Bauwelt

Von der Schief- in die Schräglage kommen

Das eigene Geschlecht und die damit verbundenen, sozial konstruierten Normvorstellungen und Rollenbilder infrage zu stellen ist für den Großteil von Männern – und Architekten – kein Thema. Die Bereiche Gleichstellung und Diversität werden ausgegrenzt. Um einer egalitären und inklusiven Architektur näher zu kommen, braucht es Unangepasstheit, Normkritik und das Insistieren auf Differenz.

Text: Lange, Torsten

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    Mit „Svizzera 240“, dem Schweizer Beitrag an der Internationalen Architektur­biennale Venedig 2018, ...
    Foto: Mathilde Agius; ALL-IN Magazine, 2019

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    Mit „Svizzera 240“, dem Schweizer Beitrag an der Internationalen Architektur­biennale Venedig 2018, ...

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    ... lieferten die Kuratoren Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara ...
    Foto: Mathilde Agius; ALL-IN Magazine, 2019

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    ... lieferten die Kuratoren Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara ...

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    ... ein treffendes Bild für eine Architektur, ...
    Foto: Mathilde Agius; ALL-IN Magazine, 2019

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    ... die mit dem Status Quo der Maßstäbe spielt.
    Foto: Mathilde Agius; ALL-IN Magazine, 2019

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    ... die mit dem Status Quo der Maßstäbe spielt.

    Foto: Mathilde Agius; ALL-IN Magazine, 2019

Von der Schief- in die Schräglage kommen

Das eigene Geschlecht und die damit verbundenen, sozial konstruierten Normvorstellungen und Rollenbilder infrage zu stellen ist für den Großteil von Männern – und Architekten – kein Thema. Die Bereiche Gleichstellung und Diversität werden ausgegrenzt. Um einer egalitären und inklusiven Architektur näher zu kommen, braucht es Unangepasstheit, Normkritik und das Insistieren auf Differenz.

