Bauwelt

Schwestern für einen Sommer

Editorial

Text: Geipel, Kaye, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

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Der deutsche Finanzminister im Zwischengeschoss der Athener U-Bahnstation Syntagma
Foto: Kaye Geipel

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Der deutsche Finanzminister im Zwischengeschoss der Athener U-Bahnstation Syntagma

Foto: Kaye Geipel


Schwestern für einen Sommer

Editorial

Text: Geipel, Kaye, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

Am Syntagma-Platz in Athen, dem beinahe täglichen Schauplatz von Protesten gegen die aus Brüssel verordnete Austeritätspolitik: Bevor man aus der Metrostation nach oben kommt, begegnet einem Wolfgang Schäuble. Er beherrscht für den Moment selbst den Athener Untergrund, entschieden und grimmig, mit präzisen Strichen auf eine große Tafel gemalt, platziert in einem Zwischengeschoss, in dem griechische Karikaturisten eine Ausstellung haben: der deutsche Finanzminister, Hassobjekt der griechischen Presse, und einige Meter weiter Theresa May, nicht minder unbeliebt ob ihres Ausstiegs aus der Verantwortung.
Die Karikaturen-Ausstellung gehört nicht zur documenta 14, die in Athen noch bis zum 16. Juli, in Kassel bis zum 17. September läuft. Aber die Politik ist omnipräsent an den 50 Athener Standorten der Kunstausstellung. Die documenta gleichsam verdoppelt zu haben – das war der entscheidende Schachzug ihres diesjährigen künstlerischen Leiters Adam Szymczyk. ­Für dieses Risikospiel, mitten hinein in die Wunde der europäischen Aus­einandersetzung, wird man ihn in Erinnerung behalten, aller Kritik an der pädagogischen Haltung seiner documenta zum Trotz. Deutschland und Griechenland sind zurzeit so etwas wie zwei Seiten derselben Medaille. Aber in Wirklichkeit geht es um eine jahrhundertealte, konfliktreiche und gleichzeitig intime Beziehung: der bayerische Prinz Otto als griechischer König, der klassizistische Städtebau, den eine ganze Reihe von deutschen Architekten umgesetzt hat – nicht zuletzt den heutigen Sitz des Parlaments am Syntagma-Platz, den von Friedrich von Gärtner erbauten ehemaligen Königspalast –, bis hin zu der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg und heute den Austeritätspaketen mit ihren Auswirkungen auf die Renten und Steuern und den öffentlichen Raum.
Nicht systematisch, aber mit Auslassungen ziemlich konsistent, beschäftigt sich die documenta 14 auch mit gesellschaftlichen Umbrüchen und Katastrophen in der Stadtgesellschaft. Was aber kann eine Kunstausstellung – sei sie noch so groß und vielleicht auch unabhängig von dem, was der globale Kunstmarkt genannt wird – tatsächlich ausrichten? Welche Beziehung hat Athen zum Partner (oder Konkurrenten?) in Deutschland, der documenta-Stadt Kassel, die ja förmlich durch die 1955 von Arnold Bode initiierte documenta aus der Asche des Zweiten Weltkriegs auferstand?
Für uns waren dies genug Gründe, die beiden Städte und ihre sommer­liche documenta-Beziehung zum Thema dieser Stadtbauwelt zu machen. In Kassel stellt sich die Frage wie folgt: Ist die Ausstellung, die Kassel alle fünf Jahre auf den Kopf stellt – 860.000 Besucher (zur documenta 13), eine über viele Monate extrem aufgeblähte Infrastruktur, quasi ein Kurzzeit-Venedig in Nordhessen –, der Stadt auch langfristig von Nutzen? Resümee des Bauwelt-Gesprächs mit der documenta-Geschäftsführerin Annette Kulenkampff und dem Kasseler Stadtbaurat Christof Nolda: langfristige städtebauliche Wirkung der documenta: Fehlanzeige. Doch sie bleibt ein weltweit einzigartiges Experiment von Kunst und Stadt.
Diese documenta ist ob ihres zur Schau getragenen Sendungsbewusstseins und ihrer politischen Naivität kritisiert worden. Sie hat sicher eine ganze Reihe von Erwartungen unterlaufen. Und: Es ist deutlich weniger Spaß im Feld als vor fünf Jahren. Aber vielleicht ist Spaß machen in Zeiten wie diesen auch nicht die drängendste Aufgabe von Kunst in der Stadt.

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