Meti-Schule
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Die Lebenserwartung eines Hauses in Rudrapur liegt bei ungefähr zehn Jahren. Dann sinkt es in sich zusammen. Der Grund: Das 1500-Einwohner-Dorf liegt im Norden von Bangladesch, einem Land, das jährlich nahezu vollständig überschwemmt wird, in dem sieben Prozent der Fläche ständig unter Wasser stehen und wo in drei Tagen soviel Niederschlag fallen kann wie in Berlin in einem ganzen (trockenen) Jahr.
Gleichzeitig ist Bangladesch das am dichtesten besiedelte Land der Erde – und eines der ärmsten. 1000 Menschen leben im Durchschnitt auf einem Quadratkilometer; dennoch werden kaum mehrgeschossige Häuser gebaut. Das ganze Land ist mit Lehmhütten übersäht, und keiner weiß, wie das Problem technisch, wirtschaftlich und kulturell in den Griff zu bekommen ist.
Als Anna Heringer 1997 in Rudrapur ihr freiwilliges soziales Jahr verbrachte und den Leiter der Entwicklungshilfeorganisation Dipshikha kennen lernte, hatte dieser gerade Geld von der Regierung bekommen, um Wellblechhütten zu bauen. Wir sind keine Hunde, sagte er damals zu der angehenden Architektin. Heute, neun Jahre später, werden die Lehmhütten des Dorfes von einem Schulgebäude überragt: mit dicken Lehmwänden im Erdgeschoss und einer kunstvollen Dachkonstruktion aus Bambus obendrauf. Die Organisation sieht in dem Schulgebäude den gelungenen Start für eine erfolgreiche Entwicklungsarbeit in Rudrapur. Denn seit Jahren zieht es die bengalische Landbevölkerung in Richtung der Städte, sieht diese
keine Perspektive mehr in der Landwirtschaft. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2035 über die Hälfte der Einwohner in Städten leben, derzeit ist es ein Viertel. Die Organisation Dipshikha will diesem Trend entgegen wirken und unterstützt deshalb Projekte, die der Bevölkerung im ländlichen Raum Perspektiven aufzeigen.
Die traditionellen Baustoffe Lehm und Bambus sind dort unbeliebt. Denn wie viele Menschen in Entwicklungsländern träumen auch die Bengalen von westlicher Architektur und vergessen darüber die Vorteile ihrer eigenen Baukultur. Deshalb ging es beim Bau der Schule auch darum, das Image der natürlichen Ressourcen aufzubessern. Anna Heringer, die Rudrapur inzwischen zum Thema ihrer Diplomarbeit an der Kunstuniversität Linz gemacht hatte, hat den Entwurf für die Schule im letzten Jahr gemeinsam mit dem Berliner Architekten Eike Roswag umgesetzt. Damit bekamen die Kinder Räume zum Lernen und die von Dipshikha betriebene Bildungseinrichtung Meti (Modern Education and Training Institute) erhielt endlich ein repräsentatives Gesicht. Jeder der drei Klassenräume im Erdgeschoss ist durch zwei runde Schlupflöcher mit kleinen Höhlen verbunden – für individuelles Arbeiten und damit die Kinder sich zurückziehen können, entsprechend dem Konzept von Meti. Dieses lehnt sich an die Montessori-Pädagogik an und will der ländlichen Bevölkerung in Bangladesch ganzheitlich orientierte Bildung ermöglichen.
Das Obergeschoss besteht aus einem einzigen großen Raum, konstruiert aus einem Bambusgeflecht, bei dem die einzelnen Stäbe mit Stahldübeln fixiert und durch Nylonseile gebunden sind. Ein Rankgerüst an der Rückfassade dient als vertikaler Garten und Regenschutz für die Wände. Damit der Bau künftigen Überschwemmungen standhalten kann, steht er auf einem Ziegelfundament, das mit einer Horizontalsperre abgedichtet ist.
In Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Handwerkern aus Deutschland und Österreich verbesserten die beiden Architekten nicht nur die Lehm- und Bambustechniken und bezogen lokale Tagelöhner, Schüler, Eltern und Lehrer in den Bauprozess mit ein, sie bildeten zugleich 25 Lehm- und Bambusarbeiter aus der unmittelbaren Umgebung im Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ aus. Sie schulten sie im Wellerbau, einer historischen Lehmbautechnik, bei der der nasse Lehm mit Stroh vermengt, lagenweise zu einem Wandabschnitt aufgeschichtet und dann mit einem Spaten abgestochen wird, und übten die neu entwickelte Knotentechnik für das Bambus-Rahmentragwerk von Wand und Dach mit den Handwerkern so lange, bis es zum Schluss jeder hinterm Rücken konnte. Beides sind Fertigkeiten, die die Einheimischen auch anwenden können, wenn im nächsten Jahr der Bau ihrer Wohnhäuser beginnt.
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