Der älteste Baum ist 4000 Jahre alt
Bäume sprengen die Maßstäbe des menschlichen Lebens und sind gleichzeitig unsere erste Antwort auf den Klimawandel. Eine Schau in München über Potenziale und Widersprüche beim „Bauen auf Baum“
Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf
Der älteste Baum ist 4000 Jahre alt
Bäume sprengen die Maßstäbe des menschlichen Lebens und sind gleichzeitig unsere erste Antwort auf den Klimawandel. Eine Schau in München über Potenziale und Widersprüche beim „Bauen auf Baum“
Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf
Das eindrucksvollste Exponat der Ausstellung „Trees, Time, Architecture“ ist ein Film: „Weaving time“ erzählt von den lebenden Brücken der indigenen Khasi People in Nordindien (Meghalaya), die aus den Luftwurzeln des Gummibaums (Ficus elastica) in jahrzehntelanger, manchmal generationenübergreifender Zusammenarbeit gebildet werden. Versteht man die Ausstellungsmacher und -macherinnen Ferdinand Ludwig und Kristina Pujkilović richtig, unterstützt von der Ko-Kuratorin Andjelka Badnjar Gojnić und dem Buero Kofink Schels für die Ausstellungsgestaltung, dann müssten sich unsere Hoffnungen nach Indien richten. Dort lässt sich die in traditionellen Lebenszusammenhängen „wurzelnde“, lange gesuchte Verbindung von Architektur und Natur finden, deren Verständnis auch helfen könnte, heutige ökologische (Bau-)Probleme zu lösen.
Architekturausstellungen sind jedoch keine exotischen Träumereien. Auch diese Schau will – trotz der kulturellen Nebenaspekte, die sie beleuchtet, und des theoretischen Niveaus, das der Titel andeutet – vor allem einen Überblick über das Thema geben, konkrete Lösungsansätze aufzeigen und neue Perspektiven eröffnen. Im ersten der drei Säle erinnert ein Brikettstapel an die zeitliche Dimension von Holz durch den Hinweis auf das Karbonzeitalter vor 300 Millionen Jahren, als die Reste der Wälder sich in Kohle verwandelten: Die 16 Tonnen, die hier den abgedunkelten Raum füllen, würden bei ihrer Verbrennung 32 Tonnen CO₂ freisetzen – das entspricht dem durchschnittlichen jährlichen CO₂-Ausstoß von drei Menschen in Deutschland. Um diese Menge zu binden, wären wiederum 5,6 Hektar Wald nötig. Auch sonst wird mit Zahlen nicht gespart: Der älteste Baum der Erde ist eine 4000 Jahre alte Kiefer, der umfangreichste eine Zitterpappelkolonie von 40.000 Stämmen, die gemeinsame Wurzeln haben. Kurz darauf bestaunen wir die Baumhäuser, in denen noch heute ein Teil des Korowai-Volkes von Neuguinea lebt.
Im zweiten Saal wird es konkreter. Hier werden eine Vielzahl von (allerdings zum Teil bekannten) Beispielen der Integration von Bäumen und Natur innerhalb der gebauten Umwelt vorgestellt: Von der auf Alleen gegründeten Stadtplanung von Canberra von 1912 bis zum Oerliker Park in Zürich (2000), der als Beispiel für eine flexible, auf die Änderungswünsche der Bevölkerung reagierende Entwurfsstrategie steht, vom Baumhaus, das Otto Hoffmann 1970 in Darmstadt entwarf, bis zum nach wie vor kontrovers diskutierten Bosco Verticale in Mailand von Stefano Boeri (2014) oder dem aktuellsten Beispiel den bepflanzten Dachterrassen in der Berliner Darwinstraße von Grüntuch Ernst Architeken, 2024. Es sind solche (und andere) unterschiedlichen Versuche einer ökologischen Architektur und Planung, über deren Resilienz-Vorteile – von Temperatursenkung bis zur CO₂-Bindung, von der Wasserverdunstung bis zur Biodiversität – im Prinzip schon länger Einigung besteht. Warum geht es dann immer noch nur langsam voran mit unseren grünen Stadtumbauten? Die wahren Hürden liegen weniger im sogenannten Greenwashing als vielmehr in kommunalpolitischen Prioritäten, berufsspezifischen Denkweisen und so manchen Vorschriften. Die Ausstellung geht auf politische Hintergründe nur am Rande oder indirekt ein – etwa, wenn sie auf die vielen „illegalen Bäume“ in Deutschland hinweist, die den einschlägigen Vorschriften beispielsweise zum Gebäudeabstand oder zu technischen Infrastrukturen einfach nicht entsprechen wollen.
Bringt hier der Gedanke der Baubotanik neue Perspektiven? Ihr ist der dritte Saal der Ausstellung gewidmet. In diesem, nun an der TU München und der Professur für Green Technologies angesiedeltem Forschungsbereich (Prof. Ferdinand Ludwig), geht es darum, pflanzliche Wachstumsprozesse durch Verknüpfung mit technischen Elementen für Konstruktionen nutzbar zu machen. Ihr Grundprinzip: Je länger ein solches Bauwerk aus auswachsenden Elementen besteht, desto stabiler wird es. Ob die experimentellen Ansätze, die es heute gibt, über eine nachhaltigere Fassadenbegrünung in Richtung eigenständiger architektonischer Konstruktionen hinausgehen, bleibt auch angesichts der in der Schau präsentierten Studienmodelle (oder dem von Bäumen getragenen 2022 fertig gestellten Pavillon Arbor Kitchen in Baden-Württemberg) jedoch die Frage. Die Baubotanik ist ein spannender Ansatz, aber man bleibt als Besucher ein wenig unsicher darüber, welche der Perspektiven die Ausstellung insgesamt favorisiert. Vielleicht muss man an verschiedenen Stellen einfach weitermachen, und nicht zuletzt ist auch der Zeitaspekt, den die Living Bridges in Indien so eindrücklich ins Spiel bringen, auch für heutige nachhaltigere Planungen eine Aufforderung: Wir sollten davon wegkommen, nur für die nächsten vierzig Jahre zu bauen, um dann abzureißen. Da kann man den Kuratoren nur Recht geben.
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