Mehr London wagen!
Was tun mit Zooarchitektur, die den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht? In Leipzig steht mit der Vogelfreiflughalle von 1968 ein herausragendes Werk der DDR-Moderne zur Disposition.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Mehr London wagen!
Was tun mit Zooarchitektur, die den heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht? In Leipzig steht mit der Vogelfreiflughalle von 1968 ein herausragendes Werk der DDR-Moderne zur Disposition.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Das Konzept, Tiere zur Schau zu stellen, hat sich im Laufe der Zeit stark verändert: von kolonial geprägten „Tiersammlungen“ hin zu wissenschaftlich geführten Zoologischen Gärten, bei denen es neben der Erholung und Unterhaltung für die Besucher auch um natur- und tierkundliche Bildung, Forschung, Artenschutz und die Zucht stark gefährdeter Tierarten geht. Zoos werden von ganz unterschiedlichen Akteuren, öffentlichen oder privaten Trägern, betrieben. Die jeweiligen Finanzierungsmodelle (Eintrittsgelder, Gastronomie und Souvenirs, öffentliche Zuschüsse, Sponsoring etc.) beeinflussen die Konzepte und den Umgang mit der überlieferten Bausubstanz. Es gibt Zoos, die neben den Tieren auch ihre herausragenden Bauten und Parkanlagen als imageprägenden, kulturellen Wert ansehen. Andere verstehen sich vor allem als Erlebnis- und Freizeitpark und sind dabei einem ständigen, dem jeweiligen Zeitgeist verpflichteten Wandel unterworfen.
Im Zuge des 1975 in Kraft getretenen Washingtoner Artenschutzübereinkommens wurde der Handel mit Tieren gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten stark eingeschränkt bzw. – je nach Schutzstatus – verboten (genauso wie der entsprechende Wildfang). Dies betrifft viele der beim Publikum beliebten Tierarten wie Menschenaffen, Elefanten, Nashörner, Bären und Raubkatzen. So stammen mittlerweile fast alle derartigen Zootiere aus internationalen Zuchtprogrammen. Dabei sind die Anforderungen an die Tierhaltung immer umfangreicher geworden: Große, bewegungsfreudige Tiere brauchen heute deutlich mehr Auslauf, viele Tiere auch Rückzugsorte. Die historischen Zooanlagen werden den heutigen Anforderungen an die Tierhaltung nicht mehr gerecht. Dies betrifft sowohl die engen Käfige der Gründerzeit-Bauten als auch viele der auf eine bühnenartige Präsentation der Tiere setzenden Anlagen der 1920/30er Jahre; die großen begehbaren Tropenhäuser der Nachkriegsmoderne entsprechen meist nicht mehr den aktuellen Energiestandards. Je mehr Gebäude und speziell auf einzelne Tierarten zugeschnittene bauliche Anlagen sowie landschaftsgärtnerische Bereiche eines Zoos unter Denkmalschutz stehen, desto geringer wird der Spielraum für Veränderungen.
Zum Beispiel Leipzig
Der Leipziger Zoo ging ab 1878 aus einer zum Tiergarten umgebauten Gaststätte hervor. Um 1900 entstanden an der Pfaffendorfer Straße einige historistische Bauten wie das Eingangsgebäude, das Aquarium, das Affen- und das Raubtierhaus. Viele der eindrucksvollsten Bauten, wie das Dickhäuterhaus und die hufeisenförmige Bärenburg, wurden zwischen 1924 und 1936 nach Entwürfen des Architekten Carl James Bühring realisiert. Er schuf durch die umfangreiche Verwendung von Klinker-Schmuckverbänden einen eigenständigen Stil und – trotz der teilweise noch aus der Gründerzeit stammenden Altbauten – ein harmonisches Gesamtbild. Dieses sollte nach dem Krieg weiterentwickelt werden. Kernstück des von Heinz Graffunder erdachten und 1966 beschlossenen Masterplans war die optische Verbindung des Geländes mit dem angrenzenden Rosental, was später mit den „Zooschaufenster“ genannten Huftierfreianlagen umgesetzt wurde.
Das interessanteste erhaltene Gebäude der DDR-Zeit ist die als „Neues Vogelhaus“ bekannte Vogelfreiflughalle, entworfen vom Leipziger Architekten Gert Rainer Grube (1933–2018). Grube integrierte Teile des Bühringschen Antilopenhauses, dessen Dach eingestürzt war, in den qualitätsvollen Erweiterungsumbau. Die neue Halle sollte den Besuchern durch die üppige Vegetation ein möglichst naturnahes Bild der Lebensweise tropischer Vögel vermitteln. Sie hat eine außerhalb des Gebäudes angeordnete Stahlkonstruktion aus verschweißten Kastenträgern und V-förmigen Stützen, an der ein Glasdach hängt, wie es im Gewächshausbau üblich ist. Diese Konstruktion verleiht dem Gebäude ein unverwechselbares Erscheinungsbild, die Umfassungswände führen aber auch die traditionelle Klinkerbauweise des Zoos fort. Die rückwärtige Giebelseite besteht aus einer thermoverglasten Betonformstein-Strukturwand, geschaffen vom Dresdner Künstler Friedrich Kracht der PG „Kunst am Bau“ (Bauwelt 35.2011). Von den Vögeln wird diese durchbruchplastische Wand als optische Grenze wahrgenommen – sie fliegen daher nicht dagegen –, sie gibt der kleinen Halle gleichzeitig aber eine optische Verbindung zum Außenraum.
Zoo der Zukunft
Der Zoologische Garten Leipzig wurde 1993 als „Sachgesamtheit“ auf die Liste der Kulturdenkmale gesetzt. Diese umfasst den kompletten Kernbereich mit den gärtnerischen Anlagen und einer größeren Anzahl historisch bedeutender Tierhäuser unterschiedlicher Entstehungszeiten, darunter auch – als einziges explizit genanntes DDR-Objekt – die von Grube entworfene Vogelfreiflughalle.
Nach der Wende waren die Besucherzahlen im Leipziger Zoo rapide gesunken. 1997 übernahm der Tierarzt und Marketing-Experte Jörg Junold die Leitung und initiierte eine strategische Neuausrichtung, die zu einem vom Architekten Peter Rasbach konzipierten Umgestaltungskonzept führte. Im Sommer 2000 wurde das „Zoo der Zukunft“ genannte Konzept von den Stadtverordneten beschlossen, der Zoo bald darauf in eine GmbH umgewandelt, deren einzige Hauptgesellschafterin die Stadt Leipzig ist.
Das neue Unternehmenskonzept sieht die sukzessive Umgestaltung in einen Erlebnispark mit verschiedenen Themenbereichen vor – ohne auf die überlieferten Strukturen und bereits vorher erfolgten Unterschutzstellungen adäquat Rücksicht zu nehmen. Die verschiedenen Baufelder werden erst nach und nach genauer beplant. Dabei müssen immer wieder historische, teilweise auch denkmalgeschützte Bauten neuen, meist deutlich größeren Anlagen weichen. Die Planungen werden häufig jedoch erst publik, wenn die Abrissgenehmigung bereits erteilt ist.
Das 1982 eröffnete Menschenaffenhaus wurde 1999 abgerissen, um für das „Pongoland“, eine neue Menschenaffenanlage, Platz zu schaffen. Das denkmalgeschützte, ursprünglich für Elefanten und Flusspferde konzipierte Dickhäuterhaus (1926) wurde bis 2006 zu einem asiatisch inspirierten Elefantentempel umgestaltet, große Teile der bauzeitlichen Außenanlagen 2002 wurden abgerissen. Im Zuge der Erweiterung des Zoogeländes musste 2007 die denkmalgeschützte Kammgarnspinnerei an der Pfaffendorfer Straße weichen. An dieser Stelle eröffnete 2011 das „Gondwanaland“, eine rund 1,65 Hektar große Tropenhalle.
Mittlerweile sind die Umgestaltungs- und Baumaßnahmen im denkmalgeschützten Kernbereich des Geländes angekommen. Hier soll – laut den neuerdings im Zoo aushängenden Visualisierungen – auf weiteren Baufeldern eine von der vietnamesischen Halong-Bucht inspirierte „Asiatische Insellandschaft“ mit ausgedehnten Wasserflächen und künstlichen Felsformationen entstehen. Dafür sollen „verschiedene ältere Zoo-Bauten … in den kommenden Jahren ersetzt werden.“ Darüber gibt es – laut Auskunft des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen (LfD) – bereits seit Ende 2023 hinter den Kulissen Gespräche zwischen den Denkmalschutzbehörden und dem Zoo. Die denkmalgeschützte, 1934 errichtete Bartaffenanlage ist inzwischen verschwunden. An ihrer Stelle sollen neue Vogelvolieren entstehen.
Die Zukunftsperspektive der ebenfalls denkmalgeschützten Vogelfreiflughalle ist derzeit noch offen. Der Zoo sieht offenbar keine Möglichkeit, die vergleichsweise kleine, sanierungsbedürftige Halle in die aktuellen Planungen zu integrieren, hat bis zum Redaktionsschluss dieses Beitrags aber auch noch keinen Antrag auf Abrissgenehmigung gestellt. Sollten die beteiligten Denkmalbehörden den Abbruch weiterhin ablehnen, läuft es vermutlich auf ein Dissensverfahren hinaus, bei dem letztendlich das übergeordnete Regierungspräsidium anhand der eingereichten Unterlagen eine Entscheidung fällt. Dabei geht es dann womöglich vor allem um wirtschaftliche Aspekte. Dass auch ein deutlich sensiblerer Umgang mit historischer Bausubsubstanz möglich ist, zeigen andere Zoos.
Zum Beispiel London
Der 1828 eröffnete London Zoo wird von der Zoological Society of London (ZSL) betrieben, einer gemeinnützigen Organisation, die sich dem weltweiten Schutz von Tieren und ihren Lebensräumen verschrieben hat. Weil der im Regent’s Park gelegene Zoo keine nennenswerten Erweiterungsmöglichkeiten hat, unterhält die ZSL auch noch den etwa 50 Kilometer entfernten Whipsnade Zoo, eine riesige Safari-Park-ähnliche Anlage. Dorthin werden größere Tiere umgesiedelt, für die die denkmalgeschützten Anlagen in London nicht mehr geeignet sind.
Die beiden bekanntesten modernen Bauten des London Zoo sind der 1934 errichtete Penguin Pool und das 1965 eröffnete Snowdon-Aviary, eine begehbare Vogelvoliere. Der von Berthold Lubetkin, Mitglied der avantgardistischen Architektengruppe Tecton, gemeinsam mit dem Ingenieur Ove Arup entworfene Penguin Pool besteht aus einem ovalen Wasserbecken mit zwei ineinander verschlungenen Spiral-Rampen, auf denen früher zur Belustigung des Publikums Brillenpinguine hinauf- und hinabwatschelten. Der Pool ist nicht nur ein kleines Kunstwerk, seine filigranen Rampen waren zur Zeit ihrer Errichtung auch ein konstruktiver Meilenstein bei der Anwendung von Stahlbeton. Deshalb steht der Penguin Pool seit 1970 auf der Denkmalliste, in der höchsten Schutzkategorie (Grade I).
Als offensichtlich geworden war, dass Beton kein geeigneter Untergrund für normalerweise am Strand lebende Pinguine ist und dass die Tiere auch deutlich mehr Platz benötigen, wurde der Pool 2004 geschlossen und eine neue Penguin Beach angelegt. Das Bauwerk wird aufgrund seiner architektonischen Bedeutung weiterhin sorgfältig gepflegt und kann für Fotoshootings und Filmdrehs gebucht werden. Es ist zum Beispiel im Video zu Harry Styles’ bekanntem Hit „As It was“ (2022) zu sehen.
Das Snowdon-Aviary ist die spektakulärste Vogelvoliere des London Zoo: eine filigrane Konstruktion aus Aluminiumstäben, Stahlseilen und einem leichten Aluminiumgewebe, bei der die starren und flexiblen Elemente als komplexes Gesamtsystem unter Spannung stehen. Sie wurde von Lord Snowdon (Prinzessin Margarets Ehemann), dem Architekten Cedric Price und dem Bauingenieur Frank Newby entworfen, besteht aus vier etwa 24 Meter hohen, miteinander verbundenen, pyramidenartigen Tetraedern und war anfangs mit einer künstlichen Klippe, die bis zu 150 Vögeln unterschiedlicher Arten Schlaf- und Nistplätze bot, Bäumen, Teichen, Wasserfällen und einen Zickzack-Weg für die Besucher ausgestattet.
Der innovative Experimentalbau wurde 1998 auf die Denkmalliste gesetzt (Grade II). Nachdem die Vögel in den ursprünglich für Reptilien errichteten Blackburn Pavillion (1882/83) umgesiedelt worden waren, entwickelte Norman Foster 2015 einen ersten Entwurf mit neuer Ausstattung als „Monkey Valley“ für die Colobus-Stummelaffen. Diese Idee wurde 2020–22 in etwas veränderter Form von CBRE (dem Baupartner der ZSL) mittels Zuschüssen und Spenden umgesetzt. Seitdem können die Besucher in dem von Grund auf sanierten Bauwerk wieder zwischen Bäumen spazieren gehen, während nun über ihnen Affen von Ast zu Ast springen.
Und Leipzig?
Die Weiterentwicklung eines historisch gewachsenen Zoos mit hochkarätigen Bauten ist ein ständiger Spagat zwischen den Vorlieben des Publikums, den sich verändernden Tierbeständen, den damit einhergehenden Anforderungen an die Tierhaltung und dem Denkmalschutz. Dabei können gelungene Lösungen entstehen, die den überlieferten Charakter des Ensembles bewahren, weiterentwickeln und gleichzeitig Bauten aller Epochen beispielhaft erhalten, um die wechselvolle Entwicklung der Bauaufgabe Zoo zu dokumentieren. In Leipzig gewinnt man dagegen den Eindruck, dass bei den aktuellen Planungen zum „Zoo der Zukunft“ die große Bandbreite und architektonische Qualität der historischen Bauten weitestgehend außer Acht gelassen wurde.
Wie sonst ist es möglich, dass der Zoo und seine Architekten keinerlei Möglichkeit sehen, die seit langem denkmalgeschützte, bis heute genutzte Vogelfreiflughalle in ihre großflächigen Planungen einer „Asiatischen Insellandschaft“ zu integrieren? Dabei braucht es nicht einmal besonders viel Fantasie, um sich für das kleine, lichtdurchflutete Gebäude – falls die Tiere dauerhaft umgesetzt werden sollen – eine ganze Reihe von Nachnutzungen etwa als Café, Raum für Ausstellungen, Bildungsveranstaltungen etc. vorzustellen. Darüber hinaus hat der Leipziger Zoo 2021 im Rahmen eines internationalen Erhaltungszuchtprogramm zwei sehr seltene Edwardsfasane bekommen, die bereits für Nachwuchs gesorgt haben. Die vom Aussterben bedrohten Tiere kommen in freier Wildbahn nur in den immergrünen Wäldern Vietnams vor. Da ist es völlig unverständlich, dass in einem von der vietnamesischen Landschaft inspirierten Szenario kein Platz für ein dicht bewachsenes Vogelhaus sein soll – und der Zoo stattdessen hartnäckig versucht, hinter verschlossenen Türen den Abriss des Hauses durchzusetzen.
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