Finde den Unterschied
Intime Räume öffentlich gezeigt: Duett der Moderne blickt hinter die Fassaden der Berliner der Nachkriegsmoderne.
Text: Dinkel, Diana, Nürnberg
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Intime Räume öffentlich gezeigt: Duett der Moderne blickt hinter die Fassaden der Berliner der Nachkriegsmoderne.
Text: Dinkel, Diana, Nürnberg
Ein junger Mann sitzt mit seinem Hund auf einem senffarbenen Cordsofa. Hinter ihm: eine weiße Wand mit gelblich monochronem Bild. Links neben dem Sofa steht eine Pflanze. Sie ragt bis zur Decke und über das Sofa. Auf einem anderen Bild dreht sich eine Frau in gepunktetem blauen Kleid in ihrer Küche. Ihre verschwommene Silhouette bildet einen Farbklecks in einem lichtdurchfluteten Raum, umgeben von weißen Einbaumöbeln, hellgrauem Boden sowie raumhohen Fenstern. Diese Aufnahmen sind zwei von rund 80 analogen Fotografien der Ausstellung „Duett der Moderne“ im Berliner Mitte Museum. Aufgenommen von der Fotografin Bettina Cohnen in den Jahren 2022 und 2024 und gebündelt in acht Bildserien geben sie einen intimen Einblick in Wohnräume des Hansaviertels und der Karl-Marx-Allee: Ikonen der Nachkriegsmoderne. Die beiden Wohnensembles sind das Sinnbild des architektonischen Wettstreits von West- und Ost-Berlin.
Ergänzend zu Cohnens Bestandsaufnahme gibt Duett der Moderne einen Rückblick zur Trümmerbeseitigung der Jahre 1947–1954. Die kriegszerstörten Straßen sind nach dem zweiten Weltkrieg von verschiedenen Fotografen und Fotografinnen akribisch dokumentiert worden. Als kleine Zeitreise ermöglicht die Ausstellung den Visionen des Wiederaufbaus einer geteilten Stadt nachzuspüren und das heutige gemeinsame Erbe zu entdecken.
Im Osten Berlins startete nach dem Nationalen Aufbauprogramm 1952 der Wiederaufbau zwischen Frankfurter Tor und Strausberger Platz (KMA 1). Der großstädtische Boulevard wurde anlässlich Josef Stalins 70. Geburtstag 1949 in Stalinallee umbenannt. Wohnblöcke mit etwa 5000 Wohnungen beziehen sich entlang der Achse symmetrisch aufeinander. Die Erdgeschosszone bespielt mit Läden, Gaststätten und weiteren Dienstleistungseinrichtungen den öffentlichen Raum. In einem zweiten Schritt wurde zwischen 1959 und 1965 die Bebauung vom Strausberger Platz bis zum Alexanderplatz (KMA 2) nach dem Motto „weniger Pracht, mehr Platte“ fortgeführt. Mit diesem zweiten Bauabschnitt ging auch die Umbenennung der Straße in Karl-Marx-Allee einher. Der unübersehbare Bruch in Städtebau- und Architekturauffassung spiegelt die damaligen politischen Entwicklungen wider.
KMA 2 sowie der Wiederaufbau im Westen Berlins orientierte sich am städtebaulichen Konzept der „Charta von Athen“ (1943). Einhergehend mit der Internationalen Bauaustellung „Interbau“ 1957 haben 50 internationale Architekten im nördlichen Tiergarten ihre Entwürfe realisiert. Unter dem Titel „Die Stadt von morgen“ positionierte sich West-Berlin öffentlich progressiv im Kontext des Wiederaufbaus der Stadt. Das Hansaviertel gliedert sich nach Funktionen, ist durch Grünflächen aufgelockert und von einer dominanten Infrastruktur durchzogen. Auf 25 Hektar befinden sich 1300 Wohneinheiten, eine Bücherei, zwei Kirchen, eine Kindertagesstätte, eine Grundschule und ein Einkaufszentrum – eine ähnliche Mischung wie im Osten, jedoch mit anderer räumlicher Ausformulierung. Trotz unterschiedlicher Herangehensweisen vereint die Bauten der Nachkriegsmoderne in Ost und West das Anliegen, bezahlbare Wohnungen und Lebensqualität für alle zu bieten. Die Ausstattung der Wohnungen mit Fernheizung, Toiletten, Bädern, Aufzügen und Müllschluckern stand für den Beginn einer neuen, besseren Zukunft.
Auftakt des KMA 1 bildete der Bau des Hochhauses an der Weberwiese (1952) von Hermann Henselmann, den Cohnen mit einer Bildserie dokumentiert hat. Weitere Einblicke werden unter anderem in das QP-61-Wohngebäude in der Mollstraße (KMA 2) gegeben. Den westlichen Blickwinkel repräsentieren Szenen aus Wohnungen im Niemeyer- und im Schwedenhaus, die das Tor zum Hansaviertel bilden.
In der Ausstellung umspielen luftige, weiße Raummodule aus Stahl die freie Mitte des Raums, die mit einem großen Kronleuchter auffällig definiert wird. Unterschwellig sind die Bildserien räumlich nach West- und Ost-Berlin aufgeteilt. Der Verzicht auf einen Lageplan und die damit einhergehende städtebauliche Maßstabsebene löst die sonst so präsenten urbanen Bezüge auf. An den kubischen, raumhaltigen Modulen sind die Serien in unterschiedlichen Formaten abgehängt, eine Sammlung je Seite. Wiederkehrende Elemente wie eine Pflanze, ein Bett, die Garderobe und Fensterfronten erklären Zusammenhänge innerhalb einer Wohnung. Zusätzlich geben quadratische Karten, die in den Raummodulen ausliegen, Anhaltspunkte: mit einem referenzierten Bild, dem Grundriss der jeweiligen Wohnung und Hintergrundinformationen zur Architektur. Die Anzahl der Bilder sowie die Formate sind je Serie individuell zusammengesetzt, sie verschwimmen ineinander und kreieren eine übergreifende Einheit.
Duett der Moderne blickt hinter die Fassaden der Nachkriegsmoderne, geschichtlicher und politischer Kontext treten einen Schritt in den Hintergrund. Der gegenwärtige Zustand wird von innen heraus betrachtet. Cohnens Bildserien lassen die Ikonen der Nachkriegsmoderne zu einer Hülle für das Alltägliche werden. Welche
Unterschiede bleiben?
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