Bauwelt

„Die Niederländer haben das Konzept des dekorierten Schuppens erfunden.“

Interview mit John Körmeling über den Niederländischen Pavillon

Text: Kockelkorn, Anne, Zürich; Meyer, Friederike, Berlin

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„Die Niederländer haben das Konzept des dekorierten Schuppens erfunden.“

Interview mit John Körmeling über den Niederländischen Pavillon

Text: Kockelkorn, Anne, Zürich; Meyer, Friederike, Berlin

Herr Körmeling, was steckt hinter dem Titel Ihres Pavillons „Happy Street“?

Das ist meine Antwort auf das Expo-Motto „Better City, Better Life“. Für mich beginnt urbane Lebensqualität mit einer Straße, die zu allen Tageszeiten funktioniert. Eine solche „gemischte“ Straße habe ich hier in Shanghai in Form einer Achterbahn auf Stelzen gestellt, so dass das Publikum hindurchlaufen kann. Wohnhäuser, Läden, Fabriken, Büros, Bauernhöfe. Funktionsmischung ist die Grundlage für soziales Zusammenleben. Trennt man die Funktionen, werden auch die sozialen Netze zerschnitten.
 
Das klingt wie eine Kritik am modernen Städtebau aus den 1960er Jahren.

Soziale Segregation und Funktionstrennung gibt es heute überall. Selbst in Holland haben wir Gated Communities. Wer den Bürgersteig als Arbeitsplatz oder Atelier benutzt, gilt dort als gefährlich. Der Pavillon soll benutzbar sein. Die Idee der funktionsgemischten Straße gefiel der Wettbewerbsjury. Mein Konzept hat sich sogar gegen den Entwurf von Rem Koolhaas durchgesetzt. Ich habe Gott herausgefordert und gesiegt.
 
Haben Sie hier schon mal übernachtet?

Nein, aber während des Aufbaus haben die Arbeiter hier übernachtet. Einer hat sogar Feuer in einer Kaminattrappe gemacht. Da ist dann alles schwarz geworden.
 
Apropos Funktionsmischung. Von außen erkennt man nur eine Rampe mit Wohnhäusern.

Hier unten ist ein Tulpen-Gewächshaus, da drüben eine Replik der Van-Nelle-Fabrik aus den 1920er Jahren, daneben das Kino von Johannes Duiker. Da hinten gibt es ein Haus von MVRDV, Grachtenhäuser, eine Tankstelle, einen Fußballplatz und einen Stall. Außerdem ein traditionelles holländisches Bauernhaus. Das hat mir gefallen, weil das Straßenfenster wie in der Moderne um die Ecke gezogen ist und weil das Haus eine falsche Fassade hat.
 
Das holländische Bauernhaus als dekorierter Schuppen?

Umgekehrt. In den USA bin ich vor einiger Zeit per Zufall auf die Publikation „American Shelter“ von Lester Walker gestoßen, mit Abbildungen von Häusern aus Goldgräberstädten. Walker beschreibt diesen Stil als „niederländischen Kolonialstil mit falscher Fassade“. Ich höre oft, die Schuppen-Architektur meines Pavillons sei ein Las-Vegas-Imitat. Aber das Konzept des dekorierten Schuppens stammt von den Niederländern, die im 17. Jahrhundert nach Amerika ausgewandert sind und ihren Architekturstil mitgebracht haben.
 
Warum sind dann alle Häuser weiß und haben die gleichen Fensterprofile?

Damit es wie aus einem Guss aussieht. Neben der Moderne und Dada gehören die russischen Konstruktivisten, Tatlin, Melnikow, Malewitsch, zu meinen wichtigsten Vorbildern.
 
Sie transformieren Ihre Vorbilder stark: Das Schroeder-Haus von Rietveld ist um die Hälfte kürzer geworden und hat eine Etage weniger.

Beim Schroeder-Haus habe ich sehr darauf geachtet, die Proportionen und wichtigsten Gestaltungsmerkmale zu erhalten. Das war nicht einfach, denn es sollte klar ein Rietveld bleiben. Den Unterschied merkt hier aber keiner. Alle sagen: „Hey, Rietveld.“ Keiner sagt: „Hey, du hast Rietveld falsch kopiert.“
 
Eigentlich dreht es sich eher um eine Mischung aus Referenzen als von Funktionen. Ist dies für das chinesische Publikum verständlich?

Ich glaube nicht. Aber der Pavillon funktioniert als Attraktion. Letzte Woche kam ein Entwickler und fragte, ob er ihn kaufen und auf seinem Grundstück zwei Stunden von Shanghai entfernt wieder aufbauen könnte.
 
Wofür wollte er den Pavillon verwenden?

Als Motel. Es kam auch schon der Vorschlag, ihn als Kindermuseum wieder aufzubauen.
 
Die Form des VIP-Raums, ist das eine Tulpe?

Das ist eine Lotusblume. Als ich diesen Raum entwarf, suchte ich nach einer passenden Kronenform, und da kam mir die Spitze des Best Western Hotels in Shanghai sehr gelegen. Eine sehr gute Kronenform. Am besten gefallen mir allerdings die VIP-Kacheln von Karin Rijlaarsdam. Sie zeigen einen Pudel auf einem Diamanten.

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