Stadion Kaohsiung
Dach aus mehreren Schichten
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Das schlangenartige Dach des Stadions in Kaohsiung von Toyo Ito ist das neue Wahrzeichen der zweitgrößten Stadt Taiwans. Seine amorphe Form versucht sich an einem ehrgeizigen Ziel: der Öffnung des Sportbaus zur Stadt hin.
Die alle vier Jahre ausgetragenen World Games sind ein Sammelbecken für die Stiefkinder der Olympischen Spiele: für jene Sportarten, die von der übermächtigen Organisation verschmäht werden. Es gibt die World Games seit 1980. Ausgetragen werden sie immer ein Jahr nach der Olympiade, und sie umfassen so unterschiedliche Sportarten wie Faustball, Squash, Flossenschwimmen, Billard oder auch Fallschirmspringen. Der Aufwand ist im Vergleich zu den enormen Kosten, die bei den Olympischen Spielen für Infrastruktur und neue Stadien zu Buche schlagen, sinnvoll reduziert: Bei den World Games gilt, dass die Spiele an bereits existierenden Sportstätten stattfinden. Duisburg war 2005 Austräger der World Games, und eigentlich hätten die Spiele 2013 nochmals nach Deutschland kommen sollen, denn Duisburg hatte sich zusammen mit Düsseldorf gegen 20 andere Konkurrenten auch für 2013 beworben und durchgesetzt. Im Dezember letzten Jahres sagte zuerst Duisburg, dann auch Düsseldorf wegen finanzieller Schwierigkeiten ab, der neue Austragungsort ist noch unklar.
In diesem Jahr finden die World Games in Kaohsiung statt. Die zweitgrößte Stadt Taiwans liegt am südwestlichen Zipfel der knapp 400 Kilometer langen Insel. Die Taiwanesen haben, trotz der oben erwähnten Leitlinie, die Spiele als Anlass genommen, ein längst benötigtes Stadion zu bauen. Es entspricht sowohl den Standards der Internationalen Leichtathletikorganisation IAAF als auch den Regeln der FIFA.
Toyo Ito nahm 2005, zusammen mit Takenaka, eine der größten japanischen Baufirmen, deren Ursprünge einst im Tempelbau lagen, an einem Wettbewerb teil und gewann die Konkurrenz. Der zeichenhafte Charakter des Dachs im Stadtkontext ist unübersehbar, das Stadion zeigt schon aus der Ferne seine schlangenförmige Silhouette. Andererseits wartet es mit einer Reihe von neuen Eigenschaften auf, die sich vor allem auf den Städtebau beziehen. Ito spricht von drei großen Ideen, die das Dach mit seinen beiden frei auslaufenden Enden vereinen: zum Ersten ging es ihm um die Entwicklung eines „offenen Stadiums“, zum Zweiten um ein Gebäude, das sich gleichzeitig als Katalysator für einen „städtischen Park“ versteht, und erst in dritter Linie verweist er auf das formale Leitmotiv eines „spiralförmigen Kontinuums“. Seit den neunziger Jahren hat der japanische Architekt mehr und mehr amorphe Elemente in seine Architektursprache integriert und mit unterschiedlichen, frei bewegten Dachlandschaften experimentiert. Beim Stadion von Kaohsiung löst sich die von fern homogen wirkende Gesamtform bei der Annäherung in additive Bestandteile auf: in einen um das Stadionoval verlaufenden Ring von skulpturalen Stahlbetonrippen, in die stählernen Fachwerk-Kragträger des Dachs und in darüber gesetzte spiralförmige Stahlröhren, die wiederum auf der gesamten Oberseite mit Solarpaneelen belegt sind. Dieser schichtenförmige Aufbau wird auch für die Öffnung zum Stadtraum hin benutzt. Das südöstliche Ende des Dachs schwingt nach außen in den Park auf und bildet dort ein Rückgrat für öffentliche Nutzungen. Was die Beplankung mit Solarpaneelen angeht, so übertrifft das taiwanesische Stadion seine Pekinger Konkurrenz: Während das Olympiastadion von Herzog und de Meuron eher alibimäßig mit Solarpaneelen verkleidet worden war, können die knapp 9000 Paneele des Stadions von Kaohsiung bis zu 75 Prozent des Bedarfs decken.
Als das Stadion Mitte Mai mit den Kanonenschlägen von Tschaikowskis militaristischer Ouvertüre 1812 und mit Beethovens Siebenter eingeweiht wurde, wurde auch bekannt gegeben, welchen Namen das Stadion, nach einer Umfrage in der Bevölkerung, künftig tragen wird: „Fliegender Drache“.
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