Bauwelt

Der Lieblingsschüler des großen Raffael

Die italienische Stadt Mantua feiert noch bis Juni ihren berühmtesten Sohn: Giulio Romano, Schüler von Raffael und unbestrittenes Genie der italienischen Renaissance. Der manieristische Meister steht im Mittelpunkt eines umfangreichen Programms mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Virtual Reality.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Chaos an den Wänden: der Saal der Giganten im Pa­lazzo Te.
    Foto: Palazzo Te Foundation

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    Chaos an den Wänden: der Saal der Giganten im Pa­lazzo Te.

    Foto: Palazzo Te Foundation

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    Römische Spintriae
    Foto: Palazzo Te Foundation

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    Römische Spintriae

    Foto: Palazzo Te Foundation

Der Lieblingsschüler des großen Raffael

Die italienische Stadt Mantua feiert noch bis Juni ihren berühmtesten Sohn: Giulio Romano, Schüler von Raffael und unbestrittenes Genie der italienischen Renaissance. Der manieristische Meister steht im Mittelpunkt eines umfangreichen Programms mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Virtual Reality.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

In wohl keinem Buch zur Kunstgeschichte Italiens fehlt eine Abbildung der Fresken im „Saal der Giganten“ in Mantua als Beispiel für den Manierismus, der auf die Hochblüte der Renaissance folgte. Es war eine Kunst der Verzerrung und Übertreibung, auch der Ausschweifung und der Hässlichkeit nach den Renaissance-Idea­len von Schönheit und Ebenmaß. Im „Saal der Giganten“ im herzoglichen Palazzo Te in Mantua sieht man aufgedunsene, glubschäugige Wesen, eben besagte Giganten, die unter berstenden Säulen und herumfliegenden Gesteinsbrocken verschüttet werden. Wer wollte derlei in seinem Palast sehen?
Es ist eben nur ein Ausschnitt aus einem Gesamtkunstwerk, das sich in Form von Abbildungen gar nicht wiedergeben lässt. Der ganze Saal mit vollständig abgerundeten Ecken ist ein ein­ziges Ereignis und zeigt, wie Göttervater Zeus respektive Jupiter, von seinem Thron herabgestiegen, gegen die aufrührerischen Giganten Blitze schleudert, die ihre Häuser und Bauten zu ebenjenem Einsturz bringen, unter dem sie mit verdrehten Augen und verzerrten Mienen gerade noch hervorlugen. Und Jupiter, das ist natürlich der Herzog selbst, Federico II. aus dem Hause der Gonzaga, die Mantua seit 1329 zu einem ansehnlichen Staatswesen emporgeführt hatten, und, weil Federico in den ewigen Streitigkeiten zwischen den oberitalienischen Fürstentümern und dem deutschen Kaiser auf dessen Seite stand, von Karl V. 1530 mit der Herzogswürde ausgezeichnet wurde. Da ziemte es sich, große Vorhaben in Kunst und Architektur umzusetzen, da­runter das Lustschloss Palazzo Te, damals außerhalb der Residenzstadt gelegen.
Mantua ist heute eine Provinzstadt am süd­lichen Rand der Lombardei. Geblieben ist die einstige Pracht, sichtbar im Palazzo Ducale, einer der größten Palastanlagen Italiens und berühmt durch die Fresken des Meisters der Frührenaissance, Andrea Mantegna. Gut zwei Gene­rationen nach ihm wurde Giulio Pippi (1499−1546), nach seiner Heimatstadt Rom „Romano“ genannt, an den Herzogshof gerufen und wurde nicht nur zum Staatskünstler des Landes, sondern auch zum Wegbereiter wie auch schon Meister eben des Manierismus. Er entwarf den gegen 1535 fertiggestellten Palazzo Te und schmückte ihn aus, wie auch das geräumige Appartamento di Troia im immer mal wieder um­gebauten Herzogspalast, der uneinnehmbar hinter den im Laufe von Jahrhunderten künstlich geschaffenen Seen liegt, die die Stadt an drei Seiten umgeben.
Der Palazzo Te steht im Mittelpunkt des Programms „Mantua: Stadt des Giulio Romano“, mit dem die Kommune mehr Aufmerksamkeit erlangen will. Im Unterschied etwa zu den bekannten Zielen der Toskana liegt Mantua etwas außerhalb der Touristenströme, und meist erschöpft sich die Neugier der Tagesgäste im Besuch der Camera degli sposi im Herzogspalast, jenem wunderbaren illusionistischen Raum, mit dem Mantegna die noch so junge Zentralperspektive in Vollendung demonstrierte. Der Palazzo Te liegt dann tatsächlich am Rand der Stadt.
