager Straße das stadtgesellschaftliche Versuchsfeld geworden ist…“ Dieses „wir gehen in die Innenstadt“ hat dann vielleicht eine ganz andere Bedeutung. Jedenfalls nicht die, dass wir uns da treffen, um einzukaufen.
Sie sagen, es gibt in der Prager Straße nichts für Sie, um dort hinzugehen. Was wäre ein Anziehungsort? Was bräuchte es, damit Sie sagen: Wenn das da wäre, dann würde ich auch wieder hingehen.
Martin Fiedler Es gibt da ein Gebäude, das heißt „The Student Hotel“. Dort wurde versucht, Hotel, Coworking und kleine Start-ups zu verbinden. Das lief wohl anfangs auch ganz gut, ist jetzt aber stillgelegt. Wer weiß, was die holländischen Investoren damit vorhaben. Wenn das ein Ate­lierhaus würde – ich sitze ja hier auch als Vertreter des Landesverbands Kultur und Kreativwirtschaft, also für zwölf Branchen, die nicht nur
Architektur sind, sondern auch freie Künste, darstellende Künste, Illustration, Buch bis zum Pressemarkt –, dann hätten wir einen Ort, der der­artig viel produziert an Besuchenswertem, dass man kein Shopping mehr braucht, um dahin zu gehen.
Eine andere Idee hätte ich wieder als Designer aus der Kundensicht: Ist es denn wirklich gut, dass wir uns alle Pakete nach Hause liefern lassen, sie dort auspacken und merken, es passt nicht? 60 Prozent gehen wieder zurück. Das ist ökologisch Unsinn. Vielleicht schaffen wir in der Prager Straße eine Art Karstadt für alles, was man nicht mehr braucht! Stellen wir uns mal vor, unter dem Warenhaus fährt eine Cargo-Tram in eine riesige Paketstation, lässt da all die Pakete liegen, die man bestellt hat, und dann treffe ich mich mit meinen Freunden so wie früher zum Anprobieren. Was nicht passt, schicke ich direkt wieder zurück oder reiche es weiter, was passt, nehme ich mit. Dadurch verringert sich der Lieferverkehr in der Innenstadt, und auf einmal gibt es einen Ort für das, wofür es zuvor eine ganze Straße brauchte. Dort aber ist auf einmal Platz für Ateliers, für Ausstellungen, für Cafés, für Büchereien, Selbsthilfewerkstätten, innerstädtisch verträgliches Handwerk. Es gibt einen Bestand von tiefen, unbelichteten Flächen, die sich ohnehin nicht in ein Büro umwandeln lassen. Wohl aber in eine Werkstatt. Warum nicht?
In manchen Städten gibt es schon Fonds-Modelle, mit denen die Innenstädte bewirtschaftet werden. Herr Korntheuer, könnten Sie sich das in Dresden auch vorstellen, dass die Anrainer der Prager Straße zusammenfinden und sagen, Handel allein zieht keinen mehr an, wir brauchen andere Nutzungen – die bringen aber nicht so viel Gewinn. Lasst uns das quer finanzieren, weil wir alle davon profitieren, indem der Stadtraum wieder attraktiv wird und wieder mehr Leute anzieht.
Matthias Korntheuer Bei diesem Fonds-Modell muss man abwägen. Erstmal klingt es nicht schlecht, und ich bin auch bei Herrn Fiedler, wenn er sagt, wir brauchen eine andere Nutzungsvielfalt. Wo ich aber nicht mitgehe, wäre, diese Straße einfach sich selbst zu überlassen. Das ist für eine solch zentrale Lage für mich als Stadtplaner nicht denkbar. Die Prager Straße ist ein Aushängeschild dieser Stadt.
Stephan Kühn, unser Baubürgermeister, will für die Innenstadt, für die Prager Straße und auch für die Hauptstraße auf der Neustädter Seite, einen Beirat bilden aus externen Experten, um Ideen einzusammeln: aus Forschungseinrichtungen und Verbänden, Handelskammer, City Management und dergleichen. Der Baubürgermeister wird diesem Gremium vorsitzen mit dem Ziel, dass man Ideen, wie Sie sie gerade formuliert haben, näherkommt. Ich kann es nicht beurteilen, ob ein Fonds für die Prager Straße funktionieren könnte. Was wir hier machen können, das muss man sich wahrscheinlich gut überlegen und auch originelle Ideen zulassen. Ich würde nicht sagen, „Karstadt abschreiben, wir machen einen Mikrohub draus“ – das wäre letztlich nur schnöde Logistik. Aber es ist erfrischend, so was zu hören.