Text: Lange, Torsten

Viele werden die Situation kennen: Ich betrete einen Raum, suche nach Orientierung, nach Resonanzen mit den anwesenden Personen und Gegenständen. Welche Art von Beziehung ich zu ihnen aufbauen kann, beeinflusst, ob ich mich deplatziert fühle. Bin ich unter diesen Personen aufgehoben, oder verursachen sie mir Unbehagen, Unwohlsein, Unbequemlichkeit? Wie ein bestimmter Raum „eingeräumt“ ist, bedingt, welche Personen sich in ihm versammeln können, bemerkt dazu die feministische Kulturwissenschaftlerin Sara Ahmed.
Ahmeds Arbeiten geben mir Orientierung. Nicht weil sie konkrete Situationen und gelebte Erfahrungen greifbar beschreiben, sondern weil in ihnen die kulturelle Bedingtheit und die sprachliche Vermittlung dieser Erfahrungen zugleich systematisch durchdacht und dekonstruiert werden. Deshalb sollten wir heute mehr Ahmed und weniger Heidegger lesen. Ihre Beobachtung, dass bestimmte Anordnungen von Dingen jeweils unterschiedliche Räume des Versammelns hervorbringen, die je nach ihrer Ausstattung sehr verschieden wahrgenommen und erfahren werden, trifft ebenso auf die Architektur und ihre institutionellen und materiellen Raumformen zu: sei es die Hochschule, das Bü­­-ro, die Baustelle, sei es der Berufsverband oder Ausstellungen, seien es die Seiten einer Zeitschrift.
Wir wissen um die andauernden expliziten Mechanismen des Ausschlusses bestimmter Körper aus diesen Räumen der Disziplin(-ierung) und das Fortleben struktureller Barrieren und erlebter Diskriminierung – denken Sie an gläserne Decken, verschlossene Türen und Karrierestufen. Die kritisch-phänomenologischen Reflexionen Ahmeds über ein feministisches Leben, in denen es beispielsweise um das Instrument der Beschwerde geht, haben unmittelbar prak­tische Bedeutung. Sie sind relevant für alle, die sich mit Fragen der Chancengleichheit und des geschlechtergerechten, antirassistischen, antiklassistischen und antiableistischen, also dem gegen Behinderte gerichteten Umbau von Institutionen beschäftigen. Diversity-Manager_innen werden darin allerdings vergeblich nach schnellen Patentlösungen suchen.
Bewusst benutzte ich eingangs das Wort „viele“ anstelle von „alle“. Männlich sozialisierte Personen machen diese Erfahrung eher nicht. Ihnen erscheinen die Dinge, die Räume und Umgebungen prägen, als gegeben – sie rücken nicht in das Feld der eigenen Aufmerksamkeit. Dazu kommt, dass bestimmten als privat zu bezeichnenden Aspekten, zu denen auch Fragen der Identität, der Partnerschaft und der Familie zählen, bewusst die (männliche) Aufmerksamkeit entzogen wird, aus dem Wissen um ihre das Selbst stabilisierende Funktion. Bequemlichkeit, Ungezwungenheit und Einvernehmen bestimmen öffentliches Auftreten, Handeln und Interaktionen in männlich dominierten Kontexten, wie Frauen immer wieder berichten.
Gatekeeper
Eine Anekdote zur Illustration: Als ich vor einigen Jahren als Gast an eine Hochschule kam, wurde mir einer der dort tätigen Professoren an einem Empfang vorgestellt. Kaum hatten wir gegensei-tig die Hände geschüttelt, fragte er mich nach meinem Lieblingsarchitekten (eine Lieblingsarchitektin zu haben, schien ausgeschlossen) und dann nach meinen Lehr- und Forschungsschwerpunkten. Auf meine Antwort, mich interessierten Fragen des wechselseitigen Verhältnisses von Geschlecht und gebauter Umwelt, folgte als Antwort: „Ah, dann wollen Sie also eine Frau sein.“
Nicht nur schwang in der vermutlich witzig gemeinten Aussage eine gesunde Portion Homo- und Transphobie mit. Auch wenn ich mich in der betreffenden Situation nicht explizit geoutet hatte, schien ihm doch klar zu sein, vor ihm stehe ein „feminisierter“ Mann. Was ich noch beachtlicher fand an der Aussage, war die Verdrängung der eigenen Geschlechtlichkeit. Geschlecht, das haben nur Frauen – obschon, wie die Wissenschaftshistorikerin Londa Schiebinger herausgearbeitet hat, durch Männer diskursiv produziert und sozial reglementiert. Umgekehrt bleibtes Männern vorbehalten, die eigene Identität nicht infrage stellen zu müssen. So verhält es sichbeim Thema Geschlecht wie mit anderen Privi­legien, beispielsweise der Klasse des Weißseins, der Heterosexualität oder der Nichtbehinderung. Die eigenen Vorrechte werden gerade aufgrund ihrer Fragilität nicht infrage gestellt.
