Bauwelt

Trainingszentrum


Der bewohnte Weinberg


Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin


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Internationale Rudererteams sollen sich im Norden Portugals auf die Olympischen Spiele vorbereiten. Álvaro Fernandes Andrade hat zu diesem Zweck ein Trainingszentrum in die Landschaft eingebettet, das den Hang so terras­siert wie die Weinbauern es seit jeher tun. Nur wenige weiße Baukörper krönen die eingegrabene Wohnanlage.
Gleich zwei Stätten des Weltkulturerbes befinden sich in dem kleinen Kreis Vila de Foz Côa im Norden Portugals. 2001 wurde das Tal des Flusses Douro unter Schutz gestellt, an dessen Hängen seit etwa zwei Jahrtausenden Reben für den weltberühmten Portwein angebaut werden; 1998 war bereits das Tal des Côa mit seinen prähistorische Felszeichnungen aus dem Paläolithikum in die Liste aufgenommen worden. Ihnen ist seit 2010 ein archäologisches Museum in Vila de Foz gewidmet, für das Camilo Rebelo und Tiago Pimentel 2013 den Bauwelt-Preis „Das Erste Haus“ erhielten (Heft 1–2.13), und des­­sen Formensprache, Materialwahl und Einbettung in die Land­schaft auf den Lehrer Eduardo Souto de Moura verweisen. Nun ist unweit, in dem acht Kilometer entfernten Örtchen Pocinho, ein weiteres Werk errichtet worden, das der Architekturschule von Porto entspringt: ein Hochleistungs-Ruderzentrum, der erste große Neubau des Architekten Álvaro Fernandes Andrade aus Porto.
In Pocinho endet die Bahnlinie, die von Porto aus ostwärts am Douro entlang verläuft. Die dreistündige Fahrt führt mitten durch die Weinanbaugebiete. Das Flusstal bilden steile Hänge aus Schiefergestein, die für den Anbau von Wein und von Oliven- und Mandelbäumen moduliert und kultiviert worden sind. Man kann die unterschiedlichen Techniken des Terrassenbaus erkennen: die älteren in unregelmäßigen, engen Stufen, oft nur für eine oder zwei Reihen Rebenstöcke, die neueren breiter und eher parallel zueinander verlaufend. Dazwischen liegen verstreut „Quintas“, kleine Gruppen von Farm- und Wohnhäusern unterschiedlicher Größe und Gestalt.
Auf den ersten Blick wirkt die Anlage mit ihren 8000 Quadratmetern Nutzfläche zu groß für das kleine Städtchen. Nähert man sich, bestätigt sich der Eindruck aber keineswegs. Der Architekt übernimmt die Topografie und moduliert wie beim Weinanbau das abfallende Gelände mit gebauten Strukturen. Zwei gefaltete weiße Gebäude markieren die obere und die untere Kante des Areals, der Höhenunterschied beträgt etwa zwanzig Meter. An der Westseite und den Nachbarhäusern zugewandt fasst ein ebenfalls weißer Erschließungsgang die beiden Gebäude zusammen und verbindet alle Bereiche miteinander. Dreiseitig geschützt und von den weißen Bauten umschlossen liegt der Wohnbereich für die Sportler. Terrassenförmig in vier Stufen stehen hier 84 Zimmer für bis zu 130 Gäste zur Verfügung, die jeweils zu einem Drittel ihrer Höhe in den Hang eingegraben sind. Von außen mit dem lokalen Schiefer verkleidet, scheint dieser Bereich eher Landschaft zu sein als Gebäude. Im Gegensatz dazu sprechen die mehr öffentlichen Bereiche eine expressive Sprache: Der Zugang in das Ruderzen­trum erfolgt über den oberen Bauteil, in dem Empfang, Restaurant, Bibliothek, Vortragsraum und Verwaltung untergebracht sind, im unteren befindet sich der Sport- und Trainingsbereich – allesamt komplexe geometrische Stahlkonstruktionen, verkleidet mit weiß beschichtetem Stahlblech. Der Wohnbereich dagegen ist