Bauwelt

Das Haus mit den Liegeterrassen

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Klaus Nösner

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Klaus Nösner


Das Haus mit den Liegeterrassen

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Im November sind die Abrissgreifer angerückt. Das Alte Städtische Krankenhaus in Schweinfurt wird schon in wenigen Wochen verschwunden sein, damit ein neuer Gesundheitspark entstehen kann. Zuvor wurde über Jahre für den Erhalt des Dreißiger-Jahre-Gebäudes gekämpft, doch aus der Sicht der Denkmalpflege reichte dessen historische und baukünstlerische Bedeutung nicht aus. Wer aber war eigentlich der Architekt Heinrich Zierl?
Die Bewertungskriterien, nach denen sich eine Denkmalpflegebehörde für oder gegen den Erhalt eines Gebäudes entscheidet, sind mir im Einzelnen nicht bekannt und lassen sich allem Anschein nach auch nicht über Stadt- oder Ländergrenzen hinweg bis ins Detail konkret benennen. Wenn es sich nicht um ein Gebäude ersten Ranges handelt, bezieht sich die Denkmalpflege sicherlich weniger auf Architektennamen als auf die bauhistorische Bedeutung eines Gebäudes am Ort. Sie blickt dabei besonders auf das Äußere, auf das Stadtbild und weniger auf das Innere. So lässt sich erklären, dass bei vielen Bauten gerade einmal eine Hülle geblieben ist. Das Herz hingegen, die Qualität des Raumgebildes, das in der Regel mit dem Äußeren ein Ganzes bildet, ist zerstört, da sie meist wirtschaftlichen Zwängen geopfert wird. Dies ist nicht neu, muss aber immer wieder hervorgehoben werden, da die Entscheidungen bei nicht eindeutigen Fällen auch hart verhandelte Kompromisse sind.
Im Gesundheitspark
So wie es vor Ort an der Robert-Koch-Straße aussieht, hat das in letzter Zeit nur noch notdürftig erhaltene Alte Städtische Krankenhaus in Schweinfurt keine Chance mehr. Für das begehrte Grundstück genehmigte die Stadt einen neuen „Gesundheitspark“. Auch wenn man für die einzelnen Punkte dieser Entscheidung plausible Gründe nennen kann, bleibt ein großer Verlust. Das früher weiß verputzte Gebäude mag für einen heutigen Krankenhausbetrieb völlig ungeeignet gewesen sein, da es in keinem Punkt die medizintechnischen und versorgungsrelevanten Anforderungen erfüllt. Dies sei vorausgeschickt. Dennoch, von seiner Anlage her, seiner Organisation und seiner Originalität in Bezug auf die Baugeschich­te war das Gebäude prädestiniert dafür, sorgsam hergerichtet und einer neuen Nutzung zugeführt zu werden, zumal es sich um einfache Grundrisse und um eine insgesamt gute Bausubstanz handelte. Und schaut man bei den alten Fotos genauer hin, sind für die Patienten der damaligen Zeit viele Dinge beachtlich gewesen: die langen Bänder der Liegeterrassen mit Blick in den Park und ins Maintal, die die Südseite bestimmten, die verglaste Liegehalle, auch zahlreiche Details, vom Türgriff, über den Handlauf, den Fliesenbelag bis zum Einbauschrank und den Trinkbrunnen, die in ihrer Gestalt und Ausarbeitung heute so nicht zu finden sind. Bei der Eröffnung 1930 schrieb das Schweinfurter Tagblatt: „Helle, sonnige, licht- und luftdurchflutete Räume, geschickte, den Zweck­bedürfnissen voll entsprechende Raumanordnung und -verteilung, wohlberechnete Größenverhältnisse, reichgestalteter Lichteinfall und warm gehaltene Tönung wirken zusammen.“ Im November haben die Abrissgreifer als erstes die Liegeterrassen weggerissen. Schon in wenigen Wochen wird nichts, auch keine Hülle, vom Bettenhaus mehr übrig sein. Damit verliert Unterfranken ein wichtiges Werk der klassischen Moderne. Der Münchner Bauhistoriker Norbert Huse spricht bei seinem Plädoyer für die Erhaltung des Alten Krankenhauses in Schweinfurt allerdings von einer „gemäßigten Moderne“ am Ende der zwanziger Jahre, als „aufgeklärte Konservative begannen, die ideologischen Schützengräben zu verlassen und nach einem baulichen Konsens zu suchen“. Der Kunsthisto­riker Stefan Kummer von der Universität Würzburg weist bei seiner Stellungnahme zum Gebäude auch in eine andere Richtung: „Möglicherweise waren fachfremde Erwägungen daran beteiligt, dass dem Gebäude die Denkmaleigenschaft nicht zugebilligt wurde, obwohl daran nicht der mindeste Zweifel bestehen kann.“ Fachfremde, also rein wirtschaftliche Interessen spielen bei einer solchen Entscheidung natürlich eine Rolle. Ist das Geschehen in Schweinfurt nun überregional von Bedeutung? Gewiss, denn hier haben wir es mit einem grundsätzlichen Problem der Verwertung von Gebäuden zu tun, die nicht den heutigen Maßstäben mit schier nicht enden wollenden Richtlinien, speziell beim Krankenhausbau, entsprechen. Nichts passt zusammen – nur das vorhandene architektonische Werk für sich gesehen ist stimmig. Aber eigentlich ist dies doch das Wichtigste!
Heinrich Zierl
Die Denkmalpflege sprach bei ihrer Entscheidung zwar von „zeitgenössisch moderner Formensprache und solider Ausführung“, stellte aber zugleich fest: „Unter Zugrundelegung eines bayernweiten Maßstabs reicht seine historische und baukünstlerische Bedeutung jedoch nicht aus, um einen Nachtrag als Baudenkmal zu begründen.“ Dies bezieht sich wohl auch auf die Würdigung des Architekten, von dem man in der Tat zuvor noch nie etwas gehört hatte. Es handelt sich um den Schweinfurter Bauamtmann Heinrich Zierl (1885–1950) – also nicht die erste Garde der Zeit. Interessantes ist in einer Recherche der Bauhistorikerin Suse Schmuck nachzulesen, erschienen in Heft 1 der „Hefte für Schweinfurt“, die von der Heiner-Reitburger-Stiftung herausgegeben werden: „Zierl heiratete Gisela Fick, die Schwester des Architekten Roderich Fick, und förderte als Bauleiter auch den Bau des Ernst-Sachs-Bades, das 1932/33 von Fick geplant und gebaut wurde. 1939 ließ er sich aus dem städtischen Dienst beurlauben und wechselte nach Linz, das als ,Jugendstadt des Führers‘ nach dem Muster von Berlin und München ausgebaut werden sollte. Sein Schwager Fick leitete als Reichsbaurat das Büro in Linz. Wie lange Zierl in Linz arbeitete, ist offen. Nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft, wurde er wieder in den Dienst der Stadt Schweinfurt eingestellt.“ Das klingt schon ein wenig düster und setzt die helle, luftige Architektur in ein anderes Licht.
Fakten
Architekten Zierl, Heinrich, Schweinfurt
aus Bauwelt 47.2011
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