Bauwelt

Simulanten

An der TU München werden Simulations­modelle für die Stadtplanung entwickelt. Bei einem Workshop im Juli präsentierten die Forscher, woran sie gerade arbeiten

Text: Stumberger, Rudolf, München

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    Richtig nachverdichten mit der Urban-Strategy-Playground-Software
    Foto: © TUM Lehrstuhl für Architekturinformatik

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    Foto: © TUM Lehrstuhl für Architekturinformatik

Simulanten

An der TU München werden Simulations­modelle für die Stadtplanung entwickelt. Bei einem Workshop im Juli präsentierten die Forscher, woran sie gerade arbeiten

Text: Stumberger, Rudolf, München

Wie lässt sich in einer Stadt wie München durch Nachverdichtung die Nachfrage nach Wohnungen befriedigen? Wie kann man das Einsparpotenzial an Heizungsenergie in einem ganzen Stadtviertel berechnen? Wie lassen sich Hochwasserschäden in Häusern vermeiden oder zumindest verringern? Fragen wie diese werden an der Technischen Universität München mit Hilfe von Modellsimulationen untersucht. Am dort angesiedelten Leonhard Obermeyer Center arbeiten 60 Forscher aus verschiedenen Disziplinen zusammen, um digitale Methoden und Instrumente für Architektur, Stadtplanung und Bauingenieurwesen zu entwickeln.
Einen Blick in die Zukunft der Stadtplanung erlaubt zum Beispiel eine neue Softwareentwicklung am Lehrstuhl für Architekturinformatik von Frank Petzold. Hintergrund und Problemstellung ist die wachsende Zuwanderung in die Metropolregionen in Deutschland, die attraktive Angebote an Arbeitsplätzen, Bildungs- und Kultureinrichtungen bieten. Zunehmend problematische Auswirkungen auf die örtlichen Wohnungsmärkte sind die Folge.
Nachverdichten, aber richtig
Hier setzt das digitale Instrument „Urban Strategy Playground“ (USP) an. „Um der Herausforderung nach mehr Wohnraum zu begegnen und unkontrolliertes Wachstum zu vermeiden, bedarf es fundierter Methoden und Strategien, um die vorhandenen Möglichkeiten der bestehenden Bausubstanz zu analysieren und daraus Strategien für eine Nachverdichtung abzuleiten“, so der Ansatz. Die Forscher entwickeln digitale Werkzeuge, die es dem Planer ermöglichen, Nachverdichtungsstrategien und deren Varianten zu überprüfen und zu vergleichen. So kann die Softeware ein dreidimensionales Modell etwa eines Häuserblocks in München-Schwabing darstellen. Verändert man einige Parameter wie Abstandsvorgaben, Geschosszahlen oder die Bebauung der Innenhöfe, so generiert das Programm die Anzahl der zusätzlichen möglichen Wohneinheiten.
Die Werkzeuge überwachen die wichtigsten Bauvorschriften und machen ihre Auswirkungen auf die Baustruktur sichtbar; so können sie als Argumentationsgrundlage im Entscheidungsprozess von Planern und Politikern dienen. Da das Simulationsmodell am Bildschirm die Folgen, die bestimmte Baumaßnahmen mit sich bringen, direkt visualisiert, ermöglicht es auch Bürgern und Behörden, sich einen schnellen Überblick über die Qualitäten verschiedener Nachverdichtungsszenarien zu verschaffen. Was sonst nur für den geübten Blick zweidimensional auf Plänen zu erfassen ist, wird auf diese Weise auch für den Laien verständlich.
60 Millionen Gebäude, 60 Millionen digitale Datensätze
