Bauwelt

Zollverein School of Management & Design


Golliwogg's Cakewalk


Text: Friedrich, Jan, Berlin


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    Richters, Christian, Münster

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    Richters, Christian, Münster

Wie die Fenster der neuen Zollverein School angeordnet sind, das habe etwas von einem Sudoku-Rätsel, schreibt Andreas Rossmann in der FAZ, und er zitiert, wie fast jeder Bericht, der sich in den vergangenen vier Jahren mit den Planungen des ersten Neubaus auf der ehemaligen Essener Zeche seit 50 Jahren befasst hat, noch einmal den schönen Satz von Glenn D. Lowry, dem Direktor des MoMA: Der soll, als er den Entwurf von SANAA das erste Mal zu Gesicht bekam, gesagt haben, im Kontext der Schupp-und-Kremmer-Bauten auf Zollverein gleiche dieser dem „Einbruch des Jazz in eine klassische Komposition“.
Für den Autor der taz, Michael Kasiske, erweckt der große Seminarraum der Schule Assoziationen an das japanische Teehaus, „dessen Besucher frei von den Unbilligkeiten der Außenwelt friedfertig beieinander sind“.
Am 31. Juli war die offizielle Schlüsselübergabe für die „Zollverein School of Management and Design“ – so die vollständige Bezeichnung der Institution, die, etwas verkürzt gesagt: Managern Design-Strategien und Designern Management- Know-How vermitteln will. Die Veranstaltung bot auch den überregionalen Feuilletons den notwendigen Anlass, um sich mit dem ersten Bau des Tokioter Büros SANAA in Europa zu befassen. Bemerkenswert dabei, dass sich offenbar kein Rezensent allein auf den starken Eindruck verlassen möchte, den das Gebäude selbst hervorruft. Ist doch der Kubus am südöstlichen Rand des Zollverein-Areals, wo er als einer der „Attraktoren“ des Koolhaas-Masterplans für die Konversion der ehemaligen Zeche fungiert, derart eigenständig und eigenwillig, dass sich Vergleiche im Grunde erübrigen. Vielleicht ist es seine radikale Kompromisslosigkeit, die nach einem Halt in Bekanntem suchen lässt, seine kraftvolle Unmittelbarkeit: ein wirklicher Würfel auf einem Stück grüner Wiese, 34 Meter hoch über einem quadratischen Grundriss mit 35 Meter Kantenlänge, aus dessen hell-grauen Betonwänden die 134 quadratischen Öffnungen, wie es scheint, mit Formeisen in vier verschiedenen Größen willkürlich herausgestanzt wurden. Dass die Anordnung der rahmenlosen Öffnungen auch nicht ansatzweise Auskunft über das Innenleben gibt, verstärkt den Eindruck, man habe hier ein vergrößertes, sehr exakt gebautes Modell vor sich. Im Dunkeln, wenn die Räume unterschiedlich beleuchtet sind, ist eine Unterteilung zu erahnen. Am Tag jedoch bleibt für den Betrachter ungeklärt, warum hinter den Fenstern mal Köpfe, mal Beine, mal Rümpfe vorbeilaufen, oder ob jemand auf einer großen Leiter steht, um ein irgendwo in acht Metern über dem Fußboden angebrachtes Fenster zu putzen.
Tatsächlich verbirgt die Betonhülle einen Stapel von vier verschieden hohen Geschossen und einen Dachgarten, mit jeweils völlig unterschiedlicher räumlicher Wirkung. Jedes Geschoss ist konzeptionell ein großer Einraum über die gesamte Grundfläche, konstruktiv nur durch die drei Kerne und die beiden schlanken Verbundstützen untergliedert. Im 4,50 Meter hohen Erdgeschoss, das auch nach Inbetriebnahme der Schule öffentlich zugänglich sein soll, ist das Auditorium als Glaskiste eingestellt worden. Keine weitere Unterteilung hingegen gibt es im „Design Studio“, dem 9,80 Meter hohen Hauptarbeitsraum der Schule im ersten Obergeschoss, in dem mit maximaler räumlicher Flexibilität hantiert werden kann. Ursprünglich sollten hier noch gläserne Kisten und Plattformen von der Decke abgehängt werden; sie wurden aus Kostengründen (zunächst) nicht ausgeführt. Im „Design Studio“ offenbart sich auch, dass die Fenster selbstverständlich nicht willkürlich über die Oberfläche des Kubus verteilt wurden: Es gibt hellere und dunklere, offenere und intimere Bereiche in diesem riesigen Raumvolumen, und immer wieder sind besondere Blicke in die Umgebung inszeniert: auf das Zechengelände, ins Grüne, auf die Straße. Der Weg zu Fuß die Treppe hinauf ins zweite, „nur“ noch fünf Meter hohe Geschoss mit zwei eingestellten Boxen für Seminarräume, der Bibliothek und eher introvertierten Arbeitsplätzen lässt die 9,80 Meter Raumhöhe des „Design Studios“ noch einmal körperlich erfahrbar werden. Auf der dritten Ebene schließt sich dann der Verwaltungsbereich (3,17 Raumhöhe) an. Die Büros sind mit Glaswänden unterteilt, zur Außenwand bleibt ein um alle vier Seiten umlaufender Flur frei: Die Arbeitsplätze orientieren sich zu innen liegenden quadratischen Patios, die sich quasi als Fortsetzungen des Dachgartens von oben hinab in die Geschossdecke einschneiden.
Viel ist bereits während der Planungsphase über die Betonfassade der Zollverein School, vor allem über ihre besondere Technik, eine „passive Wärmedämmung“, geschrieben worden. Die großartige, im Grunde archaische Wirkung der außen wie innen unverkleideten einschaligen Betonwand (aufgrund der strengen Wärmeschutzbestimmungen heute eigentlich unbaubar) tritt jedoch erst jetzt, am fertigen Gebäude, wirklich zutage. Dass die nur 30 Zentimeter starke Wand – die Architekten verfolgten die Idee einer „dünnen Haut“ – einschalig sein muss, ist dem geübten Betrachter schnell ersichtlich: Die Aluminiumrahmen der fest verglasten Fenster sitzen bündig an der Innenseite der Wand: Wo sollte da noch eine Dämmebene sein? Und in dieser Offensichtlichkeit ist die im Winter durch Heizschläuche indirekt „gedämmte“ Betonwand auch fern davon, ihre wahre Beschaffenheit zu verstecken. Jeder, der weiß, dass das, was er da sieht, so eigentlich gar nicht möglich ist, wird sofort an ein ganz spezielles Innenleben des Betons denken.
Welcher Standhaftigkeit es bedarf, ein solches Bauwerk in Deutschland zu realisieren, lässt sich erahnen. Wenn er eines in der Zusammenarbeit mit Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa gelernt habe, so Heinrich Böll, ihr deutscher Partnerarchitekt, dann: dass man absolut hartnäckig sein müsse. Und um noch einmal auf Glenn D. Lowry zurückzukommen: Wer dessen Einschätzung zum Entwurf überprüfen möchte, dem sei als Begleitmusik für dieses Heft eine Aufnahme von Debussys Klavierzyklus „Children’s Corner“ (1906–08) empfohlen. Der letzte Satz „Golliwogg’s Cakewalk“ gilt als einer der frühen Vorboten für das spätere Eindringen des Jazz in die europäische Musik.



Fakten
Architekten SANAA, TokioSejima, Kazuyo, TokioNishizawa, Ryue, TokioBöll, Heinrich, Essen
aus Bauwelt 32.2006
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