Bauwelt

Villa Empain


Pracht um jeden Preis


Text: Redecke, Sebastian, Berlin


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    Foto: Georges De Kinder

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Die Villa von Michel Polak an der Brüsseler Avenue Franklin Roosevelt Nr. 65 ist zu neuem Leben erwacht. Nach einem munteren Wechsel an Nutzungen, langer Verwahrlosung und umfangreicher Instandsetzung residiert hier heute die Stiftung Boghossian.
Bei der Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Villa Empain taucht man unweigerlich – so weit es einem gewährt wird – in die abgeschlossene, eigene Welt des belgischen Establishments ein; ein Kreis weniger Familien, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu großem Reichtum gelangt sind. Das viele Geld ist nicht nur in einem engen Zusammenhang mit der damals rasanten Industrialisierung Walloniens zu sehen, sondern vor allem mit dem Verkauf von Schätzen aus Belgisch-Kongo. Letzteres ging unter der Herrschaft von König Leopold II. in Schwarzafrika einher mit Ausbeutung und unermesslichem Leid und ist das düsterste Ka­pitel der Geschichte Belgiens.
Die 2500 Quadratmeter große Villa kann nur vor diesem historischen Hintergrund erklärt werden. Sie passt an diesen Ort, die Avenue Franklin Roosevelt, früher Avenue des Nations – eine Straße mit breitem Grünstreifen in der Mitte, an der eine lange Reihe von Villen den neuen Reichtum jener Epoche Belgiens zur Schau trugen.
Die 1930 entworfene Villa ist aber bei weitem nicht nur als Zeitdokument, sondern auch architektonisch von Interesse, da ihr Architekt Michel Polak (1885–1948) in einer ganz eigenen Handschrift Dekorelemente des Brüsseler Jugendstils mit Formen der Moderne zusammengeführt hat. Sie ergeben ein Ganzes von eindrucksvoller aber auch sonderbarer Gestalt. Im Innern entstand ein Gesamtkunstwerk, bei dem die Form und die kostbarsten Materialien der Ausstattung mit Raffinement untrennbar zu einer Einheit gefunden haben. Die bauhistorische Einordnung der Villa hinsichtlich des architektonischen Ausdrucks verbindet sich auf das Engste mit dem Bauherrn Louis Empain. Als junger kunstinteressierter Geschäftsmann war er von Architekten wie Henry van der Velde beeindruckt, öffnete sich aber gleichzeitig mehr und mehr der Moderne.
Die Stiftung Boghossian 
Nach 2001 verwahrloste die inzwischen als Baudenkmal anerkannte Villa. Unter der Regie des Architekten Francis Metzger gelang jetzt die Sanierung, bei der buchstäblich aus Resten, vor allem Trümmern des Interieurs, ein neues Ganzes entstand, das mit allen Feinheiten im Detail wieder zu erleben ist. Möglich wurde dies alles durch den neuen Besitzer Jean Boghossian, der den Bau zum Sitz einer Stiftung bestimmte. Die Stiftung wurde 1992 von ihm, seinem Vater Robert und seinem Bruder Albert Boghossian gegründet, allesamt Juweliere aus dem Libanon mit armenischen Wurzeln, die ihren Sitz in Antwerpen und Genf haben. Ihre Stiftung hat sich vor allem zum Ziel gesetzt, in Gjumri, der zweitgrößten Stadt Armeniens, die 1988 durch ein Erdbeben in weiten Teilen zerstört wurde, den Wiederaufbau mit sozialen Einrichtungen und Schulprojekten zu unterstützen. Sie kümmert sich aber auch um künstlerische Projekte, so wurde zum Beispiel die Neugestaltung eines öffentlichen Parks in Erivan finanziert. Auch im Libanon ist die Stiftung aktiv. Sie fördert dort ein Projekt der Trinkwasserversorgung, ein Waisenhaus und eine Kunstschule. In den Räumen der Villa finden Ausstellungen und Veranstaltungen statt, die im Sinne der Stiftung den kulturellen Dialog zwischen Orient mit Okzident stärken sollen.
Jean Boghossian war es wichtig, in dem Land, in dem er und seine Familie ein neues Zuhause  fanden, den Sitz der Stiftung einzurichten. Die Flucht seiner Familie begann bereits 1915. Sie führte zunächst von Armenien nach Aleppo in Syrien. Danach siedelte die Familie nach Beirut über. Mit dem Beginn des dortigen Bürgerkriegs flüchtete sie weiter nach Belgien und in die Schweiz.
Unsere Autorin Diane Hennebert kennt die Geschichte der Bauherren Empain und Boghossian. Sie erzählt von den Hintergründen der Planungen der Villa 1930 und von den verschiedenen Umplanungen seit 1945 (Seite 28). Francis Metzger, ein Architekt mit sicherer Hand für Sanierungen, beschreibt das komplizierte Prozedere der Instandsetzung, die rund fünf Millionen Euro gekostet und im April einen der Europa-Nostra-Preise erhalten hat (Seite 36). Die deutsche Restauratorin Monika Neuner habe ich gefragt, wie es ihr gelang, die kostbare, eine Milchstraße darstellende Glasdecke im Salon wieder erstrahlen zu lassen (Seite 42). 



Fakten
Architekten Polak, Michel, (1885–1948)
Adresse Avenue Franklin Roosevelt Nr. 65 B 1000 Brüssel


aus Bauwelt 21.2011
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