Um ein digitales, dreidimensionales Simulationsmodell geht es auch bei dem Forschungsprojekt von Thomas Kolbe. Er beschäftigt sich mit der digitalen Datengrundlage für die Stadt der Zukunft. Hintergrund ist die Erfahrung, dass eine integrierte Stadtplanung sich als sehr schwierig erweisen kann – einfach weil daran Experten aus verschiedenen Fachgebieten wie der Ökonomie, der Ökologie, der Soziologie oder Energienutzung beteiligt sind. Die Informationen aus all diesen Gebieten liegen zwar vor, aber getrennt. Sie müssen erst zusammengeführt werden – idealerweise in einem dreidimensionalen Stadtmodell. „Dabei wird die Stadt“, erläutert Kolbe, „in sinnvolle Objekte aufgegliedert.“ Also in Gebäu-de, Grünflächen, Straßen oder Versorgungsnetze. Die Daten für ein derartiges Simulationsmodell stammen von den Vermessungsämtern der Länder, wo für jedes der 60 Millionen Gebäude hierzulande ein Datensatz existiert. In diesen Datensätzen sind Informationen wie Hausnummer, Denkmalschutz, Geschosszahl, Dachform oder Dachfläche eingetragen. Mittlerweile gibt es für alle deutschen Städte ein 3D-Modell.
Diese Modelle sind die Grundlage für Anwendungen der strategischen Stadtplanung, zum Beispiel, wenn man sie mit Daten zur Energieversorgung anreichert. Für Berlin hat man das getan, und auf der Grundlage von Bau- und Energienormen, empirischen Daten bei Wohnungsheizung und Wohnungslüftung, Gebäudeklassifizierungen nach Alter und Wärmedämmung lassen sich nun für jedes Gebäude der Bundeshauptstadt die energetischen Kennziffern abrufen. Und mit einigen Mausklicks berechnet das Simulationsmodell auch den Bedarf an Wärmedämmung in einem Stadtviertel – und sogar, was das kostet. Einsparpotenzialanalysen sind eine Möglichkeit, eine andere besteht etwa in der Analyse von Standorten für Solarzellen: Welche Dächer sind dafür überhaupt geeignet, und wie sieht es mit der Verschattung aus? Derartige 3D-Modelle taugen aber auch für sogenannte Vulnerabilitätsanalysen: Damit werden die Auswirkungen von Detonationen simuliert und untersucht, zum Beispiel bei der Sprengung einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg in München-Schwabing.
Das Wasser bis zum Hals?
Ebenfalls um Stadt und Simulationsmodelle, aber in ganz anderer Hinsicht, geht es bei dem Forschungsprojekt von Ralf-Peter Mundani. Er erforscht quasi digitale Stürme: Er beschäftigt sich mit Hochwassersimulationen im Stadtraum. Welchen Weg nehmen die Wassermassen in München im Falle einer Überflutung durch Dauerregen? Wie wirkt sich die Überschwemmung auf ganze Stadtviertel aus? Und mehr noch: Wie lassen sich die Schäden an einzelnen Bauwerken durch den Einsatz digitaler Bauwerksmodelle vorhersagen? Auch hier dient die Simulation einzelner Bauten aufgrund vorhandener Daten als Grundlage für Schadensprognosen. Am PC zu Hause geht so etwas nicht: Derartige Simulationen brauchen eine riesige Rechnerkapazi-
tät, wie sie etwa der Supercomputer MUC in Garching liefert.
Weitere Forschungsthemen der TU im Bereich der Simulation sind: die Entwicklung eines Interfaces für interaktive Stadtplanung; die Erfassung der Stadt mit unterschiedlichen Sensoren, darunter ein Multicopter zur Kontrolle von Bau- oder Sanierungsmaßnahmen; digitale Planungsmethoden für die unsichtbaren Bereiche der Stadt wie etwa die U-Bahn oder die computergestützte Vorhersage menschlichen Verhaltens bei Großereignissen wie Musikveranstaltungen. Was heute erforscht wird, erreicht in etwa zehn Jahren die kommerzielle Anwendung. Das Denken wird die Software den Planern aber nicht abnehmen. Bei allen digitalen Anwendungen und Simulationen gilt, so Frank Petzold: „Die Intelligenz sollte vor dem Bildschirm sitzen.“

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