Bauwelt

Waterhouse Hotel


Großräumige Kulisse


Text: Halbfas, Ansgar


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    Foto: Pedro Pegenaute

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Drei Lagerhäuser am Bund von Shanghai sind Hotel geworden. Lyndon Neri & Rossana Hu haben deren abgenutzte Ober­­flächen belassen und multipel perforiert, um aus der Geschichtlichkeit der Bausubstanz und der gegenüberliegenden Skyline von Pudong ein kontrastreiches Bild der Stadtwahrnehmung zu generieren.
In den aufstrebenden Millionenstädte Chinas sind die Aufgaben für Stadtplaner nahezu so uniform wie die Städte selbst. Ganze Blöcke alter Substanz verschwinden, Straßen werden verbreitert, und bald legt sich, schon aus dem Flugzeug sichtbar, ein Teppich immer gleicher Hochhäuser über das Land. Überall vollzieht sich der Wandel hin zu einer sogenannten modernen Stadt, die vor allem mit verdichtetem Bauen assoziiert wird. Doch auch in China gewinnt der Denkmalschutz inzwischen etwas mehr an Gewicht – in der Regel dank einzelner einflussreicher und weitsichtiger Planer. In Shanghai ste­hen über zehn zusammenhängende Stadtbezirke unter Denkmalschutz, hinzu kommen Leuchtturmprojekte; einzelne Bauten oder Gebäudekomplexe, die nicht nur erhalten werden, sondern auch mit zunehmend mehr Feingefühl saniert und mit neuem Leben gefüllt werden.
Die Rezeption der Bevölkerung spielt dabei eine wichtige Rolle. Während die Mehrheit der einfachen Devise „neu ist gut (und reich) und alt ist schlecht (und arm)“ folgt, ist die junge Generation anderer Auffassung: Diese Chinesen studierten im Ausland mit seinen oftmals intakten Innenstädten, sie lesen die einschlägigen Designmagazine und schätzen die historischen Bauten ihres Landes. Wie schon zu Deng Xiaopings Zeiten nimmt Shanghai als Vorbild für andere Städte in China eine Sonderrolle ein: Erfolgreiche Umnutzungen alter Wohnquartiere und ihrer typischen Shikumen-Architektur wie in den Stadtteilen Xintiandi oder Tianzifang erleichtern es auch in der Provinz, die historische Substanz zu bewahren und zu reaktivieren. In letzter Zeit rückte das ehemalige Hafen­areal von Shanghai ins Blickfeld. Mit dem im letzten Sommer eröffneten Waterhouse Hotel ist hier ein Beispiel dafür entstanden, alte Bausubstanz bis in ihre Gebrauchsspuren hinein zu bewahren und als Kulisse für eine neue Nutzung zu inszenieren.
Sichtbar machen, was unausgesprochen bleibt
Der Weg zum Waterhouse führt von Norden kommend die Prachtmeile am Bund mit ihren aufwendigen Bauten der Banken und Händler aus Zeiten der britischen Konzession entlang nach Süden zu den heute „Cool Docks“ genannten alten Lagerhäusern am Ufer des Huangpu, der die Stadt in den alten Stadtkern Puxi, zu deutsch: „westlich des Flusses“, und den neuen Stadtteil Pudong „östlich des Flusses“ mit der Skyline aus Hochhäusern der letzten zwei Jahrzehnte teilt. Die „Cool Docks“ sind ein zusammenhängender Komplex der 1930er Jahre, an dessen Rand das Hotel liegt. Hier befinden sich auch das edle deutsche Restaurant Stillers, mehrere Nachtclubs und die unvermeidliche Starbucks-Filiale, letztere vis-à-vis vom Hotel­eingang. Die Geschäfte laufen schleppend, und so leistet das Hotel, das regelmäßig ausgebucht ist, auch einen Beitrag zur ökonomischen Stabilität des gesamten Areals.
Die Hotelbroschüre erwähnt zwar vorsichtig die Geschichte des Ortes als militärisches Hauptquartier, nicht aber, dass es die Japaner waren, die hier im Zweiten Weltkrieg Lager bezogen – noch immer haben China und Japan die japanische Okkupation nicht aufgearbeitet, und so sind Anklänge an japanische Wurzeln, zumal im militärischen Kontext, nicht willkommen. Der für chinesische Verhältnisse kleine Hotelkomplex mit seinen 19 Gastzimmern besteht aus drei alten Lagerhäusern, die zu einer Einheit verbunden worden sind. Rampen überwinden den Höhenversatz der Baukörper, und an den zahlreichen unrenovierten Wänden im öffentlichen Bereich lassen sich die Bauweisen – hier einfacher Beton, dort Ziegel – leicht ablesen. Hinzu kommt ein 750 Quadratmeter großer Veranstaltungsraum in einer angrenzenden stützenfreien Lagerhalle, die mit neuer Haustechnik wöchentlich anderen Großveranstaltungen Raum bietet.
