Bauwelt

Baubürger-Meisterschaft

In Stuttgart wird die Stelle des Baubürgermeisters vakant – ein Posten, der nicht im parteipolitischen Proporz verschachert, sondern fachlich exzellent besetzt werden sollte. Bewerben Sie sich!

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

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    Eine Aufgabe für einen neuen Baubürgermeister: die großflächigen Abrisse stoppen, die in Stuttgart investorengerechte Grundstücke schaffen sollen. Links das Ende des Innenministeriums am Karlsplatz (1956–2014)
    Foto: Wilfried Dechau

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    Eine Aufgabe für einen neuen Baubürgermeister: die großflächigen Abrisse stoppen, die in Stuttgart investorengerechte Grundstücke schaffen sollen. Links das Ende des Innenministeriums am Karlsplatz (1956–2014)

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Baubürger-Meisterschaft

In Stuttgart wird die Stelle des Baubürgermeisters vakant – ein Posten, der nicht im parteipolitischen Proporz verschachert, sondern fachlich exzellent besetzt werden sollte. Bewerben Sie sich!

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

Einfluss und Bedeutung von Baubürgermeistern, Stadtbaudirektoren, Baudezernenten – wie immer sie in den verschiedenen Städten heißen – sind stadtbauhistorisch unbestritten. Ernst May, Hans-Erhard Haverkamp oder Martin Wentz in Frankfurt, Hanns Adrian in Hannover und viele andere: Sie prägten „ihre“ Städte. Gerade die Landeshauptstädte setzen heute Maßstäbe. Hamburgs Baudirektor Jörn Walter konnte Erfahrung aus Düsseldorf und Dresden mitbringen, Christiane Thalgott und Elisabeth Merk leiteten bzw. leiten erfahrungsreich die Geschicke in München. Die Stadtentwicklungsstrategien beider Städte werden weit über die Landesgrenzen hinaus anerkannt und debattiert.
Die Bedeutung des Baubürgermeisteramtes steigt, weil Stadtthemen seit vielen Jahren die Architekturdiskurse weltweit dominieren. Ob ein Haus so oder so aussieht, wird unwichtig, wenn es darum geht, sich von den Ideologien der autogerechten Stadt zu verabschieden oder von ökonomisch gesteuerter Gentrifizierung zu distanzieren. Allgemeingültige Antworten gibt es nicht, vielmehr müssen in föderalistischen, überschaubaren Strukturen neue Konzepte entwickelt werden.
Welche Ideen in diesem Aufgabengebiet von Baubürgermeistern Früchte tragen, konnte man in Tübingen mit Andreas Feldtkeller sehen, aber auch in Ulm, wo Alexander Wetzig wirkte. Dort suchte man dieser Tage in einem transparenten und ambitionierten Verfahren den/die Nachfolger/in – mit klarem Qualifikationsprofil. Dank einer Findungskommission lud man sechs Kandidaten zum Gespräch ein, die drei Kandidaten der Endrunde standen der Kammergruppe in einer öffentlichen Veranstaltung Rede und Antwort. So gehört sich das. Tim von Winning, bislang in Tübingen tätig, kümmert sich künftig um Ulm.
Doch welch armseliges Geschacher erlebt die Baden-Württembergische Landshauptstadt Stuttgart! Die Position des Baubürgermeisters wurde in den letzten Jahren aus Parteiproporzgründen entschieden. 1996 wurde derart der Jurist Matthias Hahn (SPD) vom Gemeinderat gewählt. Hahns aufrechtes Bemühen, die Last des Amtes zu stemmen, ist unbestritten (Bauwelt 36.2014). Kaum gab er nun im Februar bekannt, im August aus dem Amt zu scheiden, wetzte man im Gemeinderat die Messer: Der Grüne Peter Pätzold will den Posten, seine Parteikollegin Gabriele Munk wollte ihn aber auch. Das Geschacher schadete dem Amtsansehen (Bauwelt 10).
Eine Stadt wie Stuttgart – pars pro toto – braucht eine Persönlichkeit, die sich nicht im Klein-Klein eines Gemeinderats oder einer Fraktion verhaspelt; die unabhängig von alten Seilschaften Konzepte entwickelt und für diese Position zwischen Fachkompetenz, Partei-, Wirtschafts- und allen voran Bürgerinteressen und Verwaltungsstrukturen reiche Erfahrung gesammelt hat.
Das von Planungsproblemen gebeutelte Stuttgart – Bahnprojekt 21, eine heruntergekommene Stadtautobahn als „Kulturmeile“, katastrophale Feinstaubbelastungen, beschämende Wohnungssituation und mediokre Investorenarchitektur en masse, nicht zuletzt die lausige Situation, dass die Liegenschaftsverwaltung ausgerechnet beim Finanzbürgermeister ein abenteuerliches Eigenleben führt – all das bedarf einer klugen, weitsichtigen Persönlichkeit im Amt des Beigeordneten für die Stadtentwicklung.
Hier offenbart sich eine dramatische Schwäche kommunaler Verwaltungen allgemein. Elisabeth Merk ist in München beispielsweise für den Wohnungsbau zuständig. Anders in Stuttgart: Sowohl die Liegenschaften, als auch der Wohnungsbau gehören zum Tätigkeitsbereich des Finanzbeigeordneten. Im geförderten Wohnungsbau leuchtet Stuttgart bei den Schlusslichtern. Zufall?
Öffentlicher Druck trug dazu bei, dass die Ausschreibung des Baubürgermeisteramts von Oberbürgermeister Fritz Kuhn per Pressemeldung in die Republik posaunt wurde. Doch wer bewirbt sich nun? Die Stuttgarter Zeitung schrieb Ende Februar dazu: „In den vergangenen Tagen ist man allerdings davon ausgegangen, dass Pätzolds Wahl im Gemeinderat bereits mit der parteiinternen Nominierung gesichert sei und sich selbst namhafte Konkurrenten gar nicht erst zu bewerben bräuchten.“ CDU-Fraktionschef Alexander Kotz meinte, man benötige einen Referatsleiter, der interne Abläufe, etwa bei Baugenehmigungen, optimiere. „Städtebauliche Visionen erwarte ich eher vom OB.“ Nun ist Fritz Kuhn genausowenig wie seine Vorgänger Wolfgang Schuster oder Manfred Rommel durch Fachkenntnis in Stadtplanung oder Architektur aufgefallen – was ihm nicht vorzuwerfen ist. Dafür hat er: einen Beigeordneten. Apropos Fachkenntnis. In Stuttgart hat sich die Architektenkammer öffentlich nicht geäußert, und auch aus den ortsansässigen Hochschulen kam kein Impuls, um die Bedeutung des Amtes in überregionalen Vergleichen zu reflektieren und diskutieren. Diese In­stitutionen schwiegen skandalös.
Bewerber(innen) haben unvergleichliche Chancen in Stuttgart, wo grandiose Aufgaben an­stehen. Stadt und Land geht es wirtschaftlich gut. Alles geht. So darf man Stuttgart wünschen, dass sich viele fähige Kandidat(inn)en für die Baubürgermeisterschaft bewerben – die Stadt braucht sie dringend. Und Stuttgart muss eine Lehre dafür sein, dass dieses Amt grundsätzlich der Stadtbaukultur und nicht dem Parteienproporz verpflichtet ist.

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