Wir stehen vor einem Strukturwandel, es wird sich schon etwas ändern müssen. Für die Erarbeitung der Gewerbe- und Gestaltungssatzung für die Prager Straße haben wir eine Beteiligung gemacht und bei den Anrainern und Gewerbetreibenden nachgefragt, wie sie die Situation einschätzen. Soll der Charakter der Straße gleich bleiben mit günstigen Angeboten? Oder soll der Ort aufgewertet werden im Sinne von So-weiter-wie-bisher, aber mit besserem gestalterischem Niveau, was Werbeanlagen, Außengastronomie etc. angeht? Oder bedarf es noch eines Extras, wie eine kulturelle Nutzung, um eine Belebung zu erreichen, die Sie auch angesprochen haben? Die Mehrheit der Befragten hat angegeben: Nein, wir können nicht so weitermachen. Erstens können wir nicht auf dem Niveau verbleiben, auf dem wir jetzt stehen. Wir müssen mindestens aufwerten, aber auch neue Ideen ins Stadtzentrum holen. Die Aufstellung dieser Gewerbe-
Gestaltungssatzung wurde übrigens von allen befürwortet.
Herr Pötzsch, wie flexibel erscheinen Ihnen die Gebäude? Lassen sich andere Nutzungen denken in den konstruktiven Rahmenbedingungen, die man da vorfindet? In den Grundriss­tiefen, in den Gebäudedimensionen?
Alexander Poetzsch Grundsätzlich lassen sich in all den Gebäuden verschiedene Funktionen denken. Aber wir müssen über diesen Tellerrand rausgucken. Wir reden auch über Bestandserhalt, über graue Energie und dergleichen. Es wäre frevelhaft, an den Stellen nicht weiterzudenken. Ich würde jetzt keinen Zaun drumrum bauen und sagen, wir lassen Gras drüber wachsen. Aber die Idee, die Prager Straße als ein gemeinschaftliches Projekt zu entwickeln, finde ich interessant. Wir haben die Stadtentwicklung sehr lange marktwirtschaftlichen Interessen überlassen, anstatt über ein Ensemble wie die Prager Straße eine Glocke zu stellen und zu sagen, wenn sich da etwas verändert, dann nur so.
Aber das ist auch ein Lernprozess. Man wusste schon, dass Shopping Malls im Stadtzentrum eigentlich schlecht sind, aber sie wurden trotzdem gebaut, weil Steuereinnahmen winkten. Überall wurde der öffentliche Raum privatisiert, und nun muss sich die Stadtgesellschaft den öffentlichen Raum zurückerobern. Das kann man durch einen runden Tisch tun, durch bürgerschaftliches Engagement. Aber da müssen die Leute auch hingehen, den Ort wertschätzen. Natürlich kann man die Anmutung eines Stadtraums ein wenig anheben, indem man Gestaltungsvorgaben gibt – es liegt auch an der Wertigkeit, wie ein Raum angenommen wird. Wenn ich nur Filialisten habe, die auf einem niedrigen Niveau agieren, und die hochwertigeren Geschäfte in großen Kaufhäusern oder Malls liegen, ist das natürlich ein Thema für die Wahrnehmung der Straße. Und ja, ich glaube, dass diese Gebäude viel können. Ich kann da wohnen, wenn das Hotels sind, aber ich kann in den Riegeln auch andere Nutzungen anordnen. Man wird sich über kurz oder lang damit auseinandersetzen müssen. Aber das gilt nicht nur für die Prager Straße, das gilt für viele aufgelassene Verkaufsflächen, und das gilt grundsätzlich auch für Büroflächen, die überdimensioniert sind, oder für Wohnflächen, die falsch geschnitten sind für heutige Ansprüche.
Martin Fiedler Ein Gutes hatte ja die Prager Straße, wie sie vor der Corona-Pandemie war, mit all den Billigheimern und Filialisten: Sie war niedrigschwellig. Sie war für jeden Mann und jede Frau aus jedem Stadtteil offen. Das sind viele andere Räume in der Stadt nicht. In einer hochwertig gestalteten Gucci-Prada-Straße kaufen nur ganz bestimmte Menschen ein, nämlich die, die sich das leisten können, alle anderen laufen höchstens durch und gucken – „Lustwandeln“ hießt das früher.
Das ist eine Funktion, die diese Straße behalten sollte. Ich kann natürlich verstehen, dass wir keinen Zaun darum machen und warten, bis alle das Interesse an dieser Fläche verloren haben. Aber wir werden in den nächsten Jahren höchstwahrscheinlich ein massives Ladensterben miterleben. Man kann den Handel eine Runde alimentieren, vielleicht über Fonds oder anderes, aber vielleicht ist es auch notwendig, aktiv Angebote zurückzunehmen, damit andere Flächen wieder interessanter werden.
Wenn ich die Losung ausgeben würde, ich überspitze jetzt bewusst: „Die Prager Straße darf ab 2025 keinen Einzelhandel mehr haben“, würde das dieser Stadt und den übrigen Einkaufsmöglichkeiten nicht unbedingt schlecht tun. Es gibt so viele Dinge, die an die Peripherie rutschen, die wir eigentlich in der Innenstadt wollen: kreatives Schaffen, Sport- und Freizeitangebote, die kann man durchaus in so eine
innerstädtische Fläche ziehen und damit die Prager Straße wieder zu einem Zielort machen, der sie aktuell nicht ist.
Fakten
Architekten Fiedler, Martin, Dresden; Kornheuer, Matthias, Dresden; Poetzsch, Alexander, Dresden
aus Bauwelt 21.2021
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