Bauwelt

Kaufhalle und Gewerbebau


Künstler in der Stadt


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Werner Huthmacher

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Zwei untypische Investoren lassen sich von Augustin und Frank Architekten zwei aus der Zeit gefallene Gebäude umbauen. Reine Privatsache? Ja, weil jeweils individuelle Räume enstanden sind. Nein, weil damit die Brüche in der Stadt weiterhin ablesbar bleiben. 
Friedrichshain und Oberschöneweide – lange Zeit keine ersten Adressen in Berlin. Zwei unterschiedliche Bauherren, die nicht aufs Land ziehen, sondern zwei blinde Flecken in der Stadt gefunden haben. Architekten, die Potenziale der Substanz erkennen und herausarbeiten.
1. Die Kaufhalle
So stand es 2003 im Auktionskatalog: „Vermietete Gaststätte und Ladengeschäft auf Eckgrundstück in einem Wohngebiet/Kiez, in L-Form errichtet mit Klinkerfassade und Vordach. Baujahr ca. 1958, Grundstücksgröße ca. 1032 m2. Nutzfläche insgesamt ca. 288 m2, davon ca. 92 m2 Ladenverkaufsfläche und ca. 43 m2 Gaststätte vermietet bis 06/2005, Option auf weitere 15 Jahre. Büro/Lager mit ca. 153 m2 werden vertragslos mitgenutzt. Gemietete Gas-Zentralheizung, einfachste Sanitärausstattung. Insgesamt sanierungsbedürftiger Zustand (DDR-Standard). Mindestgebot: € 115.000“
Das Grundstück im Berliner Stadtteil Friedrichshain, im Hinterland der Frankfurter Allee gelegen, stand vor zehn Jahren nicht im Fokus der Projektentwickler. Durch die Brille der gegenwärtigen Immobilienwirtschaft betrachtet, war es ein Schnäppchen. Der Flachbau selbst war in jener kapitalismuskritischen Ära entstanden, als die unzähligen Trümmerziegel in den Prachtbauten der Stalinallee vermauert wurden. Das Eckgrundstück hatte seine vorherige Bebauung im Krieg verloren und war in Staatsbesitz gekommen. Den abgewinkelten Verkaufspavillon platzierten die Planer des Kollektivs Henselmann an den nördlichen Grundstücksrand. Er schirmt das Erdgeschoss des benachbarten Mietshausblocks ab und öffnet sich zu einer kleinen Grünfläche, eine einladende Geste, die Fußgängern eine Abkürzung entlang der Schaufensterfront ermöglichte. Mit dem Systemwechsel 1990 ging die Existenzgrundlage des Gebäudes verloren, Mieter folgte auf Mieter, und erst als auch das Geschäft „Bernies“ und die Kneipe „Kiek ma rin“ nicht mehr gut liefen, beauftragte die TLG Immobilien ein Auktionshaus damit, den Staatsbesitz wieder ins Private zu überführen.
Von diesem Zeitpunkt an hätte alles banal werden können. Doch die neue Eigentümerin, eine international tätige Künstlerin, war nicht auf maximale Ausnutzung des Grundstücks aus, sondern wollte die Kaufhalle zunächst um einen Atelierflügel erweitern lassen. Kurzfristig ergab sich jedoch die Gelegenheit, an anderer Stelle in der Stadt etwas Neues zu bauen. So kam es, dass die Immobilie in Friedrichshain statt zu einem Atelier- und Wohngebäude schließlich in zwei geräumige Wohnungen mit großem Garten umgebaut wurde.
Unter Beobachtung
Das Büro von Georg Augustin und Ute Frank hatte bereits die erste Umbauplanung genehmigungsreif durchgeplant, war also mit den Spezialitäten des Hauses längst vertraut. Vor al-lem zwei Herausforderungen stellten sich: Wie lässt sich die Substanz nutzen? Wie geht man mit der üppigen Grünfläche um? Betrachtet man die Stirnseiten, scheint sich am Äußeren des Gebäudes kaum etwas verändert zu haben. Die Spuren aus der Phase der Verwahrlosung blieben erhalten; anonyme Farbartikulationen und die Plakatklebereien auf der robusten Verklinkerung bilden eine urbane Collage, die sich auch weiterhin frei entwickeln soll. Eine Form der Tarnung? Nachdem der Atelieranbau obsolet geworden war, rückte der Garten, der ein innerstädtisches Luxusgut darstellt, in den Fokus. Wie schirmt man so etwas ab, ohne sich selbst einzukerkern? Die Architekten entschieden sich für einen recht groben Zaun aus Holzbohlen, wie sie oft auch zur Baustellenabsicherung verwendet werden. Indem sie diese Bohlen wie Lamellen ei-nes Brise Soleil fixieren, erhält die Begrenzung in etwa die Stärke einer Mauer. Durch die horizontalen Schlitze können Passanten einen gerichteten Blick werfen. Wer von außen hindurch schaut, kann sich kaum vorstellen, dass die Bewohner drinnen ein Privatleben führen können. Wer aber von innen zur Straße hinaus sieht, fühlt sich seltsam unbeobachtet und nimmt die Bewegungen draußen wie durch einen Filter wahr. Das Verhältnis von Öffnung und Abschirmung hat eine fein austarierte Balance gefunden, und das mit relativ primitiven Mitteln. Ein Indiz: keine Plakate und keine Street Art auf der anthrazitfarben gestrichenen Einfriedung. 
