Bauwelt

Heinrich Hauser

Schwarzes Revier

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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Heinrich Hauser

Schwarzes Revier

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Im Jahr 1928 schickt der S. Fischer-Verlag den Reiseschriftsteller Heinrich Hauser (1901–1955) auf eine mehrwöchige Reportagereise kreuz und quer durchs Ruhrgebiet. Anderthalb Jahre später liegt von dieser ausgiebigen Erkundungstour ein Buch vor, das nicht nur als eines der bedeutendsten Zeitbilder der Region zwischen Dortmund und Duisburg, sondern darüber hinaus als ein so brillantes wie facettenrei­ches Porträt deutscher Schwerindustrie der 20er Jahre gelten muss. Bedeutend genug, dass jene Reportage nun noch einmal aufbereitet wurde.
Hauser, der im Laufe seines bewegten Lebens unter anderem beim NS-Propagandaministerium, bei der Adam Opel AG und, nach seiner Emigration 1939, auch bei der US-Armee in Diensten stand (1948 sogar Chefredakteur des STERN hätte werden sollen), war ein euphorischer Propagandist all jener Neuerungen, die nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur Deutschland in einen Modernisierungsrausch versetzten. Dank seiner analytischen Beobachtungsgabe, der frappierenden Genauigkeit seiner Schilderungen und nicht zuletzt der lapidaren Beiläufigkeit, mit der er seine ruppigen Schwarz-Weiß-Fotos zu einer formal eigenwilligen Erzählebene ordnete, kann man seine Revier-Reportage auch als ein Gesamtkunstwerk der Neuen Sachlichkeit ansehen, welches eben nicht für den hehren Kunstbetrieb entstand, sondern sichtlich die publizistische Kultur der Weimarer Republik prägte. 
„Großbauten modernster Konstruktion von ei­ner überraschenden Schönheit: Rathäuser, Konsumvereine, Knappschaftsgebäude, Banken, Sporthallen, Hotel und Stadion... Neue riesenhafte Kirchen in ganz ungewöhnlich modernem Stil, und alte Bahnhöfe, verräuchert, häßlich und unzweckmäßig. Fremdartig stecken alte Stadtkerne in den Leibern großer Siedlungen, in Essen, Mülheim, Bochum. Abgeriegelt erscheinen sie, verkalkt, leblos wie Gallensteine.“ Hausers Sprache ist nicht nur genau, sie liebt Bilder, hat Tempo und wirkt dadurch ansteckend: Solche Begeisterung für die machtvolle Industrialisierung, für den Erfindergeist der Ingenieure und für immer neue Rekordzahlen der Produktion ist heutigen Lesern kaum noch nachvollziehbar. Man soll sie auch nicht mehr teilen, aber im Bewusstsein halten, wenn es um die Hinterlassenschaften jener Aufstiegsjahrzehnte geht, die nun, nach dem Niedergang der Montan- und anderen Schwerindustrien, vor allem als ruinöse Altlasten oder Brachflächen zu Buche schlagen. Was da an hunderttausendfachen Lebensläufen und Glückserwartungen mit jenen Orten verbunden gewesen ist, lässt sich bei Hauser nun plastischer erfahren, als es eine Doku im Kulturfernsehen heute jemals zustande brächte. Nachdem er die „amerika­nische“ Urbanisierung der Emscher-Landschaft wie auch sämtliche Fertigungsschritte der modernsten Eisen- und Stahlgewinnung beschrieben hat, nimmt sein Bericht noch eine überraschende Wendung. In schwärzestem Realismus gibt er Eindrücke vom Arbeiterleben wieder, wie er es als junger „Praktikant“ bei Krupp am eigenen Leibe erlitten hat. Die haarsträubenden Szenen von Armut und Verwahrlosung stehen im scharfen Kontrast zum vorherigen Lobpreis der effizienten Maschinenwelt, und in diesem Zwiespalt zeigt die Reportage ihr gravierendes Manko: „Diese Aufzeichnungen sind unpolitisch“, schreibt der Autor im Vorwort, und man fragt sich, wie angesichts von Roter Ruhrarmee (1920), Reparationsstreit und alliierter Besetzung des Reviers (1923) eine solche Abstinenz redlich durchzuhalten war. War das der Preis der Neuen Sachlichkeit?
Das Buch von heute will kein Reprint sein. Etwas unentschieden reihen sich die Texte, Doppelseiten im Originallayout und ein separater Bildteil aus neu vergrößerten Fotoabzügen aneinander. Ein kenntnisreiches Nachwort von Andreas Rossmann erleichtert den Zugang und die Einordnung dieses zu Recht wiederentdeckten Dokuments der Industriekultur.
Fakten
Autor / Herausgeber Barbara Weidle (Hrsg.)

aus Bauwelt 20.2011
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