In der Architektur, das ist keine neue Erkenntnis, äußern sich diese gesellschaftlichen Schief-lagen – analog zu anderen „geschützten“ und kapitalintensiven Berufsfeldern – besonders nachdrücklich. Jenen, die auf Umwegen und eher durch die Hintertür in diesem Berufsfeld gelandet sind, wird häufig schnell klar, dass sie bestenfalls geduldet sind. Lehrende und selbst Gastkritiker_innen übernehmen in den Hochschulen die Aufgabe des Gatekeepers. Hinzu kommen ausgrenzende Initiationsriten: dazu zählen der Erwerb eines Habitus, die Übernahme eines Jargons oder auch das beflissene Erlernen eines Kanons, der das unumstößliche Fundament der Disziplin, die vermeintlich „gemeinsame Gesprächsbasis“ bildet, aber hinsichtlich seiner machtvollen Konstruktion ungenannt bleibt. Viele fragen sich, ob sie in solchen Kontexten bleiben können, dürfen oder auch wollen.
Neben relativ eindeutig messbaren Faktoren wie Bildungs- und Karriereverläufen, Geschlechteranteilen, Einkommensunterschieden und Zeitbudgets (die auf die ungleiche Verteilung von Care-Aufgaben hinweisen), fehlen verlässliche Daten über weniger statistisch quantifizierbare Phänomene wie Alltagssexismus, Homophobie, Rassismuserfahrung oder die Diskriminierung von behinderten Menschen in unserer Disziplin weitgehend. So bleibt dann auch unsichtbar, worüber es kein Wissen gibt.
Wohnumweltstandards
Gleichzeitig bauen Architekt_innen beharrlich an der Reproduktion dieser Bedingungen weiter. Beispielsweise indem sie weiterhin in erster Linie Wohnformen entwerfen, die das biopolitische Konstrukt der Kleinfamilie in den Mittelpunkt stellen. Dazu zählt dann auch, dass Städte – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Wien (Seite 32) oder Barcelona –, noch immer nicht gender- und alltagsgerecht geplant werden, obwohl dieses Thema seit vier Jahrzehnten in der Fachdebatte verankert ist. In der Schweiz, wo in diesem Jahr fünfzig Jahre Frauenstimmrecht „gefeiert“ wird, hat der Verein „Lares“ kürzlich mit dem „GenderKompass Planung“ einen Leitfaden zur Umsetzung von Chancengleichheit in der Raumplanung vorgelegt. Dabei benötigen gerade die aktuellen Herausforderungen wie die Klimakatastrophe und die sozialen Verwerfungen nach einem Jahr Pandemie eine größere Diversität der Entschei­dungsträger_innen für die gebaute Umwelt. Rückblickend auf das vergangene Jahr schrieb Philosoph Paul B. Preciado, der „Herbst des Patriarchats“ sei endgültig angebrochen. Auch Sara Ahmed fordert statt eines bloßen Platzschaffens, dass der Prozess des „Ankommens am Tisch“ auch diesen selbst verändern müsse. Mussten sich Architektinnen zu Beginn des letzten Jahrhunderts ihren Platz an diesem Tisch durch Anpassung an ein von Männern geschaffenes System erkämpfen, so versuchten Feministinnen der zweiten Generation sich ihren eigenen Tisch zu bauen, indem sie bewusst eine Praxis außerhalb etablierter Institutionen und des Mainstreams der Architektur entwickelten.
Viele der gegenwärtig interessantesten, international vernetzten Akteur_innen und Gruppen, deren Arbeiten auf einem intersektionalen, queeren feministischen Ansatz beruhen, loten die Potenziale kritischer und erweiterter Praxis in der Architektur bewusst aus, wohl wissend, dass ihnen der Mainstream Akzeptanz und Respektabilität verwehrt.
Queer-feministische Kollektive wie MYCKET aus Schweden stehen für eine lustvolle Unan­gepasstheit in der Architektur. Auch Afaina de Jongs aktueller niederländischer Beitrag zur Architekturbiennale Venedig „Space of Other“ hinterfragt ein „wir“, das allzu oft über Diffe­renzen und plurale Lebenserfahrungen hinwegtäuscht. Einen anderen Ansatz praktizierte der 2018 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichne­te Beitrag „Svizzera 240: House Tour“ mit seinen maßstabsverzerrten Interieurs. Er übte Kritik an einer vermeintlich neutralen, auf statistischenKennwerten, Normen und Standards basierenden Wohnumwelt. So wie tragfähige Allianzen die Akzeptanz von Unterschieden erfordern, bedingt ein verantwortungsvoller Umgang mit Strategien der Desorientierung und Schrägheit in der Architektur das Wissen um ihre konstruierten Missverhältnisse.

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