Bauwelt

Fabrikhalle wird Rathaus



Text: Geipel, Kaye, Berlin


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    Foto: Miguel de Guzmán

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Es gibt kaum einen Gebäudetypus, der sich schlechter zum Rathaus umnutzen ließe als ein Logistikzentrum. Spätestens an der geschlossenen Hülle scheitert die Idee. Carlos Arroyo hat im flämischen Oostkamp eine Fabrik fast vollständig recycelt und in ihr die Rathausnutzung untergebracht. Begonnen hat der Umbau mit riesigen Löchern in der Fassade.
„Ceci n’est pas ... en Administratief Centrum“. Auf der ersten Seite des Wettbewerbs-Portfolios fand sich die Anspielung auf das legendäre Pfeifenbild von Magritte. Unter diesen Slogan hatte der zuständige flämische Reichsbaumeister Marcel Smets 2008 den internationalen Wettbewerb für ein neues Rathaus und Bürgerzentrum in Oostkamp, südlich von Brügge gestellt. Soviel war sofort klar: Kein normaler Rathausentwurf war gefragt, das Programm war schon von den adminstrativen Anforderungen her anspruchsvoll. Die 1977 zusammengelegten Ge­meinden Oostkamp, Hertsberge, Waardamme und Ru­d­dervoorde waren mit ihren Dienststellen weiterhin über die vier Kommunen verteilt und sollten endlich in einem Bau zusammengeführt werden. Bei dem ausgewählten Bauplatz handelte es sich um ein Gewerbeareal, nur wenige Minuten vom Oostkamper Ortszentrum entfernt, durchzogen von einigen Kanälen und gleichermaßen geprägt von historischen Villen wie von Gewerbebauten. Eine architektonische Herausforderung allerdings noch aus einem ganz anderen Grund. Auf dem Gelände befanden sich eine große, zwanzig Jahre alte Logistikhalle, die der Firma Coca-Cola gehört hatte, und einige Zusatzbauten. In der Frage, ob sich Teile dieser Halle mög­li­cherweise erhalten ließen und wie das Industrieareal an die Stadt öffentlich anzubinden sei, lagen die Schwierigkeiten für den Entwurf. Nicht wegen ihrer architektonischen Qualität sollten Teile der Halle erhalten bleiben, vielmehr ließ man sich von der Erkenntnis leiten, dass bei jedem Abriss und Neubau enorme Mengen von „grauer Energie“ verbraucht werden, die sich während der späteren Nutzungszeit trotz aller neuer Energiespartechniken nie mehr amortisieren.

Radikalisierung des Wettbewerbsprogramms
Den Wettbewerb gewann der junge spanische Architekt Carlos Arroyo, indem er diese Programmforderung radikalisierte. Er schlug eine umfassende Wiedernutzung vor, wie sie die Skizzen auf der rechten Seite zeigen: Nicht nur die Konstruktion der Halle, sondern auch die Industrieböden, die Fassade, die Dämmung, die Fundamente, die Heizzentrale, die Abwasserrohre, die alten Eingänge und vieles mehr sollten, wenn irgend möglich, ertüchtigt und in neuer Funktion wieder verwendet werden. Arroyos „radikales Recycling“ hätte im diesjährigen deutschen Pavillon der Biennale in Venedig wohl einen Sonderpreis verdient.

Das Akzeptanz-Problem seines erhaltenden Entwurfskonzepts hatte der Architekt schon im Wettbewerb elegant gelöst. Denn aller Energiespar-Rhethorik zum Trotz: Wenn viel Geld für ein neues Rathaus ausgegeben wird, dann wollen sich weder die Verwaltungbeamten noch die Bewohner mit einer schnöden Halle abfinden, wenn diese nicht ganz besondere Qualitäten aufweist. Arroyo schlug deshalb im westlichen Teil der Halle eine Dachlandschaft aus glasfaserverstärkten Gipskarton-Halbkugeln vor, die eine durchgehende Himmelslandschaft von weißen Wolken in den neun Meter hohen Raum einziehen. Es handelt sich um unterschiedlich beleuchtete – teils auch natürlich belichtete – Lichtkugeln, die den öffentlichen Bereichen des nüchternen Industriebaus ein phantastisches Flair verleihen. Zum anderen hat er in einem aufwendigen Prozess mit allen Beteiligten die Konzeption eines „offenen Hauses“ erarbeitet (siehe Interview rechts).

Die Idee, in eine bestehende alte Halle andere Funktionen einzuziehen und diese nach dem „Zwiebelschalenkonzept“ je nach Bedarf energetisch zu ertüchtigen, ist heute nicht mehr ganz neu. Die Konzeption, dies in einem kontinuierlichen Austausch mit den Beteiligten weiterzuentwickeln, ist allerdings in Oostkamp beispiellos überzeugend gelungen.



Fakten
Architekten Carlos Arroyo, Madrid
Adresse Oostkamp Belgien


aus Bauwelt 43.2012
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