Im Inneren folgt die Struktur der früheren Nutzung. Anstelle des Lager- und Bürotrakts entlang der Nordostseite sind hier Schlaf- und Sanitärräume ein-, oder besser vielleicht: untergestellt worden. Die einst spärlichen Wandöffnungen wurden zu einer regelmäßigen Fensterreihe aufgeweitet, und durch die Innendämmung hat sich die Laibungstiefe so verändert, dass sich trutzige Nischen ausgebildet haben. Die weiträumigen Verkaufsflächen dienen nun als Wohn- und Küchenbereich. Auch im Inneren ließ man den Bestand wirken: Die Stahlbetonbalken und die markante, jahrzehntelang un-ter einer abgehängten Verkleidung verborgene Stahlsteindecke wurden freigelegt. Da das Dach bereits in den neunziger Jahren von außen gedämmt wurde, musste sie nicht angefasst werden. Oberhalb dieses Daches befindet sich das, was man durchaus als Geschenk für die Nachbarn verstehen kann: Luft, Raum, Luftraum. Die städtebauliche Idee aus der Zeit des Wiederaufbaus blieb erhalten.
2. Der Gewerbebau
Der Berliner Stadtteil Oberschöneweide befindet sich seit einigen Jahren in einem Transformationsprozess. Es gab Versuche, an die traditionsreiche Industriegeschichte – hier nahm die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) ihren Anfang – anzuknüpfen; das Unternehmen Samsung zog allerdings schon 2005 wieder ab. Trotz der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), die ihren Campus Wilhelminenhof hier hat, ist der Ort als Bildungsstandort nicht allzu präsent. Bliebe die Kunst als vitalisierende Branche. Hin und wieder geistern Namen prominenter Künstler durch die Medien, die angeblich beabsichtigen, sich in einer der aufgelassenen Industriehallen niederzulassen. Dass es mit Oberschöneweide irgendwann voran gehen wird, ist schon wegen der gün­stigen Lage zwischen Flughafen und City absehbar.
In einer ruhigen Nebenstraße steht das unscheinbare zweigeschossige Gebäude, das sich ein Berliner Künstler von Augustin und Frank zum Atelier- und Wohnhaus umbauen ließ. Die Provenienz des Hauses ist unklar, die Architekten vermuten, dass es um 1910 gebaut wurde, darauf deuteten etwa die Holzkastenfenster und die Wand- und Deckenkon­struktion hin. Laut den Recherchen des Tragwerksplaners
geht aus der Bauakte hervor, dass das Gebäude in der Folgezeit vielseitig genutzt wurde: Autowerkstatt, Markthalle, Lager, Wohnung. 1971/72 ist der Umbau für einen neuen Nutzer, das Amt für Wasserstraßennutzung, verzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt wurde die schadhafte Dachkonstruktion ersetzt. Dazu wurde ein Ringanker auf die Mauerkrone betoniert und eine Brettbinder-Konstruktion aufgesetzt. Die Fachwerkbinder aus der „Typenbinderliste 1963“ überspannen die gesamte Gebäudetiefe. Ein Rätsel bleibt, warum gerade dieses Bauelement Verwendung fand, das in der DDR vorwiegend für Lagerhallen und für landwirtschaftliche Gebäude genutzt wurde. Allerdings konnte die Behörde gar nichts mit der Stützenfreiheit anfangen und richtete sich im Obergeschoss wie auch im Erdgeschoss in Zellenbüros mit Mittelflur ein.
Erst nach dem neuerlichen Umbau im vorigen Jahr kommen die Qualitäten dieses Tragsystems zum Einsatz. In der „Scheune“, wie die Architekten das dem Wohnen gewidmete Obergeschoss bezeichnen, sind fast alle Trennwände verschwunden, lediglich für die Schlaf- und Nebenräume blieben einige stehen. Die Knoten der Fachwerkträger mussten aufgrund der etwas erhöhten Last des neu aufgebauten Daches (OSB-Schalung, Dämmung, schwarz beschieferte Dachbahn) teilweise verstärkt werden. Der Rhythmus der weiß gestrichenen Binder prägt den gesamten Wohnraum; das Gewebe der ungezählten Stäbe vermittelt die nötige Luftigkeit nach oben, eine Flachdecke hätte den etwa 250 Quadratmeter großen Raum erdrückt.
Den stärksten Eingriff in die Bausubstanz stellt das überdimensionale Schiebefenster an der südlichen Giebelwand dar – ein Scheunentor, um beim agrarischen Bild zu bleiben. Es besteht aus leichten Mehrkammer-Polycarbonatplatten, de-ren U-Wert (0,85 W/m2K) vorzüglich und deren Preis günstig ist, wenn man sie mit einer 3-fach-Verglasung solcher Größe vergleicht. Das anschließende Nachbargrundstück hat der Bauherr ebenfalls erworben, so dass die Aussicht unverbaut bleibt. Künstler in der Stadt brauchen mitunter viel Platz; sie machen im Zusammenspiel mit den passenden Architekten viel Unsichtbares sichtbar. 



Fakten
Architekten Augustin und Frank Architekten, Berlin
aus Bauwelt 19.2013
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