Bauwelt

Moderne Zeiten

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Landes, Josepha, Berlin

Moderne Zeiten

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Landes, Josepha, Berlin

Moderne Architektur, hieß es lange, war in Deutschland zwischen 1933 und ’45 passé – ihre Vertreter waren geflohen oder bliesen Trübsal in der inneren Emigration –, und erst nach 1948 konnte das Feuer des Fortschritts erneut auflodern, zurückgetragen aus der freien Welt. Längst wird dieses Bild sehr viel differenzierter gezeichnet, doch ist es wohl richtig, dass sich in anderen Ländern besser studieren lässt, wie sich die moderne Architektur in den dreißiger und vierziger Jahren weiterentwickelte – und wie sich ihre Leistungen für die Gegenwart aneignen lassen: in Skandinavien etwa oder in der Schweiz, in Großbritannien und in Benelux. Zwei niederländische Großbauten der damaligen Zeit, das Bahnpostamt in Den Haag und das Philips-Apparatelager in Eindhoven, wurden nun umgenutzt, von Kees Christiaanse und seinem Büro das eine, von Caruso St John und ihrem Team das andere, und die beiden Gebäu­de zeigen zwei unterschiedliche Herangehensweisen: Während die Rotterdamer das denkmalgeschützte Äußere sorgfältig instand gesetzt, im Inneren aber räumlich beherzt eingegriffen haben, realisierten die Londoner eine Aufstockung für Wohnungen, die sich im Altbau nicht hätten unterbringen lassen, was es nötig machte, die Architektur angemessen weiterzubauen. In Prag schließlich wurde ein rationalistischer Großbau aus den frühen dreißiger Jahren transformiert, der den Blick auf die Modernisierung der klassischen Moderne im ersten Thementeil abschließt.

Halt dich an deinem Nachbarn fest

Der Mensch ist ein soziales Tier – Individualismus gut und schön, aber wir können eher schlecht, ganz ohne die anderen. Selbst die mieseste Misanthropin würdeverkümmern, könnte sie nicht wenigstens auf einen Nachbarn schimpfen. Im besten Fall aber geht es uns gemeinsam besser, weil wir Berührungen erfahren, seelische oder körperliche. In Gemeinschaften wie Familie oder Freundschaft, Nachbarschaft oder Vereinsleben helfen wir einander, bereichert die eine den anderen, können wir schlichtweg mehr sehen und auch erreichen als allein. Das hat durchaus etwas mit Herdenmentalität, also eher animalischen Seiten unserer Spezies zu tun, aber auch die Kultur der Aufgabenteilung und das ausgesprochen menschliche Vermögen eines komplexen Verständisses von Selbstlosigkeit ist nicht zu unterschätzen. Jedoch, im westlichen, kapitalistischen Modus vivendi verlieren die Einzelnen zunehmend die elementarsten Anknüpfungspunkte zueinander: Familienmodelle werden loser, Alleinleben ist nicht nur im Alter gang und gäbe. Räumliche Vorschläge, wie die Freiheit der Unabhängigkeit nicht zum Verhängnis wird, sind nötiger denn je.

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