ganz aus Beton gefertigt. Wände und Decken der Zimmer und Flure sind aus Sichtbeton, selbst die Türen sind mit einer dünnen Betonplatte beschichtet. Belichtet werden die Wohnräume über nach Norden orientierte Oberlichter und zimmerbreite schmale Deckenverglasungen als Anschluss von Wand zu Decke. Diese erlauben direkten Sonneneinfall auf die 30 Zentimeter dicken Betonwände, die die Wärme speichern; sie können aber auch mittels außenliegendem Sonnenschutz geschlossen werden. Durch eine (noch zu pflanzende) Dach­begrünung soll zusätzliche Wärmedämmung erreicht und das Bild der Weinterrassen vervollständigt werden. Wie diese verlaufen auch die Ebenen der Wohnräume nicht gerade, sind die Reihen der Zimmer nicht parallel angeordnet. Sie haben Knicke, sodass unregelmäßig Räume entstehen für Teeküchen, Gemeinschaftsflächen, Wäscherei und Technik. Die komplexe Grundrissgeometrie setzt sich in den anderen Bereichen fort, auch dort folgt sie dem Prinzip von direkter Sonneneinstrahlung im Winter und Verschattung im Sommer und inszeniert Sichtbeziehungen. Vom großzügigen Restaurant aus, das am höchsten Punkt der Anlage auch deren markantesten Teil bildet, hat man einen weiten Blick in die Umgebung und auf den Stausee.
Wer wird die Anlage wohl betreiben?
Auf dem Stausee, knapp einen Kilometer entfernt, wird gerudert. In früheren Wintern hatten dort bereits russische und kanadische Ruderteams trainiert, wenn die heimatlichen Seen gefroren waren. Sie hatten in den Häusern gewohnt, die für die Arbeiter des nahegelegenen Staudamms gebaut worden waren. Als diese saniert werden sollten, erhielt Andrade den Auftrag dafür. Während der Arbeiten daran wurde jedoch entschieden, ein neues Zentrum zu bauen und im Jahr 2008 Andrade mit dem Neubau beauftragt. Eigentlich sollten bereits im Winter 2011/2012 die ersten Teams in Pocinho ihr Vorbereitungstrainung für die Olympischen Spiele absolvieren, aber bis heute sieht man nur Bauarbeiter in der Anlage. Das Trainingsbecken in der Sporthalle ist noch im Rohbauzustand, und auch die Steganlage und die Bootshäuser am See sind noch nicht fertig. Es fehlt wohl an Geld, obwohl die geringen Baukosten von sieben Millionen Euro nicht überschritten wurden. Wer die Anlage überhaupt betreiben wird, ist auch noch nicht ganz geklärt. Das Konstrukt ist kompliziert: Bauherr ist die Gemeinde, aber auch das Elektrizitätswerk, das den Staudamm betreibt, ist als Grundstückseigentümer beteiligt sowie das Land und der nationale Ruderverband. Andrade, beauftragt bis zur Ausführungsplanung und nur zum Teil bezahlt, bedauert nun aus der Ferne, dass diejenigen, für die der Architekt eigentlich arbeitet, die Nutzer, noch fehlen.
Eine Re-Interpretation der Landschaft
Álvaro Fernandes Andrade bezieht sich auf die Tradition der Architekturschule von Porto und besonders auf die von Fernando Távora und Álvaro Siza geprägte Haltung, der zufolge Orte unterschiedliche Bedeutungsebenen haben und Architektur eine kultureller Angelegenheit ist. Mit dem Ruderzentrum als Re-Interpretation der Douro-Landschaft hat Andrade eine weitere Spielart dieser Schule geschaffen. Er selbst lehrt auch in Porto. Sein Büro hat er nach diesem Neubau aufgegeben, um sich vorerst wieder ganz der akademischen Laufbahn zu widmen.



Fakten
Architekten Fernandes Andrade, Álvaro, Porto; spacialAR-TE, Porto
Adresse Mercado Municipal Vila Nova De Foz Côa, Guarda 5150, Portugal


aus Bauwelt 10.2014
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