Bauwelt

Komm, wir spielen Baukultur!

Beim Konvent der Bundesstiftung Baukultur in Potsdam beteiligten sich sechs Universitäten an einem Planspiel und stellten fest: Baukultur als Gestaltqualität geht nicht ohne Baukultur als Prozessqualität.

Text: Huber, Robert

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    Am ersten Tag des Konvents konnte man als Besucher an fünf offenen Foren teilnehmen. Forum 1: Baukultur als Planspiel.
    Foto: Fabian Schellhorn

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    Am ersten Tag des Konvents konnte man als Besucher an fünf offenen Foren teilnehmen. Forum 1: Baukultur als Planspiel.

    Foto: Fabian Schellhorn

Komm, wir spielen Baukultur!

Beim Konvent der Bundesstiftung Baukultur in Potsdam beteiligten sich sechs Universitäten an einem Planspiel und stellten fest: Baukultur als Gestaltqualität geht nicht ohne Baukultur als Prozessqualität.

Text: Huber, Robert

Baukultur ist eine gesellschaftliche Herausforderung. In der Stadtentwicklung steht zu Beginn oft ein Dilemma, hat eine Lösung doch meist auch eine Schattenseite – und häufig nicht nur eine. Win-win-Situationen sind selten. Umgekehrt: Das Dilemma ist per Definition die schwebende Ausweglosigkeit. Somit ist jedes realisierte Projekt bereits ein Verhandlungsergebnis, manchmal ein schlechtes, entstanden aus einer oft noch schlechteren Verhandlung. Der wahr­liche Gewinn liegt folglich im guten Kompromiss und hiermit in einer Kultur des Bauens, die diesen ermöglicht. Die zentrale Frage an die Baukultur: Wie kann es gelingen, die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven einzubeziehen und diese zu verstehen?
Baukultur als Planspiel ist ein experimenteller Ansatz dazu, gestartet als Pilot auf dem Konvent der Baukultur 2018 in Potsdam, kuratiert durch zukunftsgeraeusche, ein Projektbüro am Fachgebiet Bauphysik und Baukonstruktionen der TU Berlin. Ein interdisziplinärer Versuchsaufbau, in erster Linie adressiert an Studierende, um sich interaktiv und modellhaft hineinzuversetzen in die sogenannte Phase Null. Sprich in all das, was vor der eigentlichen Planung passiert – und ehrlicherweise auch währenddessen und danach – doch bis heute weder im Studium, noch im konventionellen Planungsverständnis, noch in den Honorarordnungen eine gebührliche Rolle spielt.
Für den Auftakt des Planspiels stand die Dynamik des gesellschaftlichen Diskurses im Vordergrund. Im Format folgt das Planspiel Baukultur einem parlamentarischen Modell. Der Spiel­aufbau ist in einem räumlichen Parcours angelegt, über verschiedene Stationen und mehrere Spielrunden. Die Teilnehmer vertreten in den Rollen unterschiedlicher Stakeholder ihre Haltungen und formulieren ihre Anliegen als Interessengruppen, begleitet von einem „Presse-Corps“ und externen Experten, inklusive der Möglichkeit sich subversiv zu verhalten, zu protestieren oder Vertrauliches zu leaken. In einem strenggenommen methodischen Hybrid aus Plan- und Rollenspiel reflektieren sie zwischen ihrer eigenen Identität, ihrem professionellen Hintergrund und den Rollen, die sie repräsentieren. In Kombination simulieren Spielaufbau und Ablauf einen realen Verhandlungs- und Beteiligungsprozess als öffentliche, gesellschaftliche und fachliche Auseinandersetzung über ein Stadtentwicklungsvorhaben.
Prinzip vs. Kompromiss
Die tatsächlichen oder vermeintlichen Freiräume im Städtebau der Nachkriegsmoderne boten dazu ein prädestiniertes stadträumliches Szenario. Unter dem Titel „Prinzip vs. Kompromiss – Wie weiter mit den Freiräumen der Nachkriegsmoderne?“ verhandelte das Planspiel ein sehr reales Dilemma der Baukultur und könnte in vielen Städten spielen.
Die Teilnehmer wählten aus mehreren vorgestellten Fallbeispielen ein Szenario aus Kassel: Die benachbarten Siedlungen Helleböhn, erbaut zwischen 1956 und 1965, und Documenta Urbana, umgesetzt 1980 bis 1982. Als Trigger diente die aktuelle Debatte um den Wohnungsmangel, mit der Aufgabenstellung, über die Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Nachverdichtung im kontrastreichen Verhältnis der beiden Siedlungen zu entscheiden. Dabei mussten sich die planerischen Überlegungen wie Typologie, Freiräume, Erschließung oder Ästhetik mit weitgefassten Fragen zur Bodenpolitik, sozialen Gerechtigkeit und Legitimationsgrundlagen von Entscheidungsprozessen messen.
Die Fallbeispiele stammten aus vorbereitenden Workshops mit Studierenden und Experten, die an sechs als Kooperationspartner beteiligten Hochschulen stattfanden: An der TU Darmstadt (Tragwerksentwicklung und Bauphysik), der Fachhochschule Potsdam (Urbane Zukunft, Architektur und Design), der Universität Kassel (Freiraumplanung), der Universität Stuttgart (Orts- und Regionalplanung), der TU Berlin (Entwerfen und Konstruieren) sowie an der Universität Leipzig (Kunstgeschichte).
Baukultur in der Bildung
Auf dem Konvent trafen die Studierenden und Lehrenden auf weitere Konvent-Teilnehmer mit unterschiedlichen beruflich-biografischen Hintergründen, womit das interdisziplinäre und heterogene Fundament für die modellhafte gesellschaftliche Herausforderung gelegt wurde.
Wie kann ein allumfassendes Verständnis von Baukultur als Prozessqualität in der Bildung eine wesentlichere Rolle spielen als bisher? Um dieses Verständnis für die Kultur des Bauens, die gerade auf dem Weg ist als „Baukultur“ ein international verständlicher Begriff zu werden, als Essenz eines Planungs- und Bauverständnisses zu praktizieren, das endlich alle Beteiligten mit einschließt und zwar in einer nachhaltig sozialen und ökologischen Umgangsweise.
Im Gegensatz zu einem interdisziplinären Dialog, der mit Beteiligung unterschiedlicher Fachrichtungen beginnt, sind die Interessenlagen der vielschichtigen gesellschaftlichen Stakeholder keine belegbaren Studienfächer. Die Sensibilität für die verschiedenen Akteure und deren Perspektiven können nur über den Perspektivwechsel, das praktische In-Wert-Setzen und Einüben in das Studium Einzug halten.

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