Dabei ist dieses Bauwerk, 1526 begonnen und mit allen Dekorationen ein Jahrzehnt später vollendet, ein Markstein der Architekturgeschichte. Dem Typus nach eine Villa suburbana, also ein Landsitz-Lustschloss und kein vollgültiger Palast, fällt der Palazzo Te durch seine Regelverstöße ins Auge. Der eingeschossige Bau, eine Vierflügelanlage um einen Innenhof und zusätzlich versehen mit einem vorgelagerten, umfriedeten Garten samt Fischteichen, versammelt al­le Architekturmotive der Renaissance, wie sie aus den Traktaten geläufig waren, aber in ganz eigener Kombination. So gehen nur wenige Fenster auf den Innenhof hinaus, dessen Fassaden stattdessen mit zahlreichen Nischen versehen sind. Zum äußeren Garten hin hat Giulio Romano (1499−1546) eine Fassade mit Palladio-Motiven und einer mittigen Loggia sehr freundlich gestaltet, während die übrigen drei Außenfassaden mit ihrem Bossenwerk und ihren flachen Pilastern anstelle von Halb- oder Vollsäulen abweisend wirken und wirken sollen.
Diesen Palazzo, der trotz Plünderungen nach dem Tod des letzten Gonzaga-Fürsten erstaun­licherweise gut erhalten blieb, will die Stadt künftig noch besser erfahrbar machen. Auftakt des Programms ist die Ausstellung „Kunst und Verlangen“, die den Sensualismus Giulios vorführt, parallel dazu im Herzogspalast die Ausstellung „Con una nuova e stravagante maniera“. Die beiden Veranstaltungen – 30 Jahre nach der kaum mehr zu übertreffenden Giulio-Retrospektive von 1989 – bilden den Auftakt zur Giulio-Saison, die sich bis Mitte 2020 erstreckt, und darüber hinaus zu einigen grundsätzlichen Veränderungen in der Präsentation des Palazzo Te.
So soll – zunächst bis zum 30. Juni – die „multimediale Ausstellung“ unter dem Titel „Giulio Romano Experience“ unter anderem per Virtual Reality die ursprüngliche Wirkung des Giganten-Saales erlebbar gemacht werden. Dem Renaissance-Chronisten Giorgio Vasari zufolge war im Schein eines mächtigen Kaminfeuers den Fall der Giganten als Bewegungsillusion zu erleben. Den Kamin gibt es nicht mehr, offenes Feuer wäre noch weniger möglich – dann also die virtuelle Realität. Sie wird ergänzt durch die sinnliche Wahrnehmung der verwendeten Materialien durch Anfassen, das Hören und sogar das Aufnehmen der Gerüche der Werkstatt Giulios, wie die Kommune ankündigte. Auf Dauer eingerichtet werden Multimediastationen am Eingang eines jeden der freskierten Säle, die dem heutigen Publikum ohne Erläuterung kaum mehr verständlich sein dürften. Allein der Saal der Pferdefresken erschließt sich unmittelbar: In der Nachbarschaft des Palazzo Te waren die herzoglichen Stallungen, deren Pferde weithin allerbesten Ruf genossen.
Und auch im Palazzo Ducale gibt es eine deutliche Verbesserung: So ist im Zuge der Giulio-Romano-Festlichkeiten die Renovierung der atemberaubenden „Galleria della Mostra“ nach Jahren endlich abgeschlossen worden, der mit 64 Metern Länge größten derartigen Galerie einer ita­lienischen Residenz, in der der Fürst seine begierig gesammelten Antiken auszustellen pflegte. So vieles auch aus dem einst überreichen Besitz des 1708 ausgestorbenen Hauses Gonzaga verloren gegangen ist – hier sind noch in allen Nischen römische Portraitbüsten zu sehen, an deren Noblesse sich die Renaissanceherrscher maßen.
Diente der Herzogspalast der Repräsentation, so der Palazzo Te wortwörtlich der Lust: Giulio Romano war für seine erotischen, um nicht zu sagen pornografischen Zeichnungen berühmt, die er in großer Zahl anfertigte und die Federico II. mit Freuden sammelte. Doch allzu bald machten die Doktrinen des gegenreformatorischen Konzils von Trient dem lüstern-lustvollen Spiel der höfischen Libertins ein Ende. Giulio Romanos Epoche blieb eher eine Episode – aber von welcher Kraft, ist jetzt und künftig noch stärker in Mantua zu erleben.

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