Bauwelt

Bleibt denn nichts Gutes am Reisen?

Text: Landes, Josepha, Berlin

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    Aus der Briefmarkenserie „Fremdenverkehr“ der Deutschen Bundespost: Hamburg, 1973, und ...
    Abb.: Deutsche Bundespost

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    Aus der Briefmarkenserie „Fremdenverkehr“ der Deutschen Bundespost: Hamburg, 1973, und ...

    Abb.: Deutsche Bundespost

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    ... Helgoland, 1972
    Abb.: Deutsche Bundespost

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    ... Helgoland, 1972

    Abb.: Deutsche Bundespost

Bleibt denn nichts Gutes am Reisen?

Text: Landes, Josepha, Berlin

Die Deutsche Bundespost legte Anfang der siebziger Jahre eine Briefmarkenserie zum „Fremdenverkehr“ auf. Die Marken bilden im grafischen Geist jener Zeit westdeutsche Städte und Landschaften ab, die damit ihre Schönheit anpreisen. Der Begriff Fremdenverkehr ist aus der Mode gekommen und das englische „Tourismus“ an seine Stelle getreten. Die sprachliche Umorientierung trifft den Nerv unserer Zeit und das Thema, mit dem sich diese Stadtbauwelt beschäftigt. Tourismus ist heute ein globales Phänomen und ­– so entsteht zunehmend der Eindruck – ein globales Problem. Wo Fremdenverkehr, wie auf den Marken beworben, schon im Wortsinn eine Distanz zwischen dem Eigenen und dem Fremden suggeriert, geht Tourismus heute mit einem gesteigerten Erlebniswunsch einher und führt letztlich oft dazu, dass der zu Tausenden bereiste Ort den Einhei­mischen fremder ist als den Durchziehenden.

Weg zum Sehnsuchtsort

Etwa in der Erscheinungszeit der besagten Briefmarken begann mit dem Massentourismus die Vermarktung des Urlaubs. Der Exklusivität von Reisen, deren meist gesellschaftlich gutgestellte Akteure bis dato genießerisch traumhafte Andersartigkeit und Spezialitäten genossen hatten, wurde nun nachgeeifert. Gleichzeitig wurde diese Authentizität immer unerreichbarer. Reisen wurde schneller: Die Zeit des Urlaubers ist meist knapper als die des Reisenden. Die Anzahl derer, die diese Kurzfristigkeit in Anspruch nehmen, steigt. Nur die Ressourcen der Ziele mehren sich nicht: Der Raum, den die vom Tourismus einverleibten Städte zur Verfügung haben, weitet sich nicht. Die Zehen der Statuen nehmen nach mil­lionenfachem Anrühren keine neue Patina an.
Die Welle des Tourismus grast paradoxerweise eben jene Eigenarten ab,die zu finden vorgeblich die Motivation der Verreisenden ist. Tourismus ist ein exzellentes Beispiel, an dem sich die widersprüchlichen Sehnsüchte unserer Gesellschaft offenbaren.
Heute sind die Hochmomente des Massentourismus vorüber. Wir leben in einer „Post-Ära“, die jedoch kaum bessere Alternativen bereithält. An die Stelle von Bettenburgen treten Kreuzfahrtschiffe oder pseudo-reale Stadtaufenthalte, dank Airbnb oder Couchsurfing, die das Problem der Homogenisierung der Welt und einen verkappten Autismus lediglich verschleiern.
Mit geschärftem Blick für das Thema ist es kaum möglich, eine Zeitung oder Zeitschrift zur Hand zu nehmen, die nicht gespickt wäre mit exklusiven Urlaubsangeboten, Reiseberichten, kritischen Betrachtungen oder Aktualitäten: Kreuzfahrt mit dem Bischof, Ich-und-ein-Tier-Selfie-Verbot auf den Galapagos-Inseln oder Kollision auf dem Canale della Giu­decca.

Lebenswert der Stadt

Ist der Tourismus ein Hypnotiseur? Bleibt denn nichts Gutes am Reisen? Vor lauter Umweltbewusstsein und Achtsamkeit verschwindet unter aufziehendem schlechten Gewissen aus dem Blickfeld, was der Wert und der Kern des Reisens ist: der Austausch von Kultur, die Abwechslung vom Alltag, Selbsterkenntnis; das, was als authentische Erfahrung das Ziel des Sich-auf-den-Weg-Machens ist.
Tourismus ist ein effektives Mittel für Städte und Regionen, aus ihrer Geschichte, Umgebung oder dem Brauchtum mit scheinbar geringem Aufwand große Gewinne zu schlagen. Doch wohin führt dies auf lange Sicht? Zahlreiche Beispiele beweisen, dass der Hypnotiseur in der Trance schnell die Zügel an sich reißen kann, so geschehen in Barcelona. Andernorts wiederum setzen die Stadtoberen auf den Reisemarkt als eine Kraft, Wirtschaft und Lebensqualität zu beflügeln. Dafür bieten sich Titel wie der einer Kulturhauptstadt an, den in diesem Jahr das süditalienische Matera und das zentralbulgarische Plovdiv tragen. Ist es möglich, dass die Städte der „Post-Ära“ ihre eigene Bedeutung finden?

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