Die Architekten Lyndon Neri und Rossana Hu arbeiten mit der Substanz: Stützen, Treppenhäuser und nahezu alle Wandflächen im öffentlichen Bereich sind belassen worden – selbst die billigen Fliesen aus der Zeit der Zwischennutzung zieren noch die Wände in der Empfangshalle. Neue Elemente, selbst die Feuerlöscheinrichtungen, sind sorgfältig ein­gepasst. Öffnungen mit großflächigen Gläsern ermöglichen Raum- und Blickbeziehungen zwischen innen und außen, zwischen oben und unten wie auch in die Ferne und in den Innenhof. In den Zimmern bestimmen die Gäste, wie weit sie Blicke zulassen wollen – selbst die Badezimmer sind oft nur mit raumhohen Glasflächen nach innen wie außen abgetrennt, so dass lediglich ein Vorhang den Blick auf die Skyline von Pudong oder den Innenhof verbirgt.
Altstadtanalogie
Eine Ruine auf dem Nachbargrundstück wartet auf einen Investor. Hotelmanager Thomas Ang hofft, dass sie noch lange erhalten bleibt, denn kein zweites Mal findet man in Shanghai eine derart reizvolle Atmosphäre – Komfort inmitten verfallender Gebäude, die die Geschichte des alten Shanghai erzählen, und zugleich ein Blick auf die Glitzerwelt von Pudong auf der anderen Seite des Ufers. Diese Ambivalenz erinnert an die alten Shanghaier Wohnungen in sogenannten Nong-Tangs, mit ihrem fließenden Übergang von privaten Räumen in den halboffenen Küchenbereich und die offenen Waschgelegenheiten im Hof – fast erlauben sie einen voyeuristischen Blick in Schlaf- und Wohnräume, schaffen gleichzeitig aber auch ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Nachbarschaft.
Die alten Dachstühle der ehemaligen Lagerhäuser sind Aufbauten mit einer Dachterrasse gewichen, an der Fassade sind die Erweiterungen mit dem dort verwendeten Cortenstahl klar erkennbar. Die zahlreichen Öffnungen, über die früher Waren ein- und ausgelagert wurden, sind in ihren verschiede­nen Größen erhalten, vollflächig verglast und mit Klappläden aus recyceltem Holz ergänzt worden. Der Edelstahl an ihren Innenseiten leitet Tageslicht bis tief in die Räume. Die Hotelzimmer riechen angenehm nach Holz und sind wie der Innenhof, die Empfangshalle und das Restaurant mit Klassikern des Möbeldesigns ausgestattet. Das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass die Architekten mit dem Design Republic Flagship Store einen eigenen Möbelhandel in Shanghai betreiben.
Freie Hand den Architekten
Und was empfinden Besucher und Angestellte des Hotels? Kellner Anthony, 21, redet offen: „An meinem ersten Arbeitstag war ich schockiert, ich fühlte mich an meine Kindheit im alten Shanghaier Stadtteil Hongkou erinnert – einfach, arm.“ Er hat seinen Blick für die Kombination aus alter Substanz und modernen Erweiterungen erst schärfen müssen – jetzt ist er stolz, hier zu arbeiten, doch weiß er auch, warum die meisten chinesischen Gäste kommen: nicht wegen der Architektur, sondern einfach nur, weil das Hotel neu ist. So verwundert es nicht, dass die Mehrzahl der Besucher, die den Kontrast aus Geschichte und Moderne genießt, aus dem Ausland kommt.
So hat es sich der Investor Peng Loh, ein Anwalt aus Singapur, auch gewünscht. Er betreibt das Hotel mit einem lokalen Partner und hat den Architekten vollkommen freie Hand gelassen – ganz entgegen der oft üblichen Mentalität chinesischer Bauherren. So werden selbst Risse im neuen Estrich als Beginn des Alterns akzeptiert und nicht reklamiert. Im ganzen Haus finden sich unvermittelt Zitate und Texte mit Poesie wie „eins, zwei, cha-cha-cha“ oder – wie einem Reise­tagebuch entnommen – „12:00 Uhr – Eine Nudelsuppe für 9 Yuan“. Sie sind auf die alten Wände gedruckt oder kleben als Folienschrift auf Glas.
Wer das Hotel verlässt und sich nach Westen wendet, kommt durch alte Stadtteile, die sich selber überlassen bleiben; ein Zuhause für Wanderarbeiter und die alten Bewohner, bis auch hier in den nächsten Jahren große Wohnanlagen entstehen werden – und das Waterhouse Hotel eines der letzten Gebäude sein wird, an dem sich Geschichte ablesen lässt.



Fakten
Architekten Lyndon Neri & Rossana Hu, Shanghai
Adresse No. 1, Building 3, Maojiayuan Road, Huangpu District, Shanghai 200011


aus Bauwelt